Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.mische Schule und stiftete, ähnliche Anstalten zu Neapel und Messina, wobei er mische Schule und stiftete, ähnliche Anstalten zu Neapel und Messina, wobei er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114208"/> <p xml:id="ID_1371" prev="#ID_1370" next="#ID_1372"> mische Schule und stiftete, ähnliche Anstalten zu Neapel und Messina, wobei er<lb/> zuerst ein ärztliches Examen einführte; in diesem Examen wurde, zwar nur von<lb/> den Wundärzten, auch der Nachweis anatomischer Kenntnisse verlangt, weil ohne<lb/> dieselben seine chirurgische Operation vorgenommen werden könne. Freilich ließ<lb/> man sich dabei gewöhnlich nur von den Metzgern in der Anatomie der<lb/> Schweine unterrichten und betrachtete den Galen als den untrüglichsten Lehrer<lb/> der Anatomie. Ist es auch nicht erwiesen, daß schon Friedrich selbst die jährliche<lb/> Vornahme der Oeffnung einer menschlichen Leiche vorschrieb, so schwand doch je<lb/> mehr die classische Bildung Boden gewann» allmälig das abergläubische Vor¬<lb/> urtheil, welches sich, scheinbar durch das Christenthum gestützt, gegen die Unter¬<lb/> suchung menschlicher Leichen stemmte, und im Beginne des 14. Jahrhunderts<lb/> sehen wir die Borträge über Anatomie auf den Universitäten wenigstens in<lb/> Italien und Frankreich zum ersten Male wieder durch wirkliche Sectionen erläu¬<lb/> tert. Freilich fehlte noch viel, daß man zu eigner Cnntrole des Galen über¬<lb/> zugehen wagte; dazu war freilich auch das anatomische Studium vor der Hand<lb/> nicht angethan. Bestand doch die ganze Demonstration noch während der Lehr¬<lb/> zeit des Vesal um das Jahr Is30 darin, daß man höchstens alljährlich von<lb/> rohen ungeschickten Barbiergehülfen die Leichen öffnen ließ und in vier Tagen<lb/> nacheinander die ganze Anatomie durchging. Während der Professor vom Ka¬<lb/> theder herab die entsprechenden Kapitel des Galen ablas, mußten die Gehilfen<lb/> am ersten Tage die Unterleibsorgane vorzeigen, weil sie schneller in Fäulniß<lb/> übergingen, dann kam das Nervensystem an die Reihe, die Respirationsorgane<lb/> und zuletzt die Extremitäten. Wollte der Augenschein nicht mit dem Galen<lb/> übereinstimmen, so traute man sich selber doch weniger als dem römischen Wei¬<lb/> sen, und die Kritik durfte in den anatomischen Theatern nicht laut werden.<lb/> Wir wissen aus dem Leben des Vesal, daß dieser als wissensdurstiger Jüng¬<lb/> ling mit seinen Kameraden nach der Vorlesung ganz wider alle Sitte sich sel¬<lb/> ber die Dinge zu besehen Pflegte, und gar häusig zum großen Aergerniß seiner<lb/> Lehrer Widersprüche mit dem Galen aufdeckte, die seinen Eifer erst recht an¬<lb/> spannten. Indeß eiferten noch immer wiederholte päpstliche Edicte wider die<lb/> frevelhafte Verletzung der Menschenwürde, wenngleich aufgeklärtere Päpste we¬<lb/> nigstens zu Gunsten der Künstler eine Ausnahme gestatteten. Julius der<lb/> Zweite und Leo der Zehnte erlaubten denselben ihre anatomischen Studien an<lb/> frischen Präparaten zu machen, und wie ausgiebig dies geschah, ist aus der<lb/> Reichhaltigkeit der anatomischen Skizzen zu entnehmen, die Leonardo da Vinci<lb/> als Studien für de la Tone's Anatomie offenbar nach der Natur entwarf.<lb/> Die Originale seiner Skizzen, welche einen großen künstlerischen Werth haben,<lb/> sind in der tgi. Sammlung in London, das Werk selbst ist leider nie erschie¬<lb/> nen. Definitiv wurde der Streit zwischen der Kirche und der Wissenschaft erst<lb/> im Jahre 1SS6 entschieden, als Karl der Fünfte ein Gericht der Universität</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0428]
mische Schule und stiftete, ähnliche Anstalten zu Neapel und Messina, wobei er
zuerst ein ärztliches Examen einführte; in diesem Examen wurde, zwar nur von
den Wundärzten, auch der Nachweis anatomischer Kenntnisse verlangt, weil ohne
dieselben seine chirurgische Operation vorgenommen werden könne. Freilich ließ
man sich dabei gewöhnlich nur von den Metzgern in der Anatomie der
Schweine unterrichten und betrachtete den Galen als den untrüglichsten Lehrer
der Anatomie. Ist es auch nicht erwiesen, daß schon Friedrich selbst die jährliche
Vornahme der Oeffnung einer menschlichen Leiche vorschrieb, so schwand doch je
mehr die classische Bildung Boden gewann» allmälig das abergläubische Vor¬
urtheil, welches sich, scheinbar durch das Christenthum gestützt, gegen die Unter¬
suchung menschlicher Leichen stemmte, und im Beginne des 14. Jahrhunderts
sehen wir die Borträge über Anatomie auf den Universitäten wenigstens in
Italien und Frankreich zum ersten Male wieder durch wirkliche Sectionen erläu¬
tert. Freilich fehlte noch viel, daß man zu eigner Cnntrole des Galen über¬
zugehen wagte; dazu war freilich auch das anatomische Studium vor der Hand
nicht angethan. Bestand doch die ganze Demonstration noch während der Lehr¬
zeit des Vesal um das Jahr Is30 darin, daß man höchstens alljährlich von
rohen ungeschickten Barbiergehülfen die Leichen öffnen ließ und in vier Tagen
nacheinander die ganze Anatomie durchging. Während der Professor vom Ka¬
theder herab die entsprechenden Kapitel des Galen ablas, mußten die Gehilfen
am ersten Tage die Unterleibsorgane vorzeigen, weil sie schneller in Fäulniß
übergingen, dann kam das Nervensystem an die Reihe, die Respirationsorgane
und zuletzt die Extremitäten. Wollte der Augenschein nicht mit dem Galen
übereinstimmen, so traute man sich selber doch weniger als dem römischen Wei¬
sen, und die Kritik durfte in den anatomischen Theatern nicht laut werden.
Wir wissen aus dem Leben des Vesal, daß dieser als wissensdurstiger Jüng¬
ling mit seinen Kameraden nach der Vorlesung ganz wider alle Sitte sich sel¬
ber die Dinge zu besehen Pflegte, und gar häusig zum großen Aergerniß seiner
Lehrer Widersprüche mit dem Galen aufdeckte, die seinen Eifer erst recht an¬
spannten. Indeß eiferten noch immer wiederholte päpstliche Edicte wider die
frevelhafte Verletzung der Menschenwürde, wenngleich aufgeklärtere Päpste we¬
nigstens zu Gunsten der Künstler eine Ausnahme gestatteten. Julius der
Zweite und Leo der Zehnte erlaubten denselben ihre anatomischen Studien an
frischen Präparaten zu machen, und wie ausgiebig dies geschah, ist aus der
Reichhaltigkeit der anatomischen Skizzen zu entnehmen, die Leonardo da Vinci
als Studien für de la Tone's Anatomie offenbar nach der Natur entwarf.
Die Originale seiner Skizzen, welche einen großen künstlerischen Werth haben,
sind in der tgi. Sammlung in London, das Werk selbst ist leider nie erschie¬
nen. Definitiv wurde der Streit zwischen der Kirche und der Wissenschaft erst
im Jahre 1SS6 entschieden, als Karl der Fünfte ein Gericht der Universität
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