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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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ein, und zuletzt sind gar die Kranken im Spital aus ihren Betten gestiegen,
um ihr Leid vorzutragen, und schon sieht man sie an den Coulissen, als der
Vorhang fällt, und mit Recht; denn der "Revisor" ist ein Lustspiel.

Als Khlestatoff die Stadt verlassen hat. kommt eines Tages der Post¬
meister in die Versammlung der Beamten, in der Hand einen nach seiner Ge¬
wohnheit erbrocbncn Brief. Es ist eine Mittheilung Khlestakoffs an einen
Freund in Se. Petersburg.

"Wie konnten Sie sich unterstehen," sagen die andern Beamten, "den Brief
eines so hochgestellten Herrn zu öffnen?"

"Hochgestellter Herr?" erwidert der Postmeister. "Er ist überhaupt kein
Herr. Der Teufel mag wissen, was er ist."

Hier geräth der Gouverneur in sittliche Entrüstung. "Wissen Sie wohl,
daß er mein zukünftiger Schwiegersohn ist?" ruft er aus, "und daß ich Gene¬
ral werde, und daß ich Sie nach Sibirien schicken könnte, falls Sie in diesem
Ton reden?"

"Sibirien ist weit von hier." erwidert der Postmeister gelassen. "Lesen
Sie selber."

Die nächste Scene (dem .Mscmtlii-opö" in der Form nachgeahmt) ist von
erstaunlicher Komik. Der Brief enthält für jeden der Versammelten einen belei¬
digenden Satz. Der Gouverneur, sich bloßgestellt sehend, will über eine Stelle
hinwegsehen, aber der Postmeister nimmt ihm den Brief aus der Hand und
liest weiter. Dann als dieser ähnliche Nachsicht mit seinen Schwächen an den
Tag legen zu wollen scheint, wird ihm-das Document von dem Aufseher des
Hospitals weggenommen, der aber ebenfalls stockt, als bald darauf sein Name
erwähnt wird, und so weiter durch die ganze würdige Versammlung.

"Daß ich mich an der Nase herumführen ließ, wie merkwürdig!" ruft der
Gouverneur mit reizender Naivetät aus. "Ich, ein Mann, der dreißig Jahre
im Dienst und mit den geriebensten Spitzbuben der Welt zu thun gehabt hat.
Hin -- habe in meiner guten Zeit drei Intendanten üver's Ohr gehauen, ja
drei Intendanten, und einen Intendanten hinter's Licht zu führen, will etwas
sagen."

Darauf erhebt sich die Frage: "Wer sagte zuerst, daß dieser Schwindler
ein General-Revisor sei?" -- "Das waren Sie." -- "Nein, es war Bobtschinski."
-- "Nein, Dobtschinski war's." Und ein Unglücklicher, Namens Dobtschinski wird
eben als Sündenbock für das ganze Unglück vorgenommen, als plötzlich ein
Courier erscheint und den Herren meldet, daß der wirkliche Revisor eingetroffen
ist und sie sofort zu sehen wünscht. Die Wirkung dieser Botschaft kann man
sich vorstellen. Der Vorhang fällt unter allgemeiner Bestürzung.

Das zweite politische Lustspiel "Gore ot Ana," Kummer von Witz, meint
Mit seinem Titel nicht gerade das, was wir jetzt Witz nennen, sondern, was


ein, und zuletzt sind gar die Kranken im Spital aus ihren Betten gestiegen,
um ihr Leid vorzutragen, und schon sieht man sie an den Coulissen, als der
Vorhang fällt, und mit Recht; denn der „Revisor" ist ein Lustspiel.

Als Khlestatoff die Stadt verlassen hat. kommt eines Tages der Post¬
meister in die Versammlung der Beamten, in der Hand einen nach seiner Ge¬
wohnheit erbrocbncn Brief. Es ist eine Mittheilung Khlestakoffs an einen
Freund in Se. Petersburg.

„Wie konnten Sie sich unterstehen," sagen die andern Beamten, „den Brief
eines so hochgestellten Herrn zu öffnen?"

„Hochgestellter Herr?" erwidert der Postmeister. „Er ist überhaupt kein
Herr. Der Teufel mag wissen, was er ist."

Hier geräth der Gouverneur in sittliche Entrüstung. „Wissen Sie wohl,
daß er mein zukünftiger Schwiegersohn ist?" ruft er aus, „und daß ich Gene¬
ral werde, und daß ich Sie nach Sibirien schicken könnte, falls Sie in diesem
Ton reden?"

„Sibirien ist weit von hier." erwidert der Postmeister gelassen. „Lesen
Sie selber."

Die nächste Scene (dem .Mscmtlii-opö" in der Form nachgeahmt) ist von
erstaunlicher Komik. Der Brief enthält für jeden der Versammelten einen belei¬
digenden Satz. Der Gouverneur, sich bloßgestellt sehend, will über eine Stelle
hinwegsehen, aber der Postmeister nimmt ihm den Brief aus der Hand und
liest weiter. Dann als dieser ähnliche Nachsicht mit seinen Schwächen an den
Tag legen zu wollen scheint, wird ihm-das Document von dem Aufseher des
Hospitals weggenommen, der aber ebenfalls stockt, als bald darauf sein Name
erwähnt wird, und so weiter durch die ganze würdige Versammlung.

„Daß ich mich an der Nase herumführen ließ, wie merkwürdig!" ruft der
Gouverneur mit reizender Naivetät aus. „Ich, ein Mann, der dreißig Jahre
im Dienst und mit den geriebensten Spitzbuben der Welt zu thun gehabt hat.
Hin — habe in meiner guten Zeit drei Intendanten üver's Ohr gehauen, ja
drei Intendanten, und einen Intendanten hinter's Licht zu führen, will etwas
sagen."

Darauf erhebt sich die Frage: „Wer sagte zuerst, daß dieser Schwindler
ein General-Revisor sei?" — „Das waren Sie." — „Nein, es war Bobtschinski."
— „Nein, Dobtschinski war's." Und ein Unglücklicher, Namens Dobtschinski wird
eben als Sündenbock für das ganze Unglück vorgenommen, als plötzlich ein
Courier erscheint und den Herren meldet, daß der wirkliche Revisor eingetroffen
ist und sie sofort zu sehen wünscht. Die Wirkung dieser Botschaft kann man
sich vorstellen. Der Vorhang fällt unter allgemeiner Bestürzung.

Das zweite politische Lustspiel „Gore ot Ana," Kummer von Witz, meint
Mit seinem Titel nicht gerade das, was wir jetzt Witz nennen, sondern, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/404>, abgerufen am 08.01.2025.