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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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berichtet; ich denke seine Beschreibung wird Sie interessiren" und so weiter.
Dieser Postmeister hat bei der geschilderten Praxis Wind davon bekommen,
daß ein Generalrevisor im Begriff steht, ihnen einen Besuch zu machen, daß
derselbe der Träger geheimer Weisungen ist und daß er incognito reist. Auch
der Gouverneur der Stadt ist von der Ankunft des schrecklichen Mannes be¬
nachrichtigt, und alle Beamten des Ortes kommen zusammen, um sich über den
besten Plan zu besprechen, dem Abgesandten der Regierung Sand -- wofern,
erforderlich, Goldsand in die Augen zu streuen. "Letzte Nacht träumte mir
von Ratten", sagt der Chef, "ich wußte, daß etwas Fürchterliches im Anzug
wäre."

Zunächst empfiehlt der Gouverneur einige Vorsichtsmaßregeln; denn es ist
ganz unmöglich, daß der Erwartete sich nicht auf Bestechungen einlassen, son¬
dern streng nach seiner Pflicht verfahren sollte. "Wäre ich an Ihrer Stelle",
sagt er zu dem Aufseher des Hospitals, "so gäbe ich meinen Kranken reine
Nachtmützen. Der Revisor wird es vielleicht nicht gern haben, wenn sie wie
Schornsteinfeger aussehen, was gewöhnlich der Fall ist. Und dann würde ich
eine Schrift über jedes Bett setzen -- in Latein oder einer andern Sprache
-- welche das Datum, wo der Patient krank geworden, oder so was Ähn¬
liches angäbe. Auch würde ich weniger Kranke im Spital haben, weil man
sonst denken könnte, sie würden nicht gebührend behandelt."

"Was das Behandeln betrifft", erwidert der Aufseher, "so habe ich das
Alles mit dem Doctor arrangirt. Je einfacher die Behandlung, desto besser.
Wenn einer stirbt, so stirbt er, wenn er gesund wird, so wird er gesund.
Wir ahmen die Natur nach. Ueberdies aber, wie kann der Doctor mit den
Kranken über ihre Gebrechen reden, wo er nicht ein Wort Russisch ver¬
steht?"

Hier läßt der Arzt ein unverständliches Gemurmel vernehmen.

"Und Sie," fährt der Gouverneur, zum Richter gewendet, fort, "würde
es nicht ein guter Einfall sein, wenn Sie Ihre Gericktsstube in Ordnung
brächten? Sie halten Hühner drin. Die Hühnerzucht ist sicherlich eine ver¬
dienstliche Beschäftigung, aber -- ich weiß nicht, ich dächte, eine Gerichtsstube,
Sie verstehen mich, wäre nicht der rechte Ort dazu. Dann liegt da in dem
Verhörzimmer eine Jagdpeitsche auf dem Pulte unter den Acten. Ich weiß,
Sie sind Jagdliebhaber, und das ist ganz schön, aber es würde nichts schaden,
wenn Sie die Jagdpeitsche wegthäten. Sie tonnen sie ja wieder hinlegen,
wenn der Revisor abgereist ist. Sie haben außerdem andere Fehler, wie sie
natürlich Jedermann hat -- die Vorsehung hat das so gefügt, was auch die
Voltcnrianer dagegen sagen mögen -- aber Sie lassen sich wirtlich zu häufig
Jagdhunde schenken."

"Jagdhunde!" entgegnet der Richter. "Na wirklich, was wollen ein paar


Grenzboten II. 1362. 50

berichtet; ich denke seine Beschreibung wird Sie interessiren" und so weiter.
Dieser Postmeister hat bei der geschilderten Praxis Wind davon bekommen,
daß ein Generalrevisor im Begriff steht, ihnen einen Besuch zu machen, daß
derselbe der Träger geheimer Weisungen ist und daß er incognito reist. Auch
der Gouverneur der Stadt ist von der Ankunft des schrecklichen Mannes be¬
nachrichtigt, und alle Beamten des Ortes kommen zusammen, um sich über den
besten Plan zu besprechen, dem Abgesandten der Regierung Sand — wofern,
erforderlich, Goldsand in die Augen zu streuen. „Letzte Nacht träumte mir
von Ratten", sagt der Chef, „ich wußte, daß etwas Fürchterliches im Anzug
wäre."

Zunächst empfiehlt der Gouverneur einige Vorsichtsmaßregeln; denn es ist
ganz unmöglich, daß der Erwartete sich nicht auf Bestechungen einlassen, son¬
dern streng nach seiner Pflicht verfahren sollte. „Wäre ich an Ihrer Stelle",
sagt er zu dem Aufseher des Hospitals, „so gäbe ich meinen Kranken reine
Nachtmützen. Der Revisor wird es vielleicht nicht gern haben, wenn sie wie
Schornsteinfeger aussehen, was gewöhnlich der Fall ist. Und dann würde ich
eine Schrift über jedes Bett setzen — in Latein oder einer andern Sprache
— welche das Datum, wo der Patient krank geworden, oder so was Ähn¬
liches angäbe. Auch würde ich weniger Kranke im Spital haben, weil man
sonst denken könnte, sie würden nicht gebührend behandelt."

„Was das Behandeln betrifft", erwidert der Aufseher, „so habe ich das
Alles mit dem Doctor arrangirt. Je einfacher die Behandlung, desto besser.
Wenn einer stirbt, so stirbt er, wenn er gesund wird, so wird er gesund.
Wir ahmen die Natur nach. Ueberdies aber, wie kann der Doctor mit den
Kranken über ihre Gebrechen reden, wo er nicht ein Wort Russisch ver¬
steht?"

Hier läßt der Arzt ein unverständliches Gemurmel vernehmen.

„Und Sie," fährt der Gouverneur, zum Richter gewendet, fort, „würde
es nicht ein guter Einfall sein, wenn Sie Ihre Gericktsstube in Ordnung
brächten? Sie halten Hühner drin. Die Hühnerzucht ist sicherlich eine ver¬
dienstliche Beschäftigung, aber — ich weiß nicht, ich dächte, eine Gerichtsstube,
Sie verstehen mich, wäre nicht der rechte Ort dazu. Dann liegt da in dem
Verhörzimmer eine Jagdpeitsche auf dem Pulte unter den Acten. Ich weiß,
Sie sind Jagdliebhaber, und das ist ganz schön, aber es würde nichts schaden,
wenn Sie die Jagdpeitsche wegthäten. Sie tonnen sie ja wieder hinlegen,
wenn der Revisor abgereist ist. Sie haben außerdem andere Fehler, wie sie
natürlich Jedermann hat — die Vorsehung hat das so gefügt, was auch die
Voltcnrianer dagegen sagen mögen — aber Sie lassen sich wirtlich zu häufig
Jagdhunde schenken."

„Jagdhunde!" entgegnet der Richter. „Na wirklich, was wollen ein paar


Grenzboten II. 1362. 50
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/401>, abgerufen am 08.01.2025.