Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.So -- nicht eingewiegt, nach der gemeinen Weise der Idealisten, in leere Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, Fichte's Name ist im Wechsel ge¬ 49"
So — nicht eingewiegt, nach der gemeinen Weise der Idealisten, in leere Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, Fichte's Name ist im Wechsel ge¬ 49"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114175"/> <p xml:id="ID_1253"> So — nicht eingewiegt, nach der gemeinen Weise der Idealisten, in leere<lb/> Illusionen, aber auch nicht ohne frohe Hoffnung ist Fichte in den Tod gegangen<lb/> für sein Land. Welch ein Wandel seit den Tagen der Revolutivnst'riege, da<lb/> er der Geliebten noch vorhielt, daß sie gleichgiltig sei gegen die Welthändel.<lb/> Der Schwung der großen Zeit, die opferbereite Empfindung weiblichen Mitge-<lb/> gefühls führt jetzt Johanna Fichte unter die wunden Krieger der Berliner Hos¬<lb/> pitäler. Alle guten und großen Worte des Gatten von der Macht der gött¬<lb/> lichen Gnade werden ihr lebendig und strömen von ihrem Munde, da sie die<lb/> unbärtiger Jünglinge der Landwehr mit dem hitzigen Fieber ringen, in letzter<lb/> Schwäche, in unbezwinglichen Heimweh die Heilung von sich weisen sieht. An den<lb/> ersten Tagen des Jahres 1814 bringt sie das Fieber in ihr Haus. Einen Tag<lb/> lang verweilt der Gatte an ihrem Lager, eröffnet dann gefaßt seine Vorlesungen<lb/> und findet, zurückgekehrt, die Todtgeglaubte — gerettet. In diesen Stunden<lb/> des Wiedersehens, meint der Sohn, mag den starken Mann der Tod beschli-<lb/> chen haben. In seine letzten Fieberträume siel noch die Kunde von der Neu¬<lb/> jahrsnacht, 1814, da Blücher bei der Pfalz am Rheine den Grenzstrom über¬<lb/> schritt und das feindliche Ufer wiederhallte , von den Hurrahrufen der preußischen<lb/> Landwehr. Unter solchem Trostdonner von kriegerischer Größe ist der streitbare<lb/> Denker verschieden am 27. Jan. 1814. Sein Lob mag er selber sagen: „Un¬<lb/> ser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der<lb/> Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei und von ihnen<lb/> begeistert." Und nirgends lauter soll dies Lob ertönen, als in Fichte's Heimath.<lb/> Denn ist es ein schweres Unglück dieses Landes, daß wir nicht Theil genommen<lb/> an dem größten Kampfe der neueren Deutschen — ein Fluch, dessen geheimes<lb/> Fortwirken der ernste Beobachter noch heute in dem sächsischen Staate erkennen<lb/> mag — so mögen wir doch mit einigem Stolze sagen, daß wir einen Fichte<lb/> gesendet in die Reihen der Streiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, Fichte's Name ist im Wechsel ge¬<lb/> priesen worden und geschmäht, ist aufgetaucht und wieder verschwunden. Sagen<lb/> Sie nicht, daß ich die Feier dieses Tages durch eine gemeine Erinnerung trübe.<lb/> Meine Pflicht ist es, zu erzählen, wie der deutsche Bund Fichte's Namen in den<lb/> Koth getreten; denn nicht oft genug kann der Deutsche hören, wie tief dies<lb/> Volk entwürdigt worden, damit er ermesse, wie ernst und berechtigt die Arbeit<lb/> derer sei, welche heute daran gehen dem Jammer des deutschen Bundestages<lb/> ein Ziel zu setzen. Viel zu milde, leider, lautet das landläufige Urtheil, daß<lb/> unser Volk mit Undank belohnt worden für die Errettung der Throne, die sein<lb/> Blut erkauft. Als'ein Verbrechen vielmehr — warum das längst Erwiesene<lb/> verbergen? — als ein Verbrechen ward in Frankfurt der deutsche Freiheitskrieg<lb/> betrachtet. Da die Central - Untersuchungs - Commission zu Mainz den unbe-<lb/> lchämten Augen des Bundestages die demagogischen Umtriebe darlegte, standen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 49"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0395]
So — nicht eingewiegt, nach der gemeinen Weise der Idealisten, in leere
Illusionen, aber auch nicht ohne frohe Hoffnung ist Fichte in den Tod gegangen
für sein Land. Welch ein Wandel seit den Tagen der Revolutivnst'riege, da
er der Geliebten noch vorhielt, daß sie gleichgiltig sei gegen die Welthändel.
Der Schwung der großen Zeit, die opferbereite Empfindung weiblichen Mitge-
gefühls führt jetzt Johanna Fichte unter die wunden Krieger der Berliner Hos¬
pitäler. Alle guten und großen Worte des Gatten von der Macht der gött¬
lichen Gnade werden ihr lebendig und strömen von ihrem Munde, da sie die
unbärtiger Jünglinge der Landwehr mit dem hitzigen Fieber ringen, in letzter
Schwäche, in unbezwinglichen Heimweh die Heilung von sich weisen sieht. An den
ersten Tagen des Jahres 1814 bringt sie das Fieber in ihr Haus. Einen Tag
lang verweilt der Gatte an ihrem Lager, eröffnet dann gefaßt seine Vorlesungen
und findet, zurückgekehrt, die Todtgeglaubte — gerettet. In diesen Stunden
des Wiedersehens, meint der Sohn, mag den starken Mann der Tod beschli-
chen haben. In seine letzten Fieberträume siel noch die Kunde von der Neu¬
jahrsnacht, 1814, da Blücher bei der Pfalz am Rheine den Grenzstrom über¬
schritt und das feindliche Ufer wiederhallte , von den Hurrahrufen der preußischen
Landwehr. Unter solchem Trostdonner von kriegerischer Größe ist der streitbare
Denker verschieden am 27. Jan. 1814. Sein Lob mag er selber sagen: „Un¬
ser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der
Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei und von ihnen
begeistert." Und nirgends lauter soll dies Lob ertönen, als in Fichte's Heimath.
Denn ist es ein schweres Unglück dieses Landes, daß wir nicht Theil genommen
an dem größten Kampfe der neueren Deutschen — ein Fluch, dessen geheimes
Fortwirken der ernste Beobachter noch heute in dem sächsischen Staate erkennen
mag — so mögen wir doch mit einigem Stolze sagen, daß wir einen Fichte
gesendet in die Reihen der Streiter.
Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, Fichte's Name ist im Wechsel ge¬
priesen worden und geschmäht, ist aufgetaucht und wieder verschwunden. Sagen
Sie nicht, daß ich die Feier dieses Tages durch eine gemeine Erinnerung trübe.
Meine Pflicht ist es, zu erzählen, wie der deutsche Bund Fichte's Namen in den
Koth getreten; denn nicht oft genug kann der Deutsche hören, wie tief dies
Volk entwürdigt worden, damit er ermesse, wie ernst und berechtigt die Arbeit
derer sei, welche heute daran gehen dem Jammer des deutschen Bundestages
ein Ziel zu setzen. Viel zu milde, leider, lautet das landläufige Urtheil, daß
unser Volk mit Undank belohnt worden für die Errettung der Throne, die sein
Blut erkauft. Als'ein Verbrechen vielmehr — warum das längst Erwiesene
verbergen? — als ein Verbrechen ward in Frankfurt der deutsche Freiheitskrieg
betrachtet. Da die Central - Untersuchungs - Commission zu Mainz den unbe-
lchämten Augen des Bundestages die demagogischen Umtriebe darlegte, standen
49"
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |