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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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weil uns Fichte hier entgegentritt als der erste Verkündiger jener Ideen, weiche
heute Deutschlands nationale Partei bewegen. Ein Parteimann freilich im heu¬
tigen Sinne ist Fichte nie gewesen, ihm war es zu thun um Klarheit und
Einsicht, "daß diese Gedanken nicht untergehen in der Welt." Aber kein Partei¬
mann unsrer Tage mag das tödtliche Leiden unsres Volkes, daß es media tisirt
ist, klarer bezeichnen als Er mit den Worten, das deutsche Volk habe bisher an
Deutschland einen Antheil nur genommen durch seine Fürsten. Und Er,
der demokratische Theoretiker, gesteht, es handle sich unter den Verhältnissen des
Augenblicks nicht um eine Republik, sondern um das Kaiserthum, um das Ab¬
wenden der Gefahr, daß "alles beim Alten bleibe," das deutsche Volt wiederum
nur in seinen Fürsten politisch vertreten sei. Oestreich kann die Hand nie er¬
heben zu dieser Würde, weil sein Kaiser durch sein Hausinteresse gezwungen ist
"deutsche Kraft zu gebrauchen für seine persönlichen Zwecke". Preußen aber "ist
ein eigentlich deutscher Staat, hat als Kaiser durchaus kein Interesse zu unter¬
jochen, ungerecht zu sein.'. . . Der Geist seiner bisherigen Geschichte zwingt
es fortzuschreiten in der Freiheit, in den Schritten zum Reich. . . . Sonst geht
es zu Grunde." Desselbigen Sinnes sind die Vorlesungen seines letzten Sommers
über die Staatslehre. Mit prophetischer Kühnheit.bezeichnen sie als ein Gesetz
der sittlichen Welt, daß ein Volk gebildet werde durch gemeinsame Geschichte;
daß aus dieser Bildung sich entwickeln solle ein Reich, wodurch die alte Schule
des Volks, der Einzelstaat, überflüssig werde; daß endlich wer da eingreife in
diese Bildung als Feind zu betrachten sei. Näher eingehend auf die Bewegung
des Augenblicks schildert er das Wesen des gewaltigen Feindes, der unter den
Ideenlosen' der Klügste, der Kühnste, der Unermüdlichste, begeistert für sich selber,
nur zu besiegen ist durch die Begeisterung für die Freiheit. So stimmt auch Fichte
mit ein in die Meinung unsrer großen Staatsmänner, welche erkannten, baß die
Revolution in ihrem furchtbarsten Vertreter bekämpft werden müsse mit ihren
eigenen Waffen. Fast gewaltsam unterdrückt er den unabweislichen Argwohn
gegen die drohende Rückkehr der alten Zeit. Nicht ungerügt freilich läßt er
es hingehn, daß man in solchem Kampfe noch "gotteslästerlich" von Unterthanen
rede, daß die Formel "mit Gott für König und Vaterland" den Fürsten gleich¬
sam des Vaterlandes beraube. Nicht ohne Rüge mag er dies lassen, der so hoch
denkt von diesem Staate, daß er dem König von Preußen die Frage zuwirft,
ob nicht Er als "der Zwingherr zur Deutschheit" auftreten wolle. Aber alle
solche Makel der großen Erhebung gilt es als schlimme alte Gewohnheiten zu
übersehen; "dem Gebildeten soll sich das Herz erheben beim Anbruche seines Va¬
terlandes." Beim Anbruche seines Vaterlandes -- die aus der Ferne leiden¬
schaftslos zurückblickende Gegenwart mag diese schöne Bezeichnung der Freiheits¬
kriege bestätigen, welche die hart enttäuschten Zeitgenossen kummervoll zurück¬
nahmen.


weil uns Fichte hier entgegentritt als der erste Verkündiger jener Ideen, weiche
heute Deutschlands nationale Partei bewegen. Ein Parteimann freilich im heu¬
tigen Sinne ist Fichte nie gewesen, ihm war es zu thun um Klarheit und
Einsicht, „daß diese Gedanken nicht untergehen in der Welt." Aber kein Partei¬
mann unsrer Tage mag das tödtliche Leiden unsres Volkes, daß es media tisirt
ist, klarer bezeichnen als Er mit den Worten, das deutsche Volk habe bisher an
Deutschland einen Antheil nur genommen durch seine Fürsten. Und Er,
der demokratische Theoretiker, gesteht, es handle sich unter den Verhältnissen des
Augenblicks nicht um eine Republik, sondern um das Kaiserthum, um das Ab¬
wenden der Gefahr, daß „alles beim Alten bleibe," das deutsche Volt wiederum
nur in seinen Fürsten politisch vertreten sei. Oestreich kann die Hand nie er¬
heben zu dieser Würde, weil sein Kaiser durch sein Hausinteresse gezwungen ist
„deutsche Kraft zu gebrauchen für seine persönlichen Zwecke". Preußen aber „ist
ein eigentlich deutscher Staat, hat als Kaiser durchaus kein Interesse zu unter¬
jochen, ungerecht zu sein.'. . . Der Geist seiner bisherigen Geschichte zwingt
es fortzuschreiten in der Freiheit, in den Schritten zum Reich. . . . Sonst geht
es zu Grunde." Desselbigen Sinnes sind die Vorlesungen seines letzten Sommers
über die Staatslehre. Mit prophetischer Kühnheit.bezeichnen sie als ein Gesetz
der sittlichen Welt, daß ein Volk gebildet werde durch gemeinsame Geschichte;
daß aus dieser Bildung sich entwickeln solle ein Reich, wodurch die alte Schule
des Volks, der Einzelstaat, überflüssig werde; daß endlich wer da eingreife in
diese Bildung als Feind zu betrachten sei. Näher eingehend auf die Bewegung
des Augenblicks schildert er das Wesen des gewaltigen Feindes, der unter den
Ideenlosen' der Klügste, der Kühnste, der Unermüdlichste, begeistert für sich selber,
nur zu besiegen ist durch die Begeisterung für die Freiheit. So stimmt auch Fichte
mit ein in die Meinung unsrer großen Staatsmänner, welche erkannten, baß die
Revolution in ihrem furchtbarsten Vertreter bekämpft werden müsse mit ihren
eigenen Waffen. Fast gewaltsam unterdrückt er den unabweislichen Argwohn
gegen die drohende Rückkehr der alten Zeit. Nicht ungerügt freilich läßt er
es hingehn, daß man in solchem Kampfe noch „gotteslästerlich" von Unterthanen
rede, daß die Formel „mit Gott für König und Vaterland" den Fürsten gleich¬
sam des Vaterlandes beraube. Nicht ohne Rüge mag er dies lassen, der so hoch
denkt von diesem Staate, daß er dem König von Preußen die Frage zuwirft,
ob nicht Er als „der Zwingherr zur Deutschheit" auftreten wolle. Aber alle
solche Makel der großen Erhebung gilt es als schlimme alte Gewohnheiten zu
übersehen; „dem Gebildeten soll sich das Herz erheben beim Anbruche seines Va¬
terlandes." Beim Anbruche seines Vaterlandes — die aus der Ferne leiden¬
schaftslos zurückblickende Gegenwart mag diese schöne Bezeichnung der Freiheits¬
kriege bestätigen, welche die hart enttäuschten Zeitgenossen kummervoll zurück¬
nahmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/394>, abgerufen am 08.01.2025.