Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.in diesen schwülen Tagen der Erwartung ein glühender Aufruf aus Fichte's Aber als die Kunde erscholl von den herrlichsten deutschen Siegen, von den Grenzboten II. IL62. 49
in diesen schwülen Tagen der Erwartung ein glühender Aufruf aus Fichte's Aber als die Kunde erscholl von den herrlichsten deutschen Siegen, von den Grenzboten II. IL62. 49
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in diesen schwülen Tagen der Erwartung ein glühender Aufruf aus Fichte's
Munde wie ein Blitzstrahl einschlagen sollte? — schlicht und ernst, wie nach
einem großen Entschlüsse, tritt er endlich am 19. Febr. 1813 vor seine Stu¬
denten. Nur selten berichten die lauten Annalen der Geschichte von dem Edel¬
sten und Eigenthümlichsten der großen historischen Wandlungen. So ist auch das
Herrlichste der reinsten politischen Bewegung, die je unser Volk erhob, noch nicht
nach Gebühr gewürdigt -— jener Geist schlichter, gefaßter Manneszucht, der das
Ungeheure vollzog so ruhig, so frei von jedem falschen Pathos, wie die Er¬
füllung alltäglicher Bürgerpflichten. Nichts staunenswürdiger an diesen einzigen
Tagen, als jener ernste, zuversichtliche Gehorsam, der unser Volt selbst dann
noch beherrschte, da die hochgehenden Wogen volkstümlicher Entrüstung die
Decke sprengten, die sie lange gehemmt. Ein Heldenmuth ist es, natürlich, selbst¬
verständlich in den Tagen tiefer Bewegung, dem Nohre der feindlichen Kanone
freudig ins Gesicht zu blicken! aber jedes Wort des Preises verstummt vor der
mannhaften Selbstbeherrschung, die unsre Väter beseelte. Ais ein Heißsporn
des ostpreußischen Landtags die Genossen frug: „wie nun, meine Herrn, wenn
der König den Krieg nicht erklärt?" — Da erwiderte ihm Theodor von
Schön: „dann gehen wir ruhig nach Hause." Durchaus getränkt von diesem
Geiste ernster Bürgerpflicht war auch die Rede, die Fichte in diesen gewaltig
erregten Tagen an seine Hörer richtete. Er habe, gesteht er, lange geschwankt,
ehe er mit solchem Worte vor seine Schüler getreten. Die Wissenschaft aller¬
dings sei die stärkste Waffe gegen das Böse, und in diesem Kampfe würden
Siege erfochten, dauernd für alle Zeit. Aber zu dem geistigen Streite bedürfe
es des circhern und des innern Friedens; und nur darum, weil diese Ruhe des
Gemüthes ihn selber, trotz vielfacher Uebung in der Selbstbesinnung, zu ver¬
lassen beginne, schließe er jetzt seine Vorlesungen — das einfache Wort genügte
die Jünglinge in die Reihen der Freiwilligen zu führen. Noch einmal ist ihm
dann der Gedanke gekommen, als ein Redner in das Lager zu gehen — noch
einmal vergeblich. Dann ist Fichte krank und halbgelähmt, mit den gelehrten
Genossen und dem kaum mannbaren Sohne, in den Landsturm getreten; Lanze
und Säbel lehnten nun an der Thüre des Philosophen.
Aber als die Kunde erscholl von den herrlichsten deutschen Siegen, von den
Tagen von Hagelsbcrg und Dennewitz, selbst dann hat er nicht gelassen von der
alten tüchtigen Weise, den Dingen nachzudenken bis zum Ende. Alsbald nach
dem Aufrufe des Königs an sein Volk'schreibt er jenen Entwurf einer po¬
litischen Schrift, der uns unschätzbar ist nicht blos als ein Denkmal sei¬
nes Geistes — denn hier, in der That, sehen wir ihn pochen und gra¬
ben nach der Wahrheit, den Verlauf der angestrengten Arbeit unterbrechen
mit einem nachdenklichen „Halt, dies schärfer" und die Schlacken der er¬
gründeten Wahrheit aus der Grube emporwerfen — sondern mehr noch,
Grenzboten II. IL62. 49
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