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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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einigen Beifall gefunden. Kaum günstiger urtheilte der Redner selbst über die
Wirkung seines Wortes aus die "tiefverderbte" Zeit. Denn es ist das tragische
Geschick großer Männer, daß sie ihren eignen Geist nicht wieder'erkennen, wenn
er von den Zeitgenossen empfangen und umgeformt wird zu anderen Gestalten,
als sie meinten. Pestalozzi's Erziehungssystem war es freilich nicht, das unser
Volk zu dem Befreiungskampfe stählte; und dennoch war der Redner an die
deutsche Nation nur der Mund des Volks gewesen, er hatte nur dem, was jedes
Herz bewegte, einen kühnen hochgebildeten Ausdruck geliehen. Denn was war
es anders, als jene höhere Vaterlandsliebe, die der noch ungeborenen Enkel
denkt -- was anders war es, das den Landwehrmann von Haus und Hos und
Weib und Kindern trieb, das unsre Mütter bewegte alles köstliche Gut der Erde
bis zu dem Ringe des Geliebten für ihr Land dahinzugeben? Was anders
war es, als daß sie unser gedachten? In diesem Sinne -- denn wer ermißt
die tausend geheimnißvollen Kanäle, welche das durchdachte Wort des Philo¬
sophen fortleiteten in die Hütte des Bauern? -- in diesem Sinn hat Fichte'S
Wort gezündet, und. die Kundigen stimmten ein, wenn Friedrich Gentz, der Geg¬
ner, sagte: "so wahr, tief und groß hat wohl noch Niemand von der deutschen
Nation gesprochen."

Wieder kamen Jahre stiller Arbeit. Unter den. Ersten wirkte Fichte bei
der Gründung der Berliner Hochschule, die dem erwachenden neuen Geiste ein
Herd sein sollte. Ein Glück vielleicht, daß Wilhelm Humboldt, als ein beson¬
nener Staatsmann, statt an die verwegenen Pläne des Philosophen anknüpfte
an die altbewährten Ueberlieferungen deutscher Hochschulen. Ein Glück auch,
daß Fichte sein Rectorat niederlegte, weil er nicht Nachsicht üben wollte mit
alten unseligen Unsitten der Jugend. Die gewohnte Macht über die jugend¬
lichen Gemüther blieb ihm nach wie vor. Er nutzte sie, den Keim zu legen zu
der deutschen Burschenschaft und warnte die Gesellschaft der "Deutschen Jünger"
vor jenen beiden Irrthümern, welche später die Burschenschaft lähmten: sie
sollten sich hüten, mittelalterlich und deutsch zu verwechseln, und sorgen, daß
das Mittel -- die Verbindung -- ihnen nicht wichtiger werde als der Zweck
-- die Belebung deutschen Sinnes. --

Endlich erfüllten sich die Zeiten; dies Geschlecht, das er verloren gab,
fand sich wieder; denn so tief war es nie gesunken, als der Idealist meinte.
Die Trümmer der großen Armee kehrten aus Rußland beim, die Provinz Preu¬
ßen stand in Waffen, der ostpreußische Landtag harrte aus das Wort des Königs.
Der König erließ von Breslau den Ausruf zur Bildung von Freiwilligen-
Corps; aber noch war der Krieg an Frankreich nicht erklärt. Aus jeder Straße begeg¬
neten dem französischen Gensdarmen dichte Haufen still drohender Bauern, die
zu den Fahnen zogen; und Fichte's Schüler zitterten vor Ungeduld dem Rufe
des Königs zu folgen, doch sie warteten des Lehrers. Meinen Sie nicht, daß


einigen Beifall gefunden. Kaum günstiger urtheilte der Redner selbst über die
Wirkung seines Wortes aus die „tiefverderbte" Zeit. Denn es ist das tragische
Geschick großer Männer, daß sie ihren eignen Geist nicht wieder'erkennen, wenn
er von den Zeitgenossen empfangen und umgeformt wird zu anderen Gestalten,
als sie meinten. Pestalozzi's Erziehungssystem war es freilich nicht, das unser
Volk zu dem Befreiungskampfe stählte; und dennoch war der Redner an die
deutsche Nation nur der Mund des Volks gewesen, er hatte nur dem, was jedes
Herz bewegte, einen kühnen hochgebildeten Ausdruck geliehen. Denn was war
es anders, als jene höhere Vaterlandsliebe, die der noch ungeborenen Enkel
denkt — was anders war es, das den Landwehrmann von Haus und Hos und
Weib und Kindern trieb, das unsre Mütter bewegte alles köstliche Gut der Erde
bis zu dem Ringe des Geliebten für ihr Land dahinzugeben? Was anders
war es, als daß sie unser gedachten? In diesem Sinne — denn wer ermißt
die tausend geheimnißvollen Kanäle, welche das durchdachte Wort des Philo¬
sophen fortleiteten in die Hütte des Bauern? — in diesem Sinn hat Fichte'S
Wort gezündet, und. die Kundigen stimmten ein, wenn Friedrich Gentz, der Geg¬
ner, sagte: „so wahr, tief und groß hat wohl noch Niemand von der deutschen
Nation gesprochen."

Wieder kamen Jahre stiller Arbeit. Unter den. Ersten wirkte Fichte bei
der Gründung der Berliner Hochschule, die dem erwachenden neuen Geiste ein
Herd sein sollte. Ein Glück vielleicht, daß Wilhelm Humboldt, als ein beson¬
nener Staatsmann, statt an die verwegenen Pläne des Philosophen anknüpfte
an die altbewährten Ueberlieferungen deutscher Hochschulen. Ein Glück auch,
daß Fichte sein Rectorat niederlegte, weil er nicht Nachsicht üben wollte mit
alten unseligen Unsitten der Jugend. Die gewohnte Macht über die jugend¬
lichen Gemüther blieb ihm nach wie vor. Er nutzte sie, den Keim zu legen zu
der deutschen Burschenschaft und warnte die Gesellschaft der „Deutschen Jünger"
vor jenen beiden Irrthümern, welche später die Burschenschaft lähmten: sie
sollten sich hüten, mittelalterlich und deutsch zu verwechseln, und sorgen, daß
das Mittel — die Verbindung — ihnen nicht wichtiger werde als der Zweck
— die Belebung deutschen Sinnes. —

Endlich erfüllten sich die Zeiten; dies Geschlecht, das er verloren gab,
fand sich wieder; denn so tief war es nie gesunken, als der Idealist meinte.
Die Trümmer der großen Armee kehrten aus Rußland beim, die Provinz Preu¬
ßen stand in Waffen, der ostpreußische Landtag harrte aus das Wort des Königs.
Der König erließ von Breslau den Ausruf zur Bildung von Freiwilligen-
Corps; aber noch war der Krieg an Frankreich nicht erklärt. Aus jeder Straße begeg¬
neten dem französischen Gensdarmen dichte Haufen still drohender Bauern, die
zu den Fahnen zogen; und Fichte's Schüler zitterten vor Ungeduld dem Rufe
des Königs zu folgen, doch sie warteten des Lehrers. Meinen Sie nicht, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/392>, abgerufen am 08.01.2025.