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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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wenn er in stürmischen Versen die Enkel der Cohortenstürmer, die Römerüber-
winderbrut zum Kampfe rief. Und er selber war es, der Fichte die höhnen¬
den Verse ins Gesicht warf:


sehet, ihr träfe's mit euerer Kunst und zöge uns die Jugend
nun zu Männern wie ihr: liebe Freunde, was wär's?

Wenn er seine Adler geschändet sah von den Fremden, wie mochte der
stolze Offizier ertragen, daß dieser Schulmeister herantrat, die Nöthe des Augen¬
blicks durch die Erziehung des weidenden Geschlechts zu heilen? Und dennoch
haben sie zusammengewirkt, die Männer, die sich befehdeten und schalten, ein¬
trächtig in dem Kampfe der Idee gegen das Interesse, der Idee des Nolks-
thums wider das Interesse der nackten Gewalt.

Schon vor der Schlacht von Jena hatte sich Fichte erbeten mit dem aus¬
rückenden Heere als weltlicher Prediger und Redner zu marschiren, denn was
-- ruft er in seiner kecken, die Weihe des Gedanken mitten in die matte Wirk¬
lichkeit hineintragenden Weise -- "was ist der Charakter des Kriegers? Opfern
muß er sich können-, bei ihm kann gar nicht ausgehen die Erhebung zu etwas,
das über dies Leben hinaus liegt." Doch das letzte Heer des alten Regimes
hätte solchen Geist nicht ertragen. Die Stunden der Schande waren ge¬
kommen, Fichte war aus Berlin geflohen, weil er "seinen Rücken nicht unter
das Joch des Treibers beugen wollte", und auch ihn hatte jetzt auf Augen¬
blicke die Verzweiflung überwältigt, da er zufrieden sein wollte, ein ruhiges
Plätzchen zu finden, und es den Enkeln überlassen wollte, zureden -- "wenn
bis dahin Ohren wachsen sie zu hören"! Nicht die Zuversicht fand er wieder,
aber die Stärke des Pflichtgefühls, als er nach dem Frieden dennoch redete zu
den Lebendigen ohne Hoffnung für sie, "damit vielleicht unsre Nachkommen thun
was wir einsehen, weil wir leiden, -weil unsre Väter träumten". In Stun¬
den einsamer Sammlung war nun sein ganzes Wesen "geweiht, geheiligt"; der
alte Grundgedanke seines Lebens, in eigener Person das Absolute zu sein und
zu leben, findet in dieser weihevollen Stimmung eine neue religiöse Form, er¬
scheint ihm als die Pflicht "des Lebens in Gott." Rettung um jeden Preis
-- dieser ungeheuren Nothwendigkeit, die leuchtend vor seiner Seele stand, hatte
er sogar Manches geopfert von der Starrheit des Theoretikers; konnte er doch
jetzt Machiavelli preisen, der von der entgegengesetzten, der niedrigsten. Schä¬
tzung des Menschenwerthes, zu dem gleichen Endziele gelangte, der Rettung des
großen Ganzen auf Kosten jeder Neigung des Einzelnen. Gereift und gefestigt
ward dieser Jdeengang, als Fichte jetzt sich schulte an den großartig einfachen
Mitteln uralter Menschenbildung, an Luthers Bibel und an der knappen Form,
der herben Sittenstrenge des Tacitus. Also ^vorbereitet hielt er im Winter
1807/8, belauscht von fremden Horchern, oft unterbrochen von den Trommeln
der französischen Besatzung zu Berlin, die "Reden an die deutsche Nation." Sie


wenn er in stürmischen Versen die Enkel der Cohortenstürmer, die Römerüber-
winderbrut zum Kampfe rief. Und er selber war es, der Fichte die höhnen¬
den Verse ins Gesicht warf:


sehet, ihr träfe's mit euerer Kunst und zöge uns die Jugend
nun zu Männern wie ihr: liebe Freunde, was wär's?

Wenn er seine Adler geschändet sah von den Fremden, wie mochte der
stolze Offizier ertragen, daß dieser Schulmeister herantrat, die Nöthe des Augen¬
blicks durch die Erziehung des weidenden Geschlechts zu heilen? Und dennoch
haben sie zusammengewirkt, die Männer, die sich befehdeten und schalten, ein¬
trächtig in dem Kampfe der Idee gegen das Interesse, der Idee des Nolks-
thums wider das Interesse der nackten Gewalt.

Schon vor der Schlacht von Jena hatte sich Fichte erbeten mit dem aus¬
rückenden Heere als weltlicher Prediger und Redner zu marschiren, denn was
— ruft er in seiner kecken, die Weihe des Gedanken mitten in die matte Wirk¬
lichkeit hineintragenden Weise — „was ist der Charakter des Kriegers? Opfern
muß er sich können-, bei ihm kann gar nicht ausgehen die Erhebung zu etwas,
das über dies Leben hinaus liegt." Doch das letzte Heer des alten Regimes
hätte solchen Geist nicht ertragen. Die Stunden der Schande waren ge¬
kommen, Fichte war aus Berlin geflohen, weil er „seinen Rücken nicht unter
das Joch des Treibers beugen wollte", und auch ihn hatte jetzt auf Augen¬
blicke die Verzweiflung überwältigt, da er zufrieden sein wollte, ein ruhiges
Plätzchen zu finden, und es den Enkeln überlassen wollte, zureden — „wenn
bis dahin Ohren wachsen sie zu hören"! Nicht die Zuversicht fand er wieder,
aber die Stärke des Pflichtgefühls, als er nach dem Frieden dennoch redete zu
den Lebendigen ohne Hoffnung für sie, „damit vielleicht unsre Nachkommen thun
was wir einsehen, weil wir leiden, -weil unsre Väter träumten". In Stun¬
den einsamer Sammlung war nun sein ganzes Wesen „geweiht, geheiligt"; der
alte Grundgedanke seines Lebens, in eigener Person das Absolute zu sein und
zu leben, findet in dieser weihevollen Stimmung eine neue religiöse Form, er¬
scheint ihm als die Pflicht „des Lebens in Gott." Rettung um jeden Preis
— dieser ungeheuren Nothwendigkeit, die leuchtend vor seiner Seele stand, hatte
er sogar Manches geopfert von der Starrheit des Theoretikers; konnte er doch
jetzt Machiavelli preisen, der von der entgegengesetzten, der niedrigsten. Schä¬
tzung des Menschenwerthes, zu dem gleichen Endziele gelangte, der Rettung des
großen Ganzen auf Kosten jeder Neigung des Einzelnen. Gereift und gefestigt
ward dieser Jdeengang, als Fichte jetzt sich schulte an den großartig einfachen
Mitteln uralter Menschenbildung, an Luthers Bibel und an der knappen Form,
der herben Sittenstrenge des Tacitus. Also ^vorbereitet hielt er im Winter
1807/8, belauscht von fremden Horchern, oft unterbrochen von den Trommeln
der französischen Besatzung zu Berlin, die „Reden an die deutsche Nation." Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/389>, abgerufen am 08.01.2025.