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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Konsistorium des Atheismus bezüchtigte und ihn aus Jena vertrieb, weil er
nicht im Stande war den Schein des Unrechts auf sich zu nehmen, wo sein
Gewissen ihm Recht gab. Da wollte es eine glückliche Fügung, daß der Nath
des Ministers Dohm thu nach Preußen führte, in den Staat, der gerade diesem
Manne eine Heimath werden mußte. Nimmermehr sollen wir Fichte's gedenken
ohne diesen Staat zu preisen, der den Lehrer und Philosophen zum Patrioten bildete.

Ein strenger Geist harter Pflichterfüllung' war diesem Volke eingeprägt
durch das Wirken willensstarkcr Fürsten, fast unmenschlich schwer die Lasten, die
auf Gut und Blut der Bürger drückten. Was Andere schreckte, Fichte zog es
an. Nur das Eine mochte ihn abstoßen, daß jener Sinn der Strenge schon zu
weichen begann, daß zu Berlin bereits ein Schwelgen in weichlichen unpoetischen
Empfindungen, eine seichte selbstzufriedene Aufklärung sich brüstete, deren Haupt
Nicolai unser Held bereits in einer seiner tvdtschlagenden humorlosen Streit¬
schriften gezüchtigt hatte. Ein rührender Anblick, wie nun der Kühnste der .
deutschen Idealisten den schweren Weg sich bahnt, den alle Deutsche jener Tage
zu durchschreiten hatten, den Weg von der Erkenntniß der menschlichen Freiheit
zu der Idee des Staats: wie ihn, dem die Außenwelt gar nicht existirte, die
Erfahrung "belehrt und verwandelt. Kein Widerspruch allerdings, aber eine ver¬
wegene Weiter-Entwicklung, wenn er jetzt begreift, daß der Kosmopolitismus in
der Wirklichkeit als Patriotismus erscheine, wenn erst den Einzelnen hinweise
auf sein Volk, das "unter einem besonderen Gesetze der Entwicklung des Gött¬
lichen aus ihm" stehe. Längst schon war der Philosoph der freien That durch
das Wesen seines Denkens auf jene Wissenschaft geführt worden, welche den
nach Außen gerichteten Willen in seiner großartigsten Entfaltung betrachtet. Er
hatte die Revolution begrüßt als den Anbruch einer neuen Zeit, mit radicaler
Bitterkeit die Denkfreiheit zurückgefordert von den Fürsten, Nach der Lehre von
dem Staatsverträge abstracte Rechtsregeln aufgestellt für das Leben des Staats,
der in sich selber das Princip der Veränderung tragen solle, und bereits war
er gewöhnt sich einen Demokraten schelten zu lassen. Er hatte dann das wirth¬
schaftliche Leben der Völker betrachtet, und der Sohn der Armuth, der Verächter
weltlichen Genusses schuf die despotische Lehre von dem "geschlossenen Handels¬
staate", der in spartanischer Strenge sich absperren sollte von den Schätzen des
Auslands und das Schaffen der Bürger also regeln sollte, daß ein Jeder leben
könne von seiner Arbeit. Nun war ihm bestimmt sein Bestes zu leisten, als
er die idealste Seite des staatlichen Lebens, die Volkserziehung, betrachtete. Sie
fragen: wie doch war es möglich? Ist doch dem Politiker die Erfahrung nicht
eine Schranke, sondern der Inhalt seines Denkens. Hier gilt es, nach Aristoteles
Vorbild, mit zur Erde gewandtem Blicke eine ungeheure Fülle der Thatsachen
zu beherrschen. Ort und Zeit abwägend zu schätzen, die Gewalten der Ge¬
wohnheit, der Trägheit, der Dummheit zu berechnen, den Begriff der Macht zu


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Konsistorium des Atheismus bezüchtigte und ihn aus Jena vertrieb, weil er
nicht im Stande war den Schein des Unrechts auf sich zu nehmen, wo sein
Gewissen ihm Recht gab. Da wollte es eine glückliche Fügung, daß der Nath
des Ministers Dohm thu nach Preußen führte, in den Staat, der gerade diesem
Manne eine Heimath werden mußte. Nimmermehr sollen wir Fichte's gedenken
ohne diesen Staat zu preisen, der den Lehrer und Philosophen zum Patrioten bildete.

Ein strenger Geist harter Pflichterfüllung' war diesem Volke eingeprägt
durch das Wirken willensstarkcr Fürsten, fast unmenschlich schwer die Lasten, die
auf Gut und Blut der Bürger drückten. Was Andere schreckte, Fichte zog es
an. Nur das Eine mochte ihn abstoßen, daß jener Sinn der Strenge schon zu
weichen begann, daß zu Berlin bereits ein Schwelgen in weichlichen unpoetischen
Empfindungen, eine seichte selbstzufriedene Aufklärung sich brüstete, deren Haupt
Nicolai unser Held bereits in einer seiner tvdtschlagenden humorlosen Streit¬
schriften gezüchtigt hatte. Ein rührender Anblick, wie nun der Kühnste der .
deutschen Idealisten den schweren Weg sich bahnt, den alle Deutsche jener Tage
zu durchschreiten hatten, den Weg von der Erkenntniß der menschlichen Freiheit
zu der Idee des Staats: wie ihn, dem die Außenwelt gar nicht existirte, die
Erfahrung "belehrt und verwandelt. Kein Widerspruch allerdings, aber eine ver¬
wegene Weiter-Entwicklung, wenn er jetzt begreift, daß der Kosmopolitismus in
der Wirklichkeit als Patriotismus erscheine, wenn erst den Einzelnen hinweise
auf sein Volk, das „unter einem besonderen Gesetze der Entwicklung des Gött¬
lichen aus ihm" stehe. Längst schon war der Philosoph der freien That durch
das Wesen seines Denkens auf jene Wissenschaft geführt worden, welche den
nach Außen gerichteten Willen in seiner großartigsten Entfaltung betrachtet. Er
hatte die Revolution begrüßt als den Anbruch einer neuen Zeit, mit radicaler
Bitterkeit die Denkfreiheit zurückgefordert von den Fürsten, Nach der Lehre von
dem Staatsverträge abstracte Rechtsregeln aufgestellt für das Leben des Staats,
der in sich selber das Princip der Veränderung tragen solle, und bereits war
er gewöhnt sich einen Demokraten schelten zu lassen. Er hatte dann das wirth¬
schaftliche Leben der Völker betrachtet, und der Sohn der Armuth, der Verächter
weltlichen Genusses schuf die despotische Lehre von dem „geschlossenen Handels¬
staate", der in spartanischer Strenge sich absperren sollte von den Schätzen des
Auslands und das Schaffen der Bürger also regeln sollte, daß ein Jeder leben
könne von seiner Arbeit. Nun war ihm bestimmt sein Bestes zu leisten, als
er die idealste Seite des staatlichen Lebens, die Volkserziehung, betrachtete. Sie
fragen: wie doch war es möglich? Ist doch dem Politiker die Erfahrung nicht
eine Schranke, sondern der Inhalt seines Denkens. Hier gilt es, nach Aristoteles
Vorbild, mit zur Erde gewandtem Blicke eine ungeheure Fülle der Thatsachen
zu beherrschen. Ort und Zeit abwägend zu schätzen, die Gewalten der Ge¬
wohnheit, der Trägheit, der Dummheit zu berechnen, den Begriff der Macht zu


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[0387] Konsistorium des Atheismus bezüchtigte und ihn aus Jena vertrieb, weil er nicht im Stande war den Schein des Unrechts auf sich zu nehmen, wo sein Gewissen ihm Recht gab. Da wollte es eine glückliche Fügung, daß der Nath des Ministers Dohm thu nach Preußen führte, in den Staat, der gerade diesem Manne eine Heimath werden mußte. Nimmermehr sollen wir Fichte's gedenken ohne diesen Staat zu preisen, der den Lehrer und Philosophen zum Patrioten bildete. Ein strenger Geist harter Pflichterfüllung' war diesem Volke eingeprägt durch das Wirken willensstarkcr Fürsten, fast unmenschlich schwer die Lasten, die auf Gut und Blut der Bürger drückten. Was Andere schreckte, Fichte zog es an. Nur das Eine mochte ihn abstoßen, daß jener Sinn der Strenge schon zu weichen begann, daß zu Berlin bereits ein Schwelgen in weichlichen unpoetischen Empfindungen, eine seichte selbstzufriedene Aufklärung sich brüstete, deren Haupt Nicolai unser Held bereits in einer seiner tvdtschlagenden humorlosen Streit¬ schriften gezüchtigt hatte. Ein rührender Anblick, wie nun der Kühnste der . deutschen Idealisten den schweren Weg sich bahnt, den alle Deutsche jener Tage zu durchschreiten hatten, den Weg von der Erkenntniß der menschlichen Freiheit zu der Idee des Staats: wie ihn, dem die Außenwelt gar nicht existirte, die Erfahrung "belehrt und verwandelt. Kein Widerspruch allerdings, aber eine ver¬ wegene Weiter-Entwicklung, wenn er jetzt begreift, daß der Kosmopolitismus in der Wirklichkeit als Patriotismus erscheine, wenn erst den Einzelnen hinweise auf sein Volk, das „unter einem besonderen Gesetze der Entwicklung des Gött¬ lichen aus ihm" stehe. Längst schon war der Philosoph der freien That durch das Wesen seines Denkens auf jene Wissenschaft geführt worden, welche den nach Außen gerichteten Willen in seiner großartigsten Entfaltung betrachtet. Er hatte die Revolution begrüßt als den Anbruch einer neuen Zeit, mit radicaler Bitterkeit die Denkfreiheit zurückgefordert von den Fürsten, Nach der Lehre von dem Staatsverträge abstracte Rechtsregeln aufgestellt für das Leben des Staats, der in sich selber das Princip der Veränderung tragen solle, und bereits war er gewöhnt sich einen Demokraten schelten zu lassen. Er hatte dann das wirth¬ schaftliche Leben der Völker betrachtet, und der Sohn der Armuth, der Verächter weltlichen Genusses schuf die despotische Lehre von dem „geschlossenen Handels¬ staate", der in spartanischer Strenge sich absperren sollte von den Schätzen des Auslands und das Schaffen der Bürger also regeln sollte, daß ein Jeder leben könne von seiner Arbeit. Nun war ihm bestimmt sein Bestes zu leisten, als er die idealste Seite des staatlichen Lebens, die Volkserziehung, betrachtete. Sie fragen: wie doch war es möglich? Ist doch dem Politiker die Erfahrung nicht eine Schranke, sondern der Inhalt seines Denkens. Hier gilt es, nach Aristoteles Vorbild, mit zur Erde gewandtem Blicke eine ungeheure Fülle der Thatsachen zu beherrschen. Ort und Zeit abwägend zu schätzen, die Gewalten der Ge¬ wohnheit, der Trägheit, der Dummheit zu berechnen, den Begriff der Macht zu 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/387>, abgerufen am 08.01.2025.