Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.Auf den Willen der Menschen zu Wirten, des Glaubens, daß daraus irgendwo Ich übergehe, wie eine pöbelhaste Anklage .Fichte bei dem kursächsischen Auf den Willen der Menschen zu Wirten, des Glaubens, daß daraus irgendwo Ich übergehe, wie eine pöbelhaste Anklage .Fichte bei dem kursächsischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114166"/> <p xml:id="ID_1236" prev="#ID_1235"> Auf den Willen der Menschen zu Wirten, des Glaubens, daß daraus irgendwo<lb/> und irgendwann die rechte That entstehen werde, das war der Beruf dieses<lb/> eifernden geselligen Geistes. Daher jener Brustton tiefster Ueberzeugung, der,<lb/> wie alles Köstlichste des Menschen, sich nicht erklären noch erkünsteln läßt. Da¬<lb/> her auch der Erfolg — in diesem seltenen Falle ein sehr gerechter Richter —<lb/> denn was der große Haufe sagt: „ihm ist es Ernst", das bezeichnet mit plum¬<lb/> pem Wort und feinem Sinn den geheimsten Zauber menschlicher Rede. Aber<lb/> vergeblich suchen Sie bei Fichte jene Vermischung von Poesie und Prosa, wo¬<lb/> mit romanische Redner die Phantasie der Hörer zu blenden lieben. Sogar die<lb/> Neigung fehlt ihm, freie Worte als ein Kunstwerk abzuschließen; der Adel der<lb/> Form soll sich ihm gleich der guten Sitte ungesucht ergeben aus der voll¬<lb/> endeten Bildung. Nur aus der vollkommenen Klarheit erwächst ihm jede<lb/> Bewegung des Herzens; die Macht seiner Rede liegt allein begründet in dem<lb/> Ernste tiefen gewissenhaften Denkens, eines Denkens freilich, das sichtbar vor<lb/> unseren Augen entsteht. Ein Meister ist er darum in der schweren Kunst<lb/> des Wicderhvlens, ^denn wessen Geist fortwährend und mit schrankenloser<lb/> Offenheit arbeitet, er darf das hundertmal Gesagte noch einmal sagen, weil es<lb/> ein Neues ist in jeden Augenblicke wie jeder Augenblick ein neuer ist. Doch<lb/> vor Allem, er denkt groß von seinen Hörern, edel und klug zugleich hebt er<lb/> sie empor statt sich herabzulassen. Die Jugend vornehmlich hat dies dankend<lb/> empfunden; denn der die Menschheit so hoch, das gegenwärtige Zeitalter so<lb/> niedrig richtete, wie sollte er nicht das werdende Geschlecht lieben, das noch<lb/> rein geblieben von der Seuche der Zeit? der stets nur den ganzen Menschen<lb/> zu ergreifen trachtet, er war der geborene Lehrer jenes Alters, das der allseiti¬<lb/> gen Ausbildung der Persönlichkeit lebt, bevor noch die Schranken des Berufs<lb/> den Reichthum der Entwicklung beengen. Endlich — fassen wir die Größe<lb/> des Redners in dem Einen von tausend Hörern wiederholten Lobe zusammen<lb/> — was er sprach, das war er. Wenn er die Hörenden beschwor eine Entschlie¬<lb/> ßung zu fassen, nicht ein schwächliches Wollen irgend einmal zu wollen: da stand<lb/> er selber, die gedrungene überkräftige Gestalt mit dem aufgeworfenen Nacken,<lb/> der streiW geschlossenen Lippe, strafenden Auges, nicht gar so mild und ruhig,<lb/> wie dies Bild ihn zeigt, das die Verklärung des Todten verkörpert, voll trotzigen<lb/> Selbstgefühles und doch hoch erhaben über der Schwäche beliebter Redner, der<lb/> persönlichen Eitelkeit -— in jedem Zuge der Mann der durchdachten Entschlie¬<lb/> ßung, die des Gedankens Blässe nicht berührte. Darum hat sich von allen<lb/> Lehrern, die je an deutschen Hochschulen wirkten, sein Bild den jungen Ge¬<lb/> müthern am tiefsten eingegraben; sein Schatten ist geschritten durch die Reihen<lb/> jener streitbaren Jugend, die für uns blutete und in seinem Sinne ein Leben<lb/> ohne Wissenschaft höher achtete denn eine Wissenschaft ohne Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1237" next="#ID_1238"> Ich übergehe, wie eine pöbelhaste Anklage .Fichte bei dem kursächsischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
Auf den Willen der Menschen zu Wirten, des Glaubens, daß daraus irgendwo
und irgendwann die rechte That entstehen werde, das war der Beruf dieses
eifernden geselligen Geistes. Daher jener Brustton tiefster Ueberzeugung, der,
wie alles Köstlichste des Menschen, sich nicht erklären noch erkünsteln läßt. Da¬
her auch der Erfolg — in diesem seltenen Falle ein sehr gerechter Richter —
denn was der große Haufe sagt: „ihm ist es Ernst", das bezeichnet mit plum¬
pem Wort und feinem Sinn den geheimsten Zauber menschlicher Rede. Aber
vergeblich suchen Sie bei Fichte jene Vermischung von Poesie und Prosa, wo¬
mit romanische Redner die Phantasie der Hörer zu blenden lieben. Sogar die
Neigung fehlt ihm, freie Worte als ein Kunstwerk abzuschließen; der Adel der
Form soll sich ihm gleich der guten Sitte ungesucht ergeben aus der voll¬
endeten Bildung. Nur aus der vollkommenen Klarheit erwächst ihm jede
Bewegung des Herzens; die Macht seiner Rede liegt allein begründet in dem
Ernste tiefen gewissenhaften Denkens, eines Denkens freilich, das sichtbar vor
unseren Augen entsteht. Ein Meister ist er darum in der schweren Kunst
des Wicderhvlens, ^denn wessen Geist fortwährend und mit schrankenloser
Offenheit arbeitet, er darf das hundertmal Gesagte noch einmal sagen, weil es
ein Neues ist in jeden Augenblicke wie jeder Augenblick ein neuer ist. Doch
vor Allem, er denkt groß von seinen Hörern, edel und klug zugleich hebt er
sie empor statt sich herabzulassen. Die Jugend vornehmlich hat dies dankend
empfunden; denn der die Menschheit so hoch, das gegenwärtige Zeitalter so
niedrig richtete, wie sollte er nicht das werdende Geschlecht lieben, das noch
rein geblieben von der Seuche der Zeit? der stets nur den ganzen Menschen
zu ergreifen trachtet, er war der geborene Lehrer jenes Alters, das der allseiti¬
gen Ausbildung der Persönlichkeit lebt, bevor noch die Schranken des Berufs
den Reichthum der Entwicklung beengen. Endlich — fassen wir die Größe
des Redners in dem Einen von tausend Hörern wiederholten Lobe zusammen
— was er sprach, das war er. Wenn er die Hörenden beschwor eine Entschlie¬
ßung zu fassen, nicht ein schwächliches Wollen irgend einmal zu wollen: da stand
er selber, die gedrungene überkräftige Gestalt mit dem aufgeworfenen Nacken,
der streiW geschlossenen Lippe, strafenden Auges, nicht gar so mild und ruhig,
wie dies Bild ihn zeigt, das die Verklärung des Todten verkörpert, voll trotzigen
Selbstgefühles und doch hoch erhaben über der Schwäche beliebter Redner, der
persönlichen Eitelkeit -— in jedem Zuge der Mann der durchdachten Entschlie¬
ßung, die des Gedankens Blässe nicht berührte. Darum hat sich von allen
Lehrern, die je an deutschen Hochschulen wirkten, sein Bild den jungen Ge¬
müthern am tiefsten eingegraben; sein Schatten ist geschritten durch die Reihen
jener streitbaren Jugend, die für uns blutete und in seinem Sinne ein Leben
ohne Wissenschaft höher achtete denn eine Wissenschaft ohne Leben.
Ich übergehe, wie eine pöbelhaste Anklage .Fichte bei dem kursächsischen
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