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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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wenigsten würde ich handeln, wenn ich nicht trotzig sagte, wie gar fremd
unserer Zeit, die an sich selber glaubt und glauben soll, dieser Idealismus
geworden ist, der so nur einmal möglich war und kemen Schüler fand. Seit
jenen Tagen ist das Leben unsres Volkes ein großer Werkeltag gewesen. Wir
haben begonnen in harter Arbeit den Gedanken der Welt einzubilden und sind
darüber der Natur freundlich näher getreten. Sehr Vieles nehmen wir beschei¬
den hin als Product der Natur und Geschichte, was Fichte dem Sittengesetze
zu unterwerfen sich vermaß. Mit dem steigenden Wohlstand ist ein hellerer
Weltsinn in die Geister eingezogen; ein schönes Gleichmaß von Genuß und
That soll uns das Leben sein; und wer unter uns bezweifelt, daß die Sittlich¬
keit der Athener eine reinere war als die Tugend der Spartaner und dem
Genius unsres Volkes vertrauter ist? Seitdem ist auch die gute Laune wieder
zu ihrem Rechte gelangt, wir heißen sie willkommen auch mitten in der Span¬
nung des Pathos, und die kecke Vermischung von Scherz und Ernst in
Shakespeare's Gedichten ist erst dem realistischen Sinne der Gegenwart wieder
erträglich geworden. Doch eben weil jener Idealismus Fichte's unsrem Sinn
so fern liegt, weil längst der Zeit verfiel was daran vergänglich war, weil Lust
und Noth des rastlosen modernen Lebens uns von selber ablenken von jeder
Ueberspannung des Gedankens -- ebendeshalb gereicht es unseren fröhlicheren
Tagen zum Segen sich in diese weltverachtenden Ideen selbstloser Sittlichkeit zu
versenken wie in ein stählendes Bad der Seele, Selbstbeherrschung davon zu
lernen und zu gedenken, daß ein thatloses Wesen dem Humor anhaftet und der
Dichter sicher wußte, warum er seinem Hamlet die Fülle sprudelnden Witzes
lieh. Und wie beschämt muß all unsre heitre Klugheit verstummen vor dem
Einem Worte: "nur über den Tod hinweg, mit einem Willen, den Nichts, auch
nicht der Tod, beugt und abschreckt, taugt der Mensch etwas."

Diesem gewaltigen Willen kamen endlich frohere Tage, als eine Aende¬
rung seiner äußeren Lage ihm erlaubte seine treue Johanna heimzuführen und
der Ruf ihn traf zu der Stelle, die ihm gebührte, zum akademischen Lehramte
in Jena. Denn, Sie haben es längst errathen, ein geborener Redner war
Fichte, wie schon der erste Plan des jungen Mannes der kecke Gedanke ge¬
wesen war, eine Rednerschule zu gründen in einem Volke ohne Rednerbühne,
wie nach seiner Auffassung der Geschichte alle großen Weltangelegenheiten da¬
durch entschieden wurden, daß ein freiwilliger Redner sie dem Volke darlegte.
Zur That berufen sind jene feurigen Naturen, denen Charakter und Bildung
zusammenfallen, jede Erkenntniß als ein lebendiger Entschluß in der Seele
glüht; doch nicht das unmittelbare Eingreifen in die Welt konnte den weltver¬
achtenden Denker reizen. Von ihm vor Allem gilt das Stichwort des philo¬
sophischen Idealismus jener Tage, daß es für den wahrhaft sittlichen Willen
keine Zeit gibt, daß es genügt der Welt den Anstoß zum Guten zu geben.


Grenzboten II. 1S62. , 4ö

wenigsten würde ich handeln, wenn ich nicht trotzig sagte, wie gar fremd
unserer Zeit, die an sich selber glaubt und glauben soll, dieser Idealismus
geworden ist, der so nur einmal möglich war und kemen Schüler fand. Seit
jenen Tagen ist das Leben unsres Volkes ein großer Werkeltag gewesen. Wir
haben begonnen in harter Arbeit den Gedanken der Welt einzubilden und sind
darüber der Natur freundlich näher getreten. Sehr Vieles nehmen wir beschei¬
den hin als Product der Natur und Geschichte, was Fichte dem Sittengesetze
zu unterwerfen sich vermaß. Mit dem steigenden Wohlstand ist ein hellerer
Weltsinn in die Geister eingezogen; ein schönes Gleichmaß von Genuß und
That soll uns das Leben sein; und wer unter uns bezweifelt, daß die Sittlich¬
keit der Athener eine reinere war als die Tugend der Spartaner und dem
Genius unsres Volkes vertrauter ist? Seitdem ist auch die gute Laune wieder
zu ihrem Rechte gelangt, wir heißen sie willkommen auch mitten in der Span¬
nung des Pathos, und die kecke Vermischung von Scherz und Ernst in
Shakespeare's Gedichten ist erst dem realistischen Sinne der Gegenwart wieder
erträglich geworden. Doch eben weil jener Idealismus Fichte's unsrem Sinn
so fern liegt, weil längst der Zeit verfiel was daran vergänglich war, weil Lust
und Noth des rastlosen modernen Lebens uns von selber ablenken von jeder
Ueberspannung des Gedankens — ebendeshalb gereicht es unseren fröhlicheren
Tagen zum Segen sich in diese weltverachtenden Ideen selbstloser Sittlichkeit zu
versenken wie in ein stählendes Bad der Seele, Selbstbeherrschung davon zu
lernen und zu gedenken, daß ein thatloses Wesen dem Humor anhaftet und der
Dichter sicher wußte, warum er seinem Hamlet die Fülle sprudelnden Witzes
lieh. Und wie beschämt muß all unsre heitre Klugheit verstummen vor dem
Einem Worte: „nur über den Tod hinweg, mit einem Willen, den Nichts, auch
nicht der Tod, beugt und abschreckt, taugt der Mensch etwas."

Diesem gewaltigen Willen kamen endlich frohere Tage, als eine Aende¬
rung seiner äußeren Lage ihm erlaubte seine treue Johanna heimzuführen und
der Ruf ihn traf zu der Stelle, die ihm gebührte, zum akademischen Lehramte
in Jena. Denn, Sie haben es längst errathen, ein geborener Redner war
Fichte, wie schon der erste Plan des jungen Mannes der kecke Gedanke ge¬
wesen war, eine Rednerschule zu gründen in einem Volke ohne Rednerbühne,
wie nach seiner Auffassung der Geschichte alle großen Weltangelegenheiten da¬
durch entschieden wurden, daß ein freiwilliger Redner sie dem Volke darlegte.
Zur That berufen sind jene feurigen Naturen, denen Charakter und Bildung
zusammenfallen, jede Erkenntniß als ein lebendiger Entschluß in der Seele
glüht; doch nicht das unmittelbare Eingreifen in die Welt konnte den weltver¬
achtenden Denker reizen. Von ihm vor Allem gilt das Stichwort des philo¬
sophischen Idealismus jener Tage, daß es für den wahrhaft sittlichen Willen
keine Zeit gibt, daß es genügt der Welt den Anstoß zum Guten zu geben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/385>, abgerufen am 08.01.2025.