Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.neu Vernunft" kennen lernte. "Der Hauptendzweck meines Lebens ist der", neu Vernunft" kennen lernte. „Der Hauptendzweck meines Lebens ist der", <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114163"/> <p xml:id="ID_1231" prev="#ID_1230" next="#ID_1232"> neu Vernunft" kennen lernte. „Der Hauptendzweck meines Lebens ist der",<lb/> hatte er früher seiner Braut geschrieben, „mir jede Art von (nicht wissenschaft¬<lb/> licher, ich merke darin viel Eitles, sondern) Charakterbildung zu geben. Ich<lb/> habe zu einem Gelehrten von Metier so wenig Geschick als möglich. Ich will<lb/> nicht blos denken, ich will Handels, ich mag am wenigsten denken über des<lb/> Kaisers Bart." Aber woher drehe Sicherheit des Charakters, so lange sein Ge¬<lb/> müth verzweifelte über der Frage, die vor allen Problemen der Philosophie<lb/> ihn von frühauf quälend beschäftigte, über der Frage von der Freiheit des Wil¬<lb/> lens? Sein logischer Kops hatte sich endlich beruhigt bei der folgerichtigen<lb/> Lehre Spinoza's, wie Goethe's Künstlersinn von der grandiosen Geschlossenheit<lb/> dieses Systems gefesselt ward. Sein Gewissen aber verweilt zwar gern bei<lb/> dem Gedanken, daß das Einzelne selbstlos untergehe in dem Allgemeinen, aber<lb/> immer wieder verwirft es die Idee einer unbedingten Nothwendigkeit, denn<lb/> „ohne Freiheit keine Sittlichkeit". Welch ein Jubel daher, als er endlich durch<lb/> Kant die Autonomie des Willens bewiesen fand! Der Verkündigung dieser<lb/> Lehre soll nun sein Leben geweiht sein, „ihre Folgen sind .äußerst wichtig für<lb/> ein Zeitalter, dessen Moral bis in seine Quellen verderbt ist." Und zum sicher¬<lb/> sten Zeichen, daß er hier einen Schatz von Gedanken gefunden, der seinem eigen¬<lb/> sten Wesen entsprach, entfaltet ^sich jetzt seine Bildung ebenso rasch und sicher,<lb/> als sie schwer und tastend begonnen. Eine Reise nach Polen und Preußen<lb/> führt ihn zu dem Weisen von Königsberg, dem er ehrfürchtig naht, „wie der<lb/> reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper." Bei ihm führt er sich ein<lb/> durch die rasch entworfene Schrift „Kritik aller Offenbarung 1791". Damit be¬<lb/> ginnt sein philosophisches Wirken, das näher zu betrachten nicht dieses Orts<lb/> noch meines Amtes ist, so reizvoll auch die Aufgabe, zu verfolgen, wie die Den¬<lb/> ker, nach dem Worte des alten Dichters, die Leuchte des Lebens gleich den<lb/> Tänzern im Fackelreigen von Hand zu Hand geben. Es genüge zu sagen, daß<lb/> Fichte die Lehre von der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Willens mit<lb/> verwegenster Kühnheit bis in ihre äußersten Folgesätze hindurchführte. Weil<lb/> die Bestimmung unsres Geistes sich nur verwirklichen läßt im praktischen Han¬<lb/> deln, das praktische Handeln aber eine Bühne fordert, deshalb und nur des¬<lb/> halb ist der Geist gezwungen eine Außenwelt aus sich herauszuschauen und als<lb/> eine wirkliche Welt anzunehmen. Ich konnte sie nicht übergehen, diese "Grund¬<lb/> gedanken des transcendentalen Idealismus; denn allein an der Kühnheit dieser<lb/> Abstractionen, der verwegensten, die der Denkermuth zu fassen wagte, können<lb/> Sie den aufrechten Trotz des Mannes ermessen, dem wir zuversichtlich glau¬<lb/> ben, daß „seine wissenschaftliche Ansicht nur die zur Anschauung gewordene<lb/> innere Wurzel seines Lebens" selber war. In sicherem Selbstgefühle saßt<lb/> der Mann, sich jetzt zusammen, als die namenlose Schrift des Anfängers<lb/> für ein Werk des Meisters Kant gehalten wird und der triviale Lärm seich-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0383]
neu Vernunft" kennen lernte. „Der Hauptendzweck meines Lebens ist der",
hatte er früher seiner Braut geschrieben, „mir jede Art von (nicht wissenschaft¬
licher, ich merke darin viel Eitles, sondern) Charakterbildung zu geben. Ich
habe zu einem Gelehrten von Metier so wenig Geschick als möglich. Ich will
nicht blos denken, ich will Handels, ich mag am wenigsten denken über des
Kaisers Bart." Aber woher drehe Sicherheit des Charakters, so lange sein Ge¬
müth verzweifelte über der Frage, die vor allen Problemen der Philosophie
ihn von frühauf quälend beschäftigte, über der Frage von der Freiheit des Wil¬
lens? Sein logischer Kops hatte sich endlich beruhigt bei der folgerichtigen
Lehre Spinoza's, wie Goethe's Künstlersinn von der grandiosen Geschlossenheit
dieses Systems gefesselt ward. Sein Gewissen aber verweilt zwar gern bei
dem Gedanken, daß das Einzelne selbstlos untergehe in dem Allgemeinen, aber
immer wieder verwirft es die Idee einer unbedingten Nothwendigkeit, denn
„ohne Freiheit keine Sittlichkeit". Welch ein Jubel daher, als er endlich durch
Kant die Autonomie des Willens bewiesen fand! Der Verkündigung dieser
Lehre soll nun sein Leben geweiht sein, „ihre Folgen sind .äußerst wichtig für
ein Zeitalter, dessen Moral bis in seine Quellen verderbt ist." Und zum sicher¬
sten Zeichen, daß er hier einen Schatz von Gedanken gefunden, der seinem eigen¬
sten Wesen entsprach, entfaltet ^sich jetzt seine Bildung ebenso rasch und sicher,
als sie schwer und tastend begonnen. Eine Reise nach Polen und Preußen
führt ihn zu dem Weisen von Königsberg, dem er ehrfürchtig naht, „wie der
reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper." Bei ihm führt er sich ein
durch die rasch entworfene Schrift „Kritik aller Offenbarung 1791". Damit be¬
ginnt sein philosophisches Wirken, das näher zu betrachten nicht dieses Orts
noch meines Amtes ist, so reizvoll auch die Aufgabe, zu verfolgen, wie die Den¬
ker, nach dem Worte des alten Dichters, die Leuchte des Lebens gleich den
Tänzern im Fackelreigen von Hand zu Hand geben. Es genüge zu sagen, daß
Fichte die Lehre von der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Willens mit
verwegenster Kühnheit bis in ihre äußersten Folgesätze hindurchführte. Weil
die Bestimmung unsres Geistes sich nur verwirklichen läßt im praktischen Han¬
deln, das praktische Handeln aber eine Bühne fordert, deshalb und nur des¬
halb ist der Geist gezwungen eine Außenwelt aus sich herauszuschauen und als
eine wirkliche Welt anzunehmen. Ich konnte sie nicht übergehen, diese "Grund¬
gedanken des transcendentalen Idealismus; denn allein an der Kühnheit dieser
Abstractionen, der verwegensten, die der Denkermuth zu fassen wagte, können
Sie den aufrechten Trotz des Mannes ermessen, dem wir zuversichtlich glau¬
ben, daß „seine wissenschaftliche Ansicht nur die zur Anschauung gewordene
innere Wurzel seines Lebens" selber war. In sicherem Selbstgefühle saßt
der Mann, sich jetzt zusammen, als die namenlose Schrift des Anfängers
für ein Werk des Meisters Kant gehalten wird und der triviale Lärm seich-
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