Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.in dürftiger Umgebung in der altfränkischen Sitte der Lausitzer Bauern empor¬ Schwere,', langsamer entscheidet sich die Richtung seiner Bildung. Kümmer¬ Da endlich erschien seines inneren Lebens entscheidende Wendung, als er, in dürftiger Umgebung in der altfränkischen Sitte der Lausitzer Bauern empor¬ Schwere,', langsamer entscheidet sich die Richtung seiner Bildung. Kümmer¬ Da endlich erschien seines inneren Lebens entscheidende Wendung, als er, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114162"/> <p xml:id="ID_1228" prev="#ID_1227"> in dürftiger Umgebung in der altfränkischen Sitte der Lausitzer Bauern empor¬<lb/> wuchs. Frühzeitig und stark arbeitet er im Innern, mit dem Verstände und<lb/> mehr noch mit dem Gewissen. Der so begierig lernt, daß er eine Predigt nach<lb/> dem Hören wiederholen kann, wie rüstig kämpft er doch gegen die Dinge, die<lb/> so lebendig auf ihn eindringen. Das schöne Volksbuch vom hörnernen Sieg¬<lb/> fried wirft er i» den Bach als einen Versucher, der ihm den Geist ablenkt von<lb/> der Arbeit. Als ihm dann durch die Gunst eines Edelmannes eine gelehrte<lb/> Erziehung aus der Fürstenschule zu Pforta zu Theil wird, stemmt sich der eigen¬<lb/> willige Knabe wider jene Verkümmerung des Gemüths, welche der familienlosen<lb/> Erziehung anhaftet, sein waches Gewissen empört sich gegen die erzwungene Un-<lb/> wahrhaftigkeit der Gedruckten. Er gesteht seinem herrischen Oberen den Ent¬<lb/> schluß der Flucht; er flicht wirklich; auf dem Wege, im Gebete und im Anden¬<lb/> ken an die Heimath kommt das Gefühl der Sünde über ihn; er kehrt zurück<lb/> zu offenem Bekenntniß. So früh sind die Grundzüge seines Wesens gereift,<lb/> wie zumeist bei jenen Menschen, deren Größe im Charakter liegt. Der Knabe<lb/> schon bezeichnet seine Bücher mit dem Sinnspruch, den der Mann bewährte:<lb/> si kraotus nig-datur orbi», imxavicZum ksriont ruinAE.</p><lb/> <p xml:id="ID_1229"> Schwere,', langsamer entscheidet sich die Richtung seiner Bildung. Kümmer¬<lb/> lich schlägt er sich durch die freudlose Jugend eines armen Theologen, und sein<lb/> Stolz — „die verwahrlosetstc Seite meines Herzens" — schämt sich bitterlich der Ar¬<lb/> muth. Erst in seinem siebenundzwanzigsten Jahre wird ihm das Schicksal gü¬<lb/> tiger, da er auf der weiten Fußwanderung nach einer Hauslehrerstelle in Zü¬<lb/> rich eine für jene Zeit ziemlich ausgedehnte Erfahrung sammelt von dem<lb/> Elend des armen leidenden Volks, da er in der Schweiz mit der großen Ar¬<lb/> beit der deutschen Literatur vertraut wird, da er in Zürich das schmucklose We¬<lb/> sen eines ehrenhaften Freistaates verstehen lernt, das seinem schlichten Stolze<lb/> zusagte, da er endlich in Johanna Rahn, einer Nichte Klopstocks, das herrliche<lb/> Weib seiner Liebe fand. Eine verwandte Natur, sehr ernsthaft, wirthschaftlich<lb/> nach Schweizer Weise, nicht gar jung mehr und längst schon gewohnt ihr war¬<lb/> mes Blut in strenger Selbstprüfung zu beherrschen, tritt sie ihm fertig und ru¬<lb/> hig entgegen, und oftmals mochten ihre Augen strenge unter dem Schweizer-<lb/> Häubchen hervorblicken: „Höre Fichte, stolz bist Du. Ich muß Dir's sagen, da<lb/> Dir's kein Andrer sagen kann." Auch in der abhängigen Stellung des Haus¬<lb/> lehrers weiß er sich seine feste Selbstbestimmung zu wahren, er zwingt die El¬<lb/> tern, die Erziehung bei sich selber anzufangen, führt bin gewissenhaftes Tage¬<lb/> buch über ihre wichtigsten Erziehungsfehler. Nach zwei Jahren steht er sich<lb/> wieder in die Welt getrieben; eine Fülle schriftstellerischer Pläne wird entwor¬<lb/> fen und geht zu Grunde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1230" next="#ID_1231"> Da endlich erschien seines inneren Lebens entscheidende Wendung, als er,<lb/> bereits achtundzwanzigjährig, in Leipzig durch einen Zufall die „Kritik der rei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
in dürftiger Umgebung in der altfränkischen Sitte der Lausitzer Bauern empor¬
wuchs. Frühzeitig und stark arbeitet er im Innern, mit dem Verstände und
mehr noch mit dem Gewissen. Der so begierig lernt, daß er eine Predigt nach
dem Hören wiederholen kann, wie rüstig kämpft er doch gegen die Dinge, die
so lebendig auf ihn eindringen. Das schöne Volksbuch vom hörnernen Sieg¬
fried wirft er i» den Bach als einen Versucher, der ihm den Geist ablenkt von
der Arbeit. Als ihm dann durch die Gunst eines Edelmannes eine gelehrte
Erziehung aus der Fürstenschule zu Pforta zu Theil wird, stemmt sich der eigen¬
willige Knabe wider jene Verkümmerung des Gemüths, welche der familienlosen
Erziehung anhaftet, sein waches Gewissen empört sich gegen die erzwungene Un-
wahrhaftigkeit der Gedruckten. Er gesteht seinem herrischen Oberen den Ent¬
schluß der Flucht; er flicht wirklich; auf dem Wege, im Gebete und im Anden¬
ken an die Heimath kommt das Gefühl der Sünde über ihn; er kehrt zurück
zu offenem Bekenntniß. So früh sind die Grundzüge seines Wesens gereift,
wie zumeist bei jenen Menschen, deren Größe im Charakter liegt. Der Knabe
schon bezeichnet seine Bücher mit dem Sinnspruch, den der Mann bewährte:
si kraotus nig-datur orbi», imxavicZum ksriont ruinAE.
Schwere,', langsamer entscheidet sich die Richtung seiner Bildung. Kümmer¬
lich schlägt er sich durch die freudlose Jugend eines armen Theologen, und sein
Stolz — „die verwahrlosetstc Seite meines Herzens" — schämt sich bitterlich der Ar¬
muth. Erst in seinem siebenundzwanzigsten Jahre wird ihm das Schicksal gü¬
tiger, da er auf der weiten Fußwanderung nach einer Hauslehrerstelle in Zü¬
rich eine für jene Zeit ziemlich ausgedehnte Erfahrung sammelt von dem
Elend des armen leidenden Volks, da er in der Schweiz mit der großen Ar¬
beit der deutschen Literatur vertraut wird, da er in Zürich das schmucklose We¬
sen eines ehrenhaften Freistaates verstehen lernt, das seinem schlichten Stolze
zusagte, da er endlich in Johanna Rahn, einer Nichte Klopstocks, das herrliche
Weib seiner Liebe fand. Eine verwandte Natur, sehr ernsthaft, wirthschaftlich
nach Schweizer Weise, nicht gar jung mehr und längst schon gewohnt ihr war¬
mes Blut in strenger Selbstprüfung zu beherrschen, tritt sie ihm fertig und ru¬
hig entgegen, und oftmals mochten ihre Augen strenge unter dem Schweizer-
Häubchen hervorblicken: „Höre Fichte, stolz bist Du. Ich muß Dir's sagen, da
Dir's kein Andrer sagen kann." Auch in der abhängigen Stellung des Haus¬
lehrers weiß er sich seine feste Selbstbestimmung zu wahren, er zwingt die El¬
tern, die Erziehung bei sich selber anzufangen, führt bin gewissenhaftes Tage¬
buch über ihre wichtigsten Erziehungsfehler. Nach zwei Jahren steht er sich
wieder in die Welt getrieben; eine Fülle schriftstellerischer Pläne wird entwor¬
fen und geht zu Grunde.
Da endlich erschien seines inneren Lebens entscheidende Wendung, als er,
bereits achtundzwanzigjährig, in Leipzig durch einen Zufall die „Kritik der rei-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |