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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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was jedenfalls eine sehr fortgeschrittne Ausbildung des Handwerks andeutet.
Bettler, namentlich angebliche oder wirkliche Schiffbrüchige, heisesten in singen¬
dem Ton Almosen. Kleinhändler und Verkäufer aller Art, Herumträger von
Erbsenbrei und rauchenden Würsten priesen kreischend ihre Waaren an. Hier
erscholl das Geheul einer umherziehenden Procession von Priestern der Großen
Mutter, dort das Geschrei der Andächtigen aus einem Isistempel.

Auch, bei Nacht hörte der Lärm nicht auf. In den weitläufigen Palästen,
wo die Schlafzimmer weit von der Straße entfernt lagen, schlief man aller¬
dings ruhig, in den Mietwohnungen desto schlechter. Das Gerassel- der Reise-
wagen, die den größten Theil des Tages in der Stadt nicht fahren durften,
störte den festesten Schlaf, wenn sie um die Ecken der schmalen Straßen bogen.
Dazu kam das Toben schaarenweis umherziehender Raufbolde und Nacht¬
schwärmer oder Ständchen von Liebenden, die bei ihren Schönen Einlaß er¬
baten. Waren alle Häuser verschlossen, alle Schenken still geworden, so waren
die leeren, völlig' unbeleuchteten Straßen für den einsamen Wanderer ebenso
unheimlich als gefährlich. Die Unsicherheit der Straßen Roms war zu allen
Zeiten groß. Diebstähle und Einbrüche kamen so häufig vor, daß in Plinius
Zeit die Fenster des ersten Stocks (das Parterre hatte deren nach der Gasse
heraus nicht) mit Läden verwahrt zu werden pflegten. Nicht selten wurden die
Straßen von Räubern unsicher gemacht, die sich massenweis nach Rom zogen,
wenn ihre Schlupfwinkel in den Pontinischen Sümpfen und in dem Fichten¬
walde südlich vom Volturnus von Soldaten besetzt waren. Andere Gefahren
drohten dem Armen, der sich mit seinem Lichtstumpf nach Hause leuchtete, wenn
er mit einem jungen Herrn von Stand zusammentraf, der mit großem Ge¬
folge unter Vortragung zahlreicher Fackeln und Laternen von einem späten
Gelage nach Hause lärmte. Die Unglücklichen, die solchen anmuthigen Junkern
in den Weg geriethen, wurden angehalten, auf ausgebreiteten Mänteln ge¬
prellt, wofür man das Wort sah-illo hatte, oder sonst gemißhandelt. Von den
Dächern sielen nicht selten Ziegel, aus den Fenstern der obern Stockwerke
wurden Becken ausgegossen oder zerbrochne Gefäße herabgeworfen, die krachend
aus dem Pflaster zerbrachen.

Schlimmeres hatten die Bewohner der Miethhäuser zu befürchten. Die
Spekulation in solchen Gebäuden war lockend, denn sie warf hohe Zinsen ab.
aber andrerseits konnte bei den in Rom sehr häufigen Bränden, für die man
sich nicht versichern konnte, sehr leicht das Capital verloren gehen. Die Unter¬
nehmer bauten also jedenfalls so wohlfeil und somit so liederlich als möglich.
Die oberen Stockwerke waren aus'Holz und Machwerk ausgesetzt. Ueberdies
war bei Privatgebäuden eine Bauweise gewöhnlich, bei der die Mauern leicht
Nisse bekamen, und das in einer Zeit, deren öffentliche Bauten noch jetzt un¬
zerstörbar zu sein scheinen. Ein Theil unsrer Furcht, sagt Seneca, sind unsre


Grenzboten it. 1862. 47

was jedenfalls eine sehr fortgeschrittne Ausbildung des Handwerks andeutet.
Bettler, namentlich angebliche oder wirkliche Schiffbrüchige, heisesten in singen¬
dem Ton Almosen. Kleinhändler und Verkäufer aller Art, Herumträger von
Erbsenbrei und rauchenden Würsten priesen kreischend ihre Waaren an. Hier
erscholl das Geheul einer umherziehenden Procession von Priestern der Großen
Mutter, dort das Geschrei der Andächtigen aus einem Isistempel.

Auch, bei Nacht hörte der Lärm nicht auf. In den weitläufigen Palästen,
wo die Schlafzimmer weit von der Straße entfernt lagen, schlief man aller¬
dings ruhig, in den Mietwohnungen desto schlechter. Das Gerassel- der Reise-
wagen, die den größten Theil des Tages in der Stadt nicht fahren durften,
störte den festesten Schlaf, wenn sie um die Ecken der schmalen Straßen bogen.
Dazu kam das Toben schaarenweis umherziehender Raufbolde und Nacht¬
schwärmer oder Ständchen von Liebenden, die bei ihren Schönen Einlaß er¬
baten. Waren alle Häuser verschlossen, alle Schenken still geworden, so waren
die leeren, völlig' unbeleuchteten Straßen für den einsamen Wanderer ebenso
unheimlich als gefährlich. Die Unsicherheit der Straßen Roms war zu allen
Zeiten groß. Diebstähle und Einbrüche kamen so häufig vor, daß in Plinius
Zeit die Fenster des ersten Stocks (das Parterre hatte deren nach der Gasse
heraus nicht) mit Läden verwahrt zu werden pflegten. Nicht selten wurden die
Straßen von Räubern unsicher gemacht, die sich massenweis nach Rom zogen,
wenn ihre Schlupfwinkel in den Pontinischen Sümpfen und in dem Fichten¬
walde südlich vom Volturnus von Soldaten besetzt waren. Andere Gefahren
drohten dem Armen, der sich mit seinem Lichtstumpf nach Hause leuchtete, wenn
er mit einem jungen Herrn von Stand zusammentraf, der mit großem Ge¬
folge unter Vortragung zahlreicher Fackeln und Laternen von einem späten
Gelage nach Hause lärmte. Die Unglücklichen, die solchen anmuthigen Junkern
in den Weg geriethen, wurden angehalten, auf ausgebreiteten Mänteln ge¬
prellt, wofür man das Wort sah-illo hatte, oder sonst gemißhandelt. Von den
Dächern sielen nicht selten Ziegel, aus den Fenstern der obern Stockwerke
wurden Becken ausgegossen oder zerbrochne Gefäße herabgeworfen, die krachend
aus dem Pflaster zerbrachen.

Schlimmeres hatten die Bewohner der Miethhäuser zu befürchten. Die
Spekulation in solchen Gebäuden war lockend, denn sie warf hohe Zinsen ab.
aber andrerseits konnte bei den in Rom sehr häufigen Bränden, für die man
sich nicht versichern konnte, sehr leicht das Capital verloren gehen. Die Unter¬
nehmer bauten also jedenfalls so wohlfeil und somit so liederlich als möglich.
Die oberen Stockwerke waren aus'Holz und Machwerk ausgesetzt. Ueberdies
war bei Privatgebäuden eine Bauweise gewöhnlich, bei der die Mauern leicht
Nisse bekamen, und das in einer Zeit, deren öffentliche Bauten noch jetzt un¬
zerstörbar zu sein scheinen. Ein Theil unsrer Furcht, sagt Seneca, sind unsre


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[0377] was jedenfalls eine sehr fortgeschrittne Ausbildung des Handwerks andeutet. Bettler, namentlich angebliche oder wirkliche Schiffbrüchige, heisesten in singen¬ dem Ton Almosen. Kleinhändler und Verkäufer aller Art, Herumträger von Erbsenbrei und rauchenden Würsten priesen kreischend ihre Waaren an. Hier erscholl das Geheul einer umherziehenden Procession von Priestern der Großen Mutter, dort das Geschrei der Andächtigen aus einem Isistempel. Auch, bei Nacht hörte der Lärm nicht auf. In den weitläufigen Palästen, wo die Schlafzimmer weit von der Straße entfernt lagen, schlief man aller¬ dings ruhig, in den Mietwohnungen desto schlechter. Das Gerassel- der Reise- wagen, die den größten Theil des Tages in der Stadt nicht fahren durften, störte den festesten Schlaf, wenn sie um die Ecken der schmalen Straßen bogen. Dazu kam das Toben schaarenweis umherziehender Raufbolde und Nacht¬ schwärmer oder Ständchen von Liebenden, die bei ihren Schönen Einlaß er¬ baten. Waren alle Häuser verschlossen, alle Schenken still geworden, so waren die leeren, völlig' unbeleuchteten Straßen für den einsamen Wanderer ebenso unheimlich als gefährlich. Die Unsicherheit der Straßen Roms war zu allen Zeiten groß. Diebstähle und Einbrüche kamen so häufig vor, daß in Plinius Zeit die Fenster des ersten Stocks (das Parterre hatte deren nach der Gasse heraus nicht) mit Läden verwahrt zu werden pflegten. Nicht selten wurden die Straßen von Räubern unsicher gemacht, die sich massenweis nach Rom zogen, wenn ihre Schlupfwinkel in den Pontinischen Sümpfen und in dem Fichten¬ walde südlich vom Volturnus von Soldaten besetzt waren. Andere Gefahren drohten dem Armen, der sich mit seinem Lichtstumpf nach Hause leuchtete, wenn er mit einem jungen Herrn von Stand zusammentraf, der mit großem Ge¬ folge unter Vortragung zahlreicher Fackeln und Laternen von einem späten Gelage nach Hause lärmte. Die Unglücklichen, die solchen anmuthigen Junkern in den Weg geriethen, wurden angehalten, auf ausgebreiteten Mänteln ge¬ prellt, wofür man das Wort sah-illo hatte, oder sonst gemißhandelt. Von den Dächern sielen nicht selten Ziegel, aus den Fenstern der obern Stockwerke wurden Becken ausgegossen oder zerbrochne Gefäße herabgeworfen, die krachend aus dem Pflaster zerbrachen. Schlimmeres hatten die Bewohner der Miethhäuser zu befürchten. Die Spekulation in solchen Gebäuden war lockend, denn sie warf hohe Zinsen ab. aber andrerseits konnte bei den in Rom sehr häufigen Bränden, für die man sich nicht versichern konnte, sehr leicht das Capital verloren gehen. Die Unter¬ nehmer bauten also jedenfalls so wohlfeil und somit so liederlich als möglich. Die oberen Stockwerke waren aus'Holz und Machwerk ausgesetzt. Ueberdies war bei Privatgebäuden eine Bauweise gewöhnlich, bei der die Mauern leicht Nisse bekamen, und das in einer Zeit, deren öffentliche Bauten noch jetzt un¬ zerstörbar zu sein scheinen. Ein Theil unsrer Furcht, sagt Seneca, sind unsre Grenzboten it. 1862. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/377>, abgerufen am 08.01.2025.