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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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ren 28 an) konnte der Freund der Literatur sich in kostbaren Pergament- und
Papyrusrollen satt schwelgen und sich in den Kreisen der Gelehrten, die sich
dort gern versammelten, Förderung suchen. Anstalten von unvergleichlicher Pracht
standen in den Thermen auch dem Geringsten zum Gebrauch offen. Alle Wun¬
der der Wundcrstadt wurden noch überboten durch die Schauspiele der Bühne,
des Circus und der Arena, wo Alles, was die ausschweifendste Phantasie er¬
sinnen konnte, zur überwältigenden Wirklichkeit wurde.

Doch das größte unter den Schauspielen Roms war das Menschengewühl,
das sich täglich ohne Unterbrechung durch seine Straßen wälzte. Je mehr die
Stadt Mittelpunkt der Welt wurde, desto mehr strömten hier alle Nationen zu¬
sammen, doch eine allgemeine Masseneinwanderung aus den Provinzen begann
erst seit dem Untergang der Republik. Später war die Stadt im eigentlichen
Sinne ein "Versammlungsort des Erdkreises" oder, wie einer ihrer griechischen
Lobredner sagt, "ein Compendium der Welt". Noch bunter wird das Gemisch
dieser Bevölkerung durch die Menge der unaufhörlich ab- und zuströmenden
Fremden, deren Zahl bei ungewöhnlichen Veranlassungen, wie namentlich bei
großen Schauspielen, auch eine außerordentliche Höhe erreichte, aber zu allen
Zeiten schon deshalb sehr groß war, weil man hier "für Tugenden wie
für Laster die höchsten Preise zahlte." Hier schwirrten hundert Sprachen,
drängten sich die Formen und Farben aller Racen, die Trachten aller Völ¬
ker durcheinander. Mohrensklaven führten Elephanten aus den kaiserlichen
Zwingern vorüber. Blonde Flamländer von der kaiserlichen Leibwache erschienen
in glänzender Rüstung. Nicht fern von ihnen trugen Aegvpter mit kcchlgeschor-
nen Köpfen und in Linnentalaren die große Göttin Isis in Procession. Hinter
einem griechischen Gelehrten ging ein junger Hindu beladen mit Bücherrollen.
Orientalische Fürstensöhne in hohen Mützen und weiten bunten Gewändern
schritten mit ihrem Gefolge in schweigsamen Ernst durch die Menge, und tättowirte
Wilde aus Britannien beflaumten die Wunder der neuen Welt, die sie umringten.

Die Zahl der Bewohner Roms läßt sich nur sehr ungefähr veranschlagen.
Wenn sie auch großen Schwankungen unterworfen war, dürfte sie doch in der
Zeit von Augustus bis Trajan im Ganzen fortwährend gestiegen sein und bis
zu den großen Pester unter Marc Aurel und Commodus nicht merklich abge¬
nommen haben. Die neueste sorgfältige Revision der Berechnungen der Volks¬
zahl Roms gibt nach der Meinung Friedländers (S. 21 und 22) v. Wietersheim
in seiner seit 1859 erscheinenden Geschichte der Völkerwanderung. "Wenn auch
dort nicht alles Einzelne richtig gefaßt ist. so sind doch mehre Momente genauer
als bisher und einige zum ersten Mal erwogen. Das Resultat ist. daß aller¬
wegen die Bevölkerung Roms in der Kaiserzeit nicht merklich über anderthalb
Millionen angenommen werben könne und daß der mittlere Durchschnitt diese
Summe kaum erreicht haben dürfte.


ren 28 an) konnte der Freund der Literatur sich in kostbaren Pergament- und
Papyrusrollen satt schwelgen und sich in den Kreisen der Gelehrten, die sich
dort gern versammelten, Förderung suchen. Anstalten von unvergleichlicher Pracht
standen in den Thermen auch dem Geringsten zum Gebrauch offen. Alle Wun¬
der der Wundcrstadt wurden noch überboten durch die Schauspiele der Bühne,
des Circus und der Arena, wo Alles, was die ausschweifendste Phantasie er¬
sinnen konnte, zur überwältigenden Wirklichkeit wurde.

Doch das größte unter den Schauspielen Roms war das Menschengewühl,
das sich täglich ohne Unterbrechung durch seine Straßen wälzte. Je mehr die
Stadt Mittelpunkt der Welt wurde, desto mehr strömten hier alle Nationen zu¬
sammen, doch eine allgemeine Masseneinwanderung aus den Provinzen begann
erst seit dem Untergang der Republik. Später war die Stadt im eigentlichen
Sinne ein „Versammlungsort des Erdkreises" oder, wie einer ihrer griechischen
Lobredner sagt, „ein Compendium der Welt". Noch bunter wird das Gemisch
dieser Bevölkerung durch die Menge der unaufhörlich ab- und zuströmenden
Fremden, deren Zahl bei ungewöhnlichen Veranlassungen, wie namentlich bei
großen Schauspielen, auch eine außerordentliche Höhe erreichte, aber zu allen
Zeiten schon deshalb sehr groß war, weil man hier „für Tugenden wie
für Laster die höchsten Preise zahlte." Hier schwirrten hundert Sprachen,
drängten sich die Formen und Farben aller Racen, die Trachten aller Völ¬
ker durcheinander. Mohrensklaven führten Elephanten aus den kaiserlichen
Zwingern vorüber. Blonde Flamländer von der kaiserlichen Leibwache erschienen
in glänzender Rüstung. Nicht fern von ihnen trugen Aegvpter mit kcchlgeschor-
nen Köpfen und in Linnentalaren die große Göttin Isis in Procession. Hinter
einem griechischen Gelehrten ging ein junger Hindu beladen mit Bücherrollen.
Orientalische Fürstensöhne in hohen Mützen und weiten bunten Gewändern
schritten mit ihrem Gefolge in schweigsamen Ernst durch die Menge, und tättowirte
Wilde aus Britannien beflaumten die Wunder der neuen Welt, die sie umringten.

Die Zahl der Bewohner Roms läßt sich nur sehr ungefähr veranschlagen.
Wenn sie auch großen Schwankungen unterworfen war, dürfte sie doch in der
Zeit von Augustus bis Trajan im Ganzen fortwährend gestiegen sein und bis
zu den großen Pester unter Marc Aurel und Commodus nicht merklich abge¬
nommen haben. Die neueste sorgfältige Revision der Berechnungen der Volks¬
zahl Roms gibt nach der Meinung Friedländers (S. 21 und 22) v. Wietersheim
in seiner seit 1859 erscheinenden Geschichte der Völkerwanderung. „Wenn auch
dort nicht alles Einzelne richtig gefaßt ist. so sind doch mehre Momente genauer
als bisher und einige zum ersten Mal erwogen. Das Resultat ist. daß aller¬
wegen die Bevölkerung Roms in der Kaiserzeit nicht merklich über anderthalb
Millionen angenommen werben könne und daß der mittlere Durchschnitt diese
Summe kaum erreicht haben dürfte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/374>, abgerufen am 08.01.2025.