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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Wolle und chinesische Seide, künstliche bunte Gläser und feine Leinwand aus
Alexandrien, Wein und Austern von den griechischen Inseln, gewürziger Alpen¬
käse (dessen übermäßiger Genuß den Kaiser Antoninus Pius ums Leben ge¬
bracht haben soll), die Seefische des Schwarzen Meeres, die Heilkräuter Sici-
liens und Afrikas, der Balsam Jerichos, der Weihrauch Arabiens, die Perle
vom Grunde des Rothen Meeres und der Diamant der indischen Gruben, ba¬
bylonische Teppiche, Geräthe und Gefäße aus Elfenbein und Schildpatt, korin¬
thischen Erz und Krystallglas, riesige Balken farbigen Marmors in den Ge¬
birgen Kleinasiens gebrochen, schön genäherte Scheiben kostbaren Holzes am Atlas
gewachsen, griechische Statuen und Becher, endlich zahlreiche ausgesuchte Skla¬
ven aus allen Nationen. "Zu euch", heißt es in einer griechischen, um die
Mitte des zweiten Jahrhunderts verfaßten Lobrede auf Rom, die beiläufig leb¬
haft an die Schilderungen des Glanzes von Tyrus bei Jesaias erinnert,
"kommt aus allen Ländern und allen Meeren, was die Jahreszeiten her¬
vorbringen, und was alle Zonen tragen, was Flüsse und Seen und was die
Hellenen und die Barbaren mit ihrer Arbeit erzeugen. Wenn also jemand
willens ist alles dies zu schauen, so muß er entweder die ganze Welt durchrei¬
sen, oder sich in dieser Stadt aufhalten."

Ueberhaupt empfand man in Rom tausendfältig, daß man im Mittelpunkt
eines Weltreichs war. Von den fernsten Grenzen der Erde kamen aus allen
Straßen ununterbrochne Nachrichten, "wie von Vögeln getragen", nach dem Sitz
der Weltherrschaft. War in Oberägypten Regen gefallen (bekanntlich eine außer¬
ordentliche Seltenheit) oder hatte in Kleinasien die Erde gehabt, waren die Le¬
gionen am Rhein aufrührerisch gewesen oder hatte der Parthische Hof seine
Stellung gegen Rom geändert: man sprach davon wenige Tage nachher auf
dem Forum und auf dem Marsfeld, bei Gastmählern und andern geselligen Zu¬
sammenkünften. War irgendwo eine unerhörte Naturseltenheit, ein Riese, ein
Zwerg, eine Mißgeburt und drgl. entdeckt worden, so wurde sie an den Kaiser
gesandt und in Rom öffentlich ausgestellt. So unter Claudius ein arabischer
Riese, der 9V" Fuß maß, unter Nero ein Kind mit vier Köpfen, unter Seve-
rus das Geripp eines Wallfisches, in welchem 50 Bären Platz hatten. Künst¬
ler und Virtuosen kamen aus allen Ländern, um sich sehen oder hören zu las¬
sen. Athleten, um sich den Kranz in den großen römischen Wettkämpfen zu er¬
werben. Dichter und Redner, Philosophen und Gelehrte, um Vorträge zu hal¬
ten, die fähigsten und ehrgeizigsten jungen Leute aus den Provinzen, um des
besten Unterrichts theilhaftig zu werden. Mindestens seit Vespasian und noch
mehr seit Gründung des Athenäums unter Hadrian muß ein stetes Zuströmen
von Provinzialen nach Rom ihrer Ausbildung halber stattgefunden haben. Zur
Ausbildung wie zur Erholung bot die Hauptstadt der Welt die großartigsten
Anstalten. In den Hallen zahlreicher Bibliotheken (die Regionarier geben de-


Wolle und chinesische Seide, künstliche bunte Gläser und feine Leinwand aus
Alexandrien, Wein und Austern von den griechischen Inseln, gewürziger Alpen¬
käse (dessen übermäßiger Genuß den Kaiser Antoninus Pius ums Leben ge¬
bracht haben soll), die Seefische des Schwarzen Meeres, die Heilkräuter Sici-
liens und Afrikas, der Balsam Jerichos, der Weihrauch Arabiens, die Perle
vom Grunde des Rothen Meeres und der Diamant der indischen Gruben, ba¬
bylonische Teppiche, Geräthe und Gefäße aus Elfenbein und Schildpatt, korin¬
thischen Erz und Krystallglas, riesige Balken farbigen Marmors in den Ge¬
birgen Kleinasiens gebrochen, schön genäherte Scheiben kostbaren Holzes am Atlas
gewachsen, griechische Statuen und Becher, endlich zahlreiche ausgesuchte Skla¬
ven aus allen Nationen. „Zu euch", heißt es in einer griechischen, um die
Mitte des zweiten Jahrhunderts verfaßten Lobrede auf Rom, die beiläufig leb¬
haft an die Schilderungen des Glanzes von Tyrus bei Jesaias erinnert,
„kommt aus allen Ländern und allen Meeren, was die Jahreszeiten her¬
vorbringen, und was alle Zonen tragen, was Flüsse und Seen und was die
Hellenen und die Barbaren mit ihrer Arbeit erzeugen. Wenn also jemand
willens ist alles dies zu schauen, so muß er entweder die ganze Welt durchrei¬
sen, oder sich in dieser Stadt aufhalten."

Ueberhaupt empfand man in Rom tausendfältig, daß man im Mittelpunkt
eines Weltreichs war. Von den fernsten Grenzen der Erde kamen aus allen
Straßen ununterbrochne Nachrichten, „wie von Vögeln getragen", nach dem Sitz
der Weltherrschaft. War in Oberägypten Regen gefallen (bekanntlich eine außer¬
ordentliche Seltenheit) oder hatte in Kleinasien die Erde gehabt, waren die Le¬
gionen am Rhein aufrührerisch gewesen oder hatte der Parthische Hof seine
Stellung gegen Rom geändert: man sprach davon wenige Tage nachher auf
dem Forum und auf dem Marsfeld, bei Gastmählern und andern geselligen Zu¬
sammenkünften. War irgendwo eine unerhörte Naturseltenheit, ein Riese, ein
Zwerg, eine Mißgeburt und drgl. entdeckt worden, so wurde sie an den Kaiser
gesandt und in Rom öffentlich ausgestellt. So unter Claudius ein arabischer
Riese, der 9V« Fuß maß, unter Nero ein Kind mit vier Köpfen, unter Seve-
rus das Geripp eines Wallfisches, in welchem 50 Bären Platz hatten. Künst¬
ler und Virtuosen kamen aus allen Ländern, um sich sehen oder hören zu las¬
sen. Athleten, um sich den Kranz in den großen römischen Wettkämpfen zu er¬
werben. Dichter und Redner, Philosophen und Gelehrte, um Vorträge zu hal¬
ten, die fähigsten und ehrgeizigsten jungen Leute aus den Provinzen, um des
besten Unterrichts theilhaftig zu werden. Mindestens seit Vespasian und noch
mehr seit Gründung des Athenäums unter Hadrian muß ein stetes Zuströmen
von Provinzialen nach Rom ihrer Ausbildung halber stattgefunden haben. Zur
Ausbildung wie zur Erholung bot die Hauptstadt der Welt die großartigsten
Anstalten. In den Hallen zahlreicher Bibliotheken (die Regionarier geben de-


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[0373] Wolle und chinesische Seide, künstliche bunte Gläser und feine Leinwand aus Alexandrien, Wein und Austern von den griechischen Inseln, gewürziger Alpen¬ käse (dessen übermäßiger Genuß den Kaiser Antoninus Pius ums Leben ge¬ bracht haben soll), die Seefische des Schwarzen Meeres, die Heilkräuter Sici- liens und Afrikas, der Balsam Jerichos, der Weihrauch Arabiens, die Perle vom Grunde des Rothen Meeres und der Diamant der indischen Gruben, ba¬ bylonische Teppiche, Geräthe und Gefäße aus Elfenbein und Schildpatt, korin¬ thischen Erz und Krystallglas, riesige Balken farbigen Marmors in den Ge¬ birgen Kleinasiens gebrochen, schön genäherte Scheiben kostbaren Holzes am Atlas gewachsen, griechische Statuen und Becher, endlich zahlreiche ausgesuchte Skla¬ ven aus allen Nationen. „Zu euch", heißt es in einer griechischen, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts verfaßten Lobrede auf Rom, die beiläufig leb¬ haft an die Schilderungen des Glanzes von Tyrus bei Jesaias erinnert, „kommt aus allen Ländern und allen Meeren, was die Jahreszeiten her¬ vorbringen, und was alle Zonen tragen, was Flüsse und Seen und was die Hellenen und die Barbaren mit ihrer Arbeit erzeugen. Wenn also jemand willens ist alles dies zu schauen, so muß er entweder die ganze Welt durchrei¬ sen, oder sich in dieser Stadt aufhalten." Ueberhaupt empfand man in Rom tausendfältig, daß man im Mittelpunkt eines Weltreichs war. Von den fernsten Grenzen der Erde kamen aus allen Straßen ununterbrochne Nachrichten, „wie von Vögeln getragen", nach dem Sitz der Weltherrschaft. War in Oberägypten Regen gefallen (bekanntlich eine außer¬ ordentliche Seltenheit) oder hatte in Kleinasien die Erde gehabt, waren die Le¬ gionen am Rhein aufrührerisch gewesen oder hatte der Parthische Hof seine Stellung gegen Rom geändert: man sprach davon wenige Tage nachher auf dem Forum und auf dem Marsfeld, bei Gastmählern und andern geselligen Zu¬ sammenkünften. War irgendwo eine unerhörte Naturseltenheit, ein Riese, ein Zwerg, eine Mißgeburt und drgl. entdeckt worden, so wurde sie an den Kaiser gesandt und in Rom öffentlich ausgestellt. So unter Claudius ein arabischer Riese, der 9V« Fuß maß, unter Nero ein Kind mit vier Köpfen, unter Seve- rus das Geripp eines Wallfisches, in welchem 50 Bären Platz hatten. Künst¬ ler und Virtuosen kamen aus allen Ländern, um sich sehen oder hören zu las¬ sen. Athleten, um sich den Kranz in den großen römischen Wettkämpfen zu er¬ werben. Dichter und Redner, Philosophen und Gelehrte, um Vorträge zu hal¬ ten, die fähigsten und ehrgeizigsten jungen Leute aus den Provinzen, um des besten Unterrichts theilhaftig zu werden. Mindestens seit Vespasian und noch mehr seit Gründung des Athenäums unter Hadrian muß ein stetes Zuströmen von Provinzialen nach Rom ihrer Ausbildung halber stattgefunden haben. Zur Ausbildung wie zur Erholung bot die Hauptstadt der Welt die großartigsten Anstalten. In den Hallen zahlreicher Bibliotheken (die Regionarier geben de-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/373>, abgerufen am 08.01.2025.