Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band."Ohne Zweifel gibt es sehr viele Russen, welche glauben, daß die Vater¬ Die wichtigste von Herzens Veröffentlichungen in russischer Sprache indeß Herr Herzen kam zu dem Entschluß, sich in England niederzulassen und, „Ohne Zweifel gibt es sehr viele Russen, welche glauben, daß die Vater¬ Die wichtigste von Herzens Veröffentlichungen in russischer Sprache indeß Herr Herzen kam zu dem Entschluß, sich in England niederzulassen und, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114134"/> <p xml:id="ID_1130"> „Ohne Zweifel gibt es sehr viele Russen, welche glauben, daß die Vater¬<lb/> landsliebe in stummem Gehorsam und blinder Bewunderung besteht, gerade<lb/> wie es Massen von Franzosen gibt, die, zur Familie Chauvin gehörig, es für<lb/> Patriotismus halten, immer und ewig vom ersten Napoleon zu reden und mit<lb/> Begeisterung die Säule auf dem Vendomeplatz anzublicken. Solche Leute werden<lb/> Gedichte von der Art des „Woinarvsfst'i" mißbilligen und das Verfahren jener<lb/> russischen Flüchtlinge im Ausland, welche ihre Landsleute mit geheimer ge¬<lb/> druckter Literatur versehen, aufs Stärkste verdammen. Von Nicolai Turgueneff.<lb/> der sich in Paris befand, als der Aufstand von 1825 ausbrach, und welcher<lb/> trotz der dringendsten Aufforderungen sich weigerte nach Rußland heimzukehren<lb/> und wegen des Antheils, den er an der Verschwörung genommen, Rede zu<lb/> stehen, bis auf Alexander Herzen, liegt eine lange Reihe literarischer Verbann¬<lb/> ten, freiwilliger und unfreiwilliger, welche Rußland mit England oder Frankreich<lb/> vertauscht und in einigen Fällen sich genöthigt gesehen haben, Frankreich<lb/> wieder mit England zu vertauschen. Der berühmteste, fähigste und thätigste<lb/> dieser Flüchtlinge ist Herzen, welcher in London die „Severnaja Swesda"<lb/> (oder den Polarstern) herausgibt, wo er auch ,.Up Lxils" veröffentlicht hat. Er<lb/> schrieb früher zu Hamburg „Vom andern Ufer" und ließ dann in Paris eine An¬<lb/> zahl Exemplare seines Werks „Du DevelaMemMt de>s laves 1ivv0tut,i0kwa.ii'<ZL<lb/> en liussie" erscheinen, wo der Verkauf derselbe» indeß sehr bald verboten wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Die wichtigste von Herzens Veröffentlichungen in russischer Sprache indeß<lb/> sind, nach ihrem Einfluß auf Rußland zu urtheilen, die Bände seines Jour¬<lb/> nals „Der Polarstern" mit dessen aller vierzehn Tage erscheinendem Supple¬<lb/> ment „Die Glocke" (Kökökök). In diesem wird Alles, was in Nußland ge¬<lb/> schieht, sowie Alles, was nach der Meinung des Herausgebers dort nicht ge¬<lb/> schehen sollte, discutirt, und ministerielle Acte, welche unter dem Regiment<lb/> der Censur zu tadeln unmöglich sein würde, werden bisweilen mit großer<lb/> Heftigkeit angegriffen. Ein russischer Minister macht sich natürlich nicht Viel<lb/> daraus, was man in Paternoster Now (der Londoner Buchhändler-Straße), von<lb/> seinem Thun und Lassen denkt; aber es gibt eine geheime Verbindung zwischen Pater¬<lb/> noster Now und Se. Petersburg, und Alles, was von Herrn Herzen in London ge¬<lb/> schrieben wird, wird von zwei- bis dreitausend seiner Landsleute gelesen, oder viel¬<lb/> mehr von zwei oder dreitausend gekauft und von zchntausenden gelesen. Gegen¬<lb/> wärtig ists geradezu Mode in Se. Petersburg und Moskau, Herrn Herzens<lb/> „Kökökök" zu halten, und es ist Grund zu dem Glauben vorhanden, daß der<lb/> Kaiser nicht grade böse über deren Verbreitung ist, obwohl viele seiner Minister<lb/> sie verabscheuen und fürchten müssen, und es Thatsache ist, daß einer derselben<lb/> neulich hinreichend viel Einfluß besaß, ihre Beschlagnahme in der „freien Stadt"<lb/> Frankfurt zu veranlassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Herr Herzen kam zu dem Entschluß, sich in England niederzulassen und,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
„Ohne Zweifel gibt es sehr viele Russen, welche glauben, daß die Vater¬
landsliebe in stummem Gehorsam und blinder Bewunderung besteht, gerade
wie es Massen von Franzosen gibt, die, zur Familie Chauvin gehörig, es für
Patriotismus halten, immer und ewig vom ersten Napoleon zu reden und mit
Begeisterung die Säule auf dem Vendomeplatz anzublicken. Solche Leute werden
Gedichte von der Art des „Woinarvsfst'i" mißbilligen und das Verfahren jener
russischen Flüchtlinge im Ausland, welche ihre Landsleute mit geheimer ge¬
druckter Literatur versehen, aufs Stärkste verdammen. Von Nicolai Turgueneff.
der sich in Paris befand, als der Aufstand von 1825 ausbrach, und welcher
trotz der dringendsten Aufforderungen sich weigerte nach Rußland heimzukehren
und wegen des Antheils, den er an der Verschwörung genommen, Rede zu
stehen, bis auf Alexander Herzen, liegt eine lange Reihe literarischer Verbann¬
ten, freiwilliger und unfreiwilliger, welche Rußland mit England oder Frankreich
vertauscht und in einigen Fällen sich genöthigt gesehen haben, Frankreich
wieder mit England zu vertauschen. Der berühmteste, fähigste und thätigste
dieser Flüchtlinge ist Herzen, welcher in London die „Severnaja Swesda"
(oder den Polarstern) herausgibt, wo er auch ,.Up Lxils" veröffentlicht hat. Er
schrieb früher zu Hamburg „Vom andern Ufer" und ließ dann in Paris eine An¬
zahl Exemplare seines Werks „Du DevelaMemMt de>s laves 1ivv0tut,i0kwa.ii'<ZL
en liussie" erscheinen, wo der Verkauf derselbe» indeß sehr bald verboten wurde.
Die wichtigste von Herzens Veröffentlichungen in russischer Sprache indeß
sind, nach ihrem Einfluß auf Rußland zu urtheilen, die Bände seines Jour¬
nals „Der Polarstern" mit dessen aller vierzehn Tage erscheinendem Supple¬
ment „Die Glocke" (Kökökök). In diesem wird Alles, was in Nußland ge¬
schieht, sowie Alles, was nach der Meinung des Herausgebers dort nicht ge¬
schehen sollte, discutirt, und ministerielle Acte, welche unter dem Regiment
der Censur zu tadeln unmöglich sein würde, werden bisweilen mit großer
Heftigkeit angegriffen. Ein russischer Minister macht sich natürlich nicht Viel
daraus, was man in Paternoster Now (der Londoner Buchhändler-Straße), von
seinem Thun und Lassen denkt; aber es gibt eine geheime Verbindung zwischen Pater¬
noster Now und Se. Petersburg, und Alles, was von Herrn Herzen in London ge¬
schrieben wird, wird von zwei- bis dreitausend seiner Landsleute gelesen, oder viel¬
mehr von zwei oder dreitausend gekauft und von zchntausenden gelesen. Gegen¬
wärtig ists geradezu Mode in Se. Petersburg und Moskau, Herrn Herzens
„Kökökök" zu halten, und es ist Grund zu dem Glauben vorhanden, daß der
Kaiser nicht grade böse über deren Verbreitung ist, obwohl viele seiner Minister
sie verabscheuen und fürchten müssen, und es Thatsache ist, daß einer derselben
neulich hinreichend viel Einfluß besaß, ihre Beschlagnahme in der „freien Stadt"
Frankfurt zu veranlassen.
Herr Herzen kam zu dem Entschluß, sich in England niederzulassen und,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |