Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.nachher den Betreffenden wirklich eines Vergehens zu überweisen, wobei sie Den Gendarmen war bei vorkommenden Widerstands- oder Fluchtversuchen In den deutschen Provinzen, die von früher her an ein übcrstrengcs Po¬ ") Ein Gendarm bemerkte zur Nachtzeit auf den Stufen vor einer Kirchenthüre einen
Handwerksburschen, welcher seinen Tornister umpackte. Der Gendarm fragte den Burschen, was er da mache, und als dieser es sagte.'erklärte er ihm gleichwohl, daß er arretirt sei. Einige vorübergehende Bürger hatten das Ganze gesehen und gehört, und Einer blieb stehen und bestätigte, daß der junge Mensch wirklich sich nur mit seinem Felleisen beschäftigt habe. "Was geht das Sie an?'- sagte der Gendarm, "Sie find arretirt." "Deswegen wird man doch nicht arretirt," meinten die Andern. Da fällte der Gendarm sein Gewehr und schrie: "Sie siud Alle arretirt." Und aus die Aussage des Gendarmen hin wurden der Handwerks- bursch wegen Obdachlosigkeit, der erste Bürger wegen versuchter Befreiung eines Gefangenen und die Andern wegen veranlaßten Volksauflaufs mehr oder minder hart bestraft! nachher den Betreffenden wirklich eines Vergehens zu überweisen, wobei sie Den Gendarmen war bei vorkommenden Widerstands- oder Fluchtversuchen In den deutschen Provinzen, die von früher her an ein übcrstrengcs Po¬ ") Ein Gendarm bemerkte zur Nachtzeit auf den Stufen vor einer Kirchenthüre einen
Handwerksburschen, welcher seinen Tornister umpackte. Der Gendarm fragte den Burschen, was er da mache, und als dieser es sagte.'erklärte er ihm gleichwohl, daß er arretirt sei. Einige vorübergehende Bürger hatten das Ganze gesehen und gehört, und Einer blieb stehen und bestätigte, daß der junge Mensch wirklich sich nur mit seinem Felleisen beschäftigt habe. „Was geht das Sie an?'- sagte der Gendarm, „Sie find arretirt." „Deswegen wird man doch nicht arretirt," meinten die Andern. Da fällte der Gendarm sein Gewehr und schrie: „Sie siud Alle arretirt." Und aus die Aussage des Gendarmen hin wurden der Handwerks- bursch wegen Obdachlosigkeit, der erste Bürger wegen versuchter Befreiung eines Gefangenen und die Andern wegen veranlaßten Volksauflaufs mehr oder minder hart bestraft! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114121"/> <p xml:id="ID_1073" prev="#ID_1072"> nachher den Betreffenden wirklich eines Vergehens zu überweisen, wobei sie<lb/> noch von den Polizeibehörden kräftig unterstützt werden mußten/)</p><lb/> <p xml:id="ID_1074"> Den Gendarmen war bei vorkommenden Widerstands- oder Fluchtversuchen<lb/> die sofortige Waffenanwendung gestattet. Anfänglich scheint man die Gendar¬<lb/> merie in den größeren Städten statt der Polizeiwache zu verwenden Willens<lb/> gewesen zu sein, bald aber die Unzukömmlichkeit dieser Einrichtung erkannt zu<lb/> haben. Denn wiederholt ereignete es sich, daß ein Gendarm aus einen Be¬<lb/> trunkenen oder einen gemeinen Taschendieb, welcher dem ihm zugerufenen „Halt"<lb/> nicht Folge leistete, ohne Rücksicht, daß sich noch andere Personen auf der<lb/> Straße befanden, Feuer gab und dadurch friedliche Spaziergänger verwundete.<lb/> Vierteljährig wurden von der Gencralinspection Ausweise über die Thätigkeit<lb/> der gesammten Gendarmerie zusammengestellt und in allen Zeitungen veröffent¬<lb/> licht. Das Material hiezu wurde den^von den einzelnen Stationen eingesen¬<lb/> deten Rapporten entnommen. Diese Ausweise waren eben nichts Anderes als<lb/> ein dem Publicum vorgemachtes Blendwerk. Denn man konnte darauf rech¬<lb/> nen , die Gefangennehmung eines Verbrechers in vier bis fünf verschiedenen<lb/> Rubriken paradiren zu sehen. Der rapportirende Offizier füllte z. B. bei der<lb/> Verhaftung eines gewöhnlichen Diebes nachstehende Posten aus: „Gemachte<lb/> Patrouillen — 1, AnHaltung paßloser Vagabunden — 1, Verhaftung eines<lb/> Diebes — 1, Escortirung eines Gefangenen — 1, Zeugenschaft vor dem Ge¬<lb/> richt — 1, u. s. w. Uebvigens waren Patrouillen und AnHaltung verdächtiger<lb/> Individuen (d. h. aller Schlcchtgcklcideten) der Hauptinhalt dieser Ausweise.<lb/> In Ungarn und in Italien — 1851 in der Delegation Rovigo — grassirte<lb/> das Räuberunwesen ärger als je und konnte nur durch militärischen Beistand<lb/> unterdrückt oder wenigstens beschränkt werden, und andere Verbrecher, beson¬<lb/> ders die von feinerer Sorte, wurden häufig erst von den mitunter sehr geschickten<lb/> Polizeibeamten und Agenten der Gendarmerie in die Hände gespielt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1075" next="#ID_1076"> In den deutschen Provinzen, die von früher her an ein übcrstrengcs Po¬<lb/> lizeiregiment gewöhnt waren und wo man die Errichtung einer Gendarmerie<lb/> selbst begehrt hatte, wurde das Gebahren derselben weniger schmerzlich empfun¬<lb/> den, besonders da unter den, der Bevölkerung dieser Provinzen entstammenden</p><lb/> <note xml:id="FID_31" place="foot"> ") Ein Gendarm bemerkte zur Nachtzeit auf den Stufen vor einer Kirchenthüre einen<lb/> Handwerksburschen, welcher seinen Tornister umpackte. Der Gendarm fragte den Burschen,<lb/> was er da mache, und als dieser es sagte.'erklärte er ihm gleichwohl, daß er arretirt sei.<lb/> Einige vorübergehende Bürger hatten das Ganze gesehen und gehört, und Einer blieb stehen<lb/> und bestätigte, daß der junge Mensch wirklich sich nur mit seinem Felleisen beschäftigt habe.<lb/> „Was geht das Sie an?'- sagte der Gendarm, „Sie find arretirt." „Deswegen wird man<lb/> doch nicht arretirt," meinten die Andern. Da fällte der Gendarm sein Gewehr und schrie:<lb/> „Sie siud Alle arretirt." Und aus die Aussage des Gendarmen hin wurden der Handwerks-<lb/> bursch wegen Obdachlosigkeit, der erste Bürger wegen versuchter Befreiung eines Gefangenen<lb/> und die Andern wegen veranlaßten Volksauflaufs mehr oder minder hart bestraft!</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0341]
nachher den Betreffenden wirklich eines Vergehens zu überweisen, wobei sie
noch von den Polizeibehörden kräftig unterstützt werden mußten/)
Den Gendarmen war bei vorkommenden Widerstands- oder Fluchtversuchen
die sofortige Waffenanwendung gestattet. Anfänglich scheint man die Gendar¬
merie in den größeren Städten statt der Polizeiwache zu verwenden Willens
gewesen zu sein, bald aber die Unzukömmlichkeit dieser Einrichtung erkannt zu
haben. Denn wiederholt ereignete es sich, daß ein Gendarm aus einen Be¬
trunkenen oder einen gemeinen Taschendieb, welcher dem ihm zugerufenen „Halt"
nicht Folge leistete, ohne Rücksicht, daß sich noch andere Personen auf der
Straße befanden, Feuer gab und dadurch friedliche Spaziergänger verwundete.
Vierteljährig wurden von der Gencralinspection Ausweise über die Thätigkeit
der gesammten Gendarmerie zusammengestellt und in allen Zeitungen veröffent¬
licht. Das Material hiezu wurde den^von den einzelnen Stationen eingesen¬
deten Rapporten entnommen. Diese Ausweise waren eben nichts Anderes als
ein dem Publicum vorgemachtes Blendwerk. Denn man konnte darauf rech¬
nen , die Gefangennehmung eines Verbrechers in vier bis fünf verschiedenen
Rubriken paradiren zu sehen. Der rapportirende Offizier füllte z. B. bei der
Verhaftung eines gewöhnlichen Diebes nachstehende Posten aus: „Gemachte
Patrouillen — 1, AnHaltung paßloser Vagabunden — 1, Verhaftung eines
Diebes — 1, Escortirung eines Gefangenen — 1, Zeugenschaft vor dem Ge¬
richt — 1, u. s. w. Uebvigens waren Patrouillen und AnHaltung verdächtiger
Individuen (d. h. aller Schlcchtgcklcideten) der Hauptinhalt dieser Ausweise.
In Ungarn und in Italien — 1851 in der Delegation Rovigo — grassirte
das Räuberunwesen ärger als je und konnte nur durch militärischen Beistand
unterdrückt oder wenigstens beschränkt werden, und andere Verbrecher, beson¬
ders die von feinerer Sorte, wurden häufig erst von den mitunter sehr geschickten
Polizeibeamten und Agenten der Gendarmerie in die Hände gespielt.
In den deutschen Provinzen, die von früher her an ein übcrstrengcs Po¬
lizeiregiment gewöhnt waren und wo man die Errichtung einer Gendarmerie
selbst begehrt hatte, wurde das Gebahren derselben weniger schmerzlich empfun¬
den, besonders da unter den, der Bevölkerung dieser Provinzen entstammenden
") Ein Gendarm bemerkte zur Nachtzeit auf den Stufen vor einer Kirchenthüre einen
Handwerksburschen, welcher seinen Tornister umpackte. Der Gendarm fragte den Burschen,
was er da mache, und als dieser es sagte.'erklärte er ihm gleichwohl, daß er arretirt sei.
Einige vorübergehende Bürger hatten das Ganze gesehen und gehört, und Einer blieb stehen
und bestätigte, daß der junge Mensch wirklich sich nur mit seinem Felleisen beschäftigt habe.
„Was geht das Sie an?'- sagte der Gendarm, „Sie find arretirt." „Deswegen wird man
doch nicht arretirt," meinten die Andern. Da fällte der Gendarm sein Gewehr und schrie:
„Sie siud Alle arretirt." Und aus die Aussage des Gendarmen hin wurden der Handwerks-
bursch wegen Obdachlosigkeit, der erste Bürger wegen versuchter Befreiung eines Gefangenen
und die Andern wegen veranlaßten Volksauflaufs mehr oder minder hart bestraft!
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