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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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lichkeit für jeden seiner Angehörigen. Das Blutrecht unterscheidet ganzes
und halbes Blut. Zum ganzen gehören die Fälle, wo Jemand eine Per¬
son tödtet, gleichviel ob durch Zufall, durch Fahrlässigkeit, oder mit Ab¬
sicht und Ueberlegung, ferner wo Jemand eine Jungfrau, Wittwe oder ge¬
schiedene Frau schwängert oder seine an einen bestimmten Mann verlobte Toch¬
ter einem andern gibt oder durch böse Künste (Zauber) einen Stammgenossen
umbringt oder eine im Lande geborene Person raubt und ins Ausland ver¬
kauft. Halbes Blut dagegen vergießt: wer Jemand mit einem eisernen Instru¬
ment so verwundet, daß Blut fließt, wer einer Person Zahn oder Auge aus¬
schlägt, wer seine Frau oder Verlobte tödtet, ferner die Person, mit deren
Waffe von einem Zweiten ein Dritter ums Leben gebracht wird, endlich die
Begleiter und Gehilfen eines Mörders.

Wird bei einem Mord der Thäter auf der That ergriffen, so überläßt man
ihn der Familie seines Opfers, die ihn in der Regel erschlägt oder aufhängt.
Ist er nicht zu erlangen, so hängt man seinen Bater, Sohn oder Bruder.
Kann sich der Schuldige mit seiner engern Familie zu seiner weitern
flüchten und fürchtet diese die Rache der Angehörigen des Erschlagenen,
so läßt sie bei dessen Begräbnis; eine Kuh opfern und ruft die Stamm¬
genossenschaft zur Vermittelung auf. Die Familie des Todten kann nun
entweder Blut für Blut nehmen, d. h. ein Glied der Blutsverwandtschaft
des Mörders tödten, oder den gesetzlichen Blutpreis sich entrichten lassen, der
für einen Schmagilli 120, für einen Tigr" 93 Kühe beträgt, und mit dessen
Zahlung das Blut ausgelöscht, die That gesühnt ist. Die Blutsverwandtschaft
des Mörders, die auf solche Weise den Frieden erkauft, theilt die Last zu glei¬
chen Theilen unter ihre großjährigen Glieder. Der Mörder selbst wird nicht
mehr als die Uebrigen in Anspruch genommen, doch hat er die Verpflichtung,
eine seiner Töchter oder Svhnestöchtcr dem Sohn des Erschlagnen zur Ehe zu
geben. Wer das Unglück hat, seinen eignen Vater oder Bruder zu tödten,
wird, auf der That ergriffen, ohne Verzug hingerichtet; hat er aber Zeit zur
Flucht, so wird er, wofern der Umgebrachte kinderlos ist, ohne Blutpreis mit
der Verwandtschaft ausgesöhnt und erbt sogar des getödteten Bruders Gut und
Frau.

Die Bogos gehörten früher zur abyssinischen Kirche, aber ist schon diese
tief herabgekommen, so ist hier die Verwilderung und Verdunkelung der Ge¬
müther noch weit größer. Man trifft im Lande noch einige Gebäude, die Kir¬
chen heißen, aber von den Gebräuchen und Dogmen des Christenthums ist so
gut wie nichts, von der christlichen Moral absolut nichts übrig geblieben. Die
Leute nennen sich "Kosten", d. h. Christen, und zum Beweis essen sie kein von
Moslemin geschlachtetes Thier, kein Elephanten-, Straußen-, und Hasenfleisch.
Der Sonntag heißt großer Sabbath, doch wird am Sonnabend geruht, wie bei


lichkeit für jeden seiner Angehörigen. Das Blutrecht unterscheidet ganzes
und halbes Blut. Zum ganzen gehören die Fälle, wo Jemand eine Per¬
son tödtet, gleichviel ob durch Zufall, durch Fahrlässigkeit, oder mit Ab¬
sicht und Ueberlegung, ferner wo Jemand eine Jungfrau, Wittwe oder ge¬
schiedene Frau schwängert oder seine an einen bestimmten Mann verlobte Toch¬
ter einem andern gibt oder durch böse Künste (Zauber) einen Stammgenossen
umbringt oder eine im Lande geborene Person raubt und ins Ausland ver¬
kauft. Halbes Blut dagegen vergießt: wer Jemand mit einem eisernen Instru¬
ment so verwundet, daß Blut fließt, wer einer Person Zahn oder Auge aus¬
schlägt, wer seine Frau oder Verlobte tödtet, ferner die Person, mit deren
Waffe von einem Zweiten ein Dritter ums Leben gebracht wird, endlich die
Begleiter und Gehilfen eines Mörders.

Wird bei einem Mord der Thäter auf der That ergriffen, so überläßt man
ihn der Familie seines Opfers, die ihn in der Regel erschlägt oder aufhängt.
Ist er nicht zu erlangen, so hängt man seinen Bater, Sohn oder Bruder.
Kann sich der Schuldige mit seiner engern Familie zu seiner weitern
flüchten und fürchtet diese die Rache der Angehörigen des Erschlagenen,
so läßt sie bei dessen Begräbnis; eine Kuh opfern und ruft die Stamm¬
genossenschaft zur Vermittelung auf. Die Familie des Todten kann nun
entweder Blut für Blut nehmen, d. h. ein Glied der Blutsverwandtschaft
des Mörders tödten, oder den gesetzlichen Blutpreis sich entrichten lassen, der
für einen Schmagilli 120, für einen Tigr« 93 Kühe beträgt, und mit dessen
Zahlung das Blut ausgelöscht, die That gesühnt ist. Die Blutsverwandtschaft
des Mörders, die auf solche Weise den Frieden erkauft, theilt die Last zu glei¬
chen Theilen unter ihre großjährigen Glieder. Der Mörder selbst wird nicht
mehr als die Uebrigen in Anspruch genommen, doch hat er die Verpflichtung,
eine seiner Töchter oder Svhnestöchtcr dem Sohn des Erschlagnen zur Ehe zu
geben. Wer das Unglück hat, seinen eignen Vater oder Bruder zu tödten,
wird, auf der That ergriffen, ohne Verzug hingerichtet; hat er aber Zeit zur
Flucht, so wird er, wofern der Umgebrachte kinderlos ist, ohne Blutpreis mit
der Verwandtschaft ausgesöhnt und erbt sogar des getödteten Bruders Gut und
Frau.

Die Bogos gehörten früher zur abyssinischen Kirche, aber ist schon diese
tief herabgekommen, so ist hier die Verwilderung und Verdunkelung der Ge¬
müther noch weit größer. Man trifft im Lande noch einige Gebäude, die Kir¬
chen heißen, aber von den Gebräuchen und Dogmen des Christenthums ist so
gut wie nichts, von der christlichen Moral absolut nichts übrig geblieben. Die
Leute nennen sich „Kosten", d. h. Christen, und zum Beweis essen sie kein von
Moslemin geschlachtetes Thier, kein Elephanten-, Straußen-, und Hasenfleisch.
Der Sonntag heißt großer Sabbath, doch wird am Sonnabend geruht, wie bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/32>, abgerufen am 06.01.2025.