Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.weiß, daß im russischen Heer Deutsche dienen, und eine Menge von ihnen im Der Verfasser fragt sich nun, welche civUisircnde Wirkung diese vielen "Gewiß geben sie ihm gutes Brot und gute Messer, es zu schneiden, weiß, daß im russischen Heer Deutsche dienen, und eine Menge von ihnen im Der Verfasser fragt sich nun, welche civUisircnde Wirkung diese vielen „Gewiß geben sie ihm gutes Brot und gute Messer, es zu schneiden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114097"/> <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> weiß, daß im russischen Heer Deutsche dienen, und eine Menge von ihnen im<lb/> Civildienst angestellt sind, in welchen meiner Ansicht nach kein Engländer oder<lb/> Franzose freiwillig eintreten würde, obschon die Franzosen in ihrer Art ebenso<lb/> große Bureaukraten sind (sie sind die größten und eingefleischtesten auf Erden<lb/> d. R.): nur sind sie nicht so erpicht darauf, sich bestechen zu lassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_965"> Der Verfasser fragt sich nun, welche civUisircnde Wirkung diese vielen<lb/> Fremden auf Rußland haben, und antwortet:</p><lb/> <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> „Gewiß geben sie ihm gutes Brot und gute Messer, es zu schneiden,<lb/> gute Scheeren und gute Haarschncider, sie damit zu adonisiren, Professoren, die<lb/> sie tanzen, Klavierspielen und singen lehren, Erzieher und Gouvernanten, von<lb/> denen sie Französisch, Deutsch und Englisch sprechen lernen und zwar so gut<lb/> wie Russisch, Ingenieure und Fabrikanten, die ihnen zeigen, was mit ihrem Eisen<lb/> und ihrem Flachs zu thun ist und wie sie ihre importirte und ihre daheim ge¬<lb/> baute Baumwolle in Taschentücher und Hemden sür die Chinesen verwandeln<lb/> können. Endlich sind sie mit Deutschen gesegnet, die nachsehen, daß ihre Pässe<lb/> sich in guter Ordnung befinden. Aber Ideen? — Diese Fremden gehen (das<lb/> gilt zum guten Theil bis hinauf zu den Professoren von Dorpat) nur mit<lb/> einer einzigen Idee nach Rußland, mit der, Geld zu verdienen. Wenn sie nach<lb/> Hause zurückkehren und ihr Schäfchen ins Trockne gebracht haben, so loben sie<lb/> Rußland, wo nicht, so schimpfen sie eS. Aber ihr Lob ist schlimmer als ihr<lb/> Schimpfen. Sich blos um ihr eignes Wohlbefinden kümmernd oder doch nur<lb/> um das ihrer unmittelbaren Umgebung, bemerken sie nicht die Uebel des Des¬<lb/> potismus und leugnen ihre Existenz. Sie leben behaglich, vergnügen sich, sehen<lb/> nichts von der Knute (deren Gebrauch freilich auch nach dem Verfasser seltner<lb/> ist, als man bei uns meint), von welcher sie vor ihrer Uebersiedelung nach<lb/> Rußland so viel gehört hoben, und finden bald, daß sie ungefähr ebensoviel<lb/> Aussicht haben, nach Sibirien geschickt zu werden, als nach dem Monde. Statt<lb/> deS elenden Leibeignen, der unter der Peitsche seines Vogts stöhnt, sehen sie<lb/> einen Landmann, der eine Hütte und ein Stück Land hat, welches er als sein<lb/> Eigenthum betrachtet, und Pferd und Kuh, die ebenfalls sein Eigenthum sind,<lb/> welche aber der Herr des Dorfes ersetzen muß, falls eines davon stirbt, einen<lb/> Landmann, welcher für diese Vortheile drei Tage in der Woche für seine Ge¬<lb/> bieter arbeitet, und die andern vier für sich hat, es wäre denn, daß er sich<lb/> durch jährliche Zahlung eines Obrots. der selten elf Thaler das Jahr über¬<lb/> schreitet, von aller Verpflichtung zu solchem Frohndienst befreite. Darauf hin<lb/> gelangt der liberale Fremde, der sein Glück zu machen sucht — natürlich nur<lb/> in dem Fall, daß er's macht — zu dem Schlüsse, daß über Rußland und die<lb/> russischen Leibeignen sehr viel Unsinn geschwatzt wird, daß es eine Wohlthat<lb/> für manche unsrer hungerleidender Armen sein würde, wenn sie sich in so an¬<lb/> genehmer Lage befänden als die Bauern um Moskau, daß Rußland ein vor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0317]
weiß, daß im russischen Heer Deutsche dienen, und eine Menge von ihnen im
Civildienst angestellt sind, in welchen meiner Ansicht nach kein Engländer oder
Franzose freiwillig eintreten würde, obschon die Franzosen in ihrer Art ebenso
große Bureaukraten sind (sie sind die größten und eingefleischtesten auf Erden
d. R.): nur sind sie nicht so erpicht darauf, sich bestechen zu lassen."
Der Verfasser fragt sich nun, welche civUisircnde Wirkung diese vielen
Fremden auf Rußland haben, und antwortet:
„Gewiß geben sie ihm gutes Brot und gute Messer, es zu schneiden,
gute Scheeren und gute Haarschncider, sie damit zu adonisiren, Professoren, die
sie tanzen, Klavierspielen und singen lehren, Erzieher und Gouvernanten, von
denen sie Französisch, Deutsch und Englisch sprechen lernen und zwar so gut
wie Russisch, Ingenieure und Fabrikanten, die ihnen zeigen, was mit ihrem Eisen
und ihrem Flachs zu thun ist und wie sie ihre importirte und ihre daheim ge¬
baute Baumwolle in Taschentücher und Hemden sür die Chinesen verwandeln
können. Endlich sind sie mit Deutschen gesegnet, die nachsehen, daß ihre Pässe
sich in guter Ordnung befinden. Aber Ideen? — Diese Fremden gehen (das
gilt zum guten Theil bis hinauf zu den Professoren von Dorpat) nur mit
einer einzigen Idee nach Rußland, mit der, Geld zu verdienen. Wenn sie nach
Hause zurückkehren und ihr Schäfchen ins Trockne gebracht haben, so loben sie
Rußland, wo nicht, so schimpfen sie eS. Aber ihr Lob ist schlimmer als ihr
Schimpfen. Sich blos um ihr eignes Wohlbefinden kümmernd oder doch nur
um das ihrer unmittelbaren Umgebung, bemerken sie nicht die Uebel des Des¬
potismus und leugnen ihre Existenz. Sie leben behaglich, vergnügen sich, sehen
nichts von der Knute (deren Gebrauch freilich auch nach dem Verfasser seltner
ist, als man bei uns meint), von welcher sie vor ihrer Uebersiedelung nach
Rußland so viel gehört hoben, und finden bald, daß sie ungefähr ebensoviel
Aussicht haben, nach Sibirien geschickt zu werden, als nach dem Monde. Statt
deS elenden Leibeignen, der unter der Peitsche seines Vogts stöhnt, sehen sie
einen Landmann, der eine Hütte und ein Stück Land hat, welches er als sein
Eigenthum betrachtet, und Pferd und Kuh, die ebenfalls sein Eigenthum sind,
welche aber der Herr des Dorfes ersetzen muß, falls eines davon stirbt, einen
Landmann, welcher für diese Vortheile drei Tage in der Woche für seine Ge¬
bieter arbeitet, und die andern vier für sich hat, es wäre denn, daß er sich
durch jährliche Zahlung eines Obrots. der selten elf Thaler das Jahr über¬
schreitet, von aller Verpflichtung zu solchem Frohndienst befreite. Darauf hin
gelangt der liberale Fremde, der sein Glück zu machen sucht — natürlich nur
in dem Fall, daß er's macht — zu dem Schlüsse, daß über Rußland und die
russischen Leibeignen sehr viel Unsinn geschwatzt wird, daß es eine Wohlthat
für manche unsrer hungerleidender Armen sein würde, wenn sie sich in so an¬
genehmer Lage befänden als die Bauern um Moskau, daß Rußland ein vor-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |