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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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philisterhaften Glückspilzen*) also. Denn der froh ist in allen Ländern wesent¬
lich derselbe, mögen wir ihn einen froh, einen LpieiLr, einen Philister oder mit
den Nüssen einen "Khlistsch" nennen. Dennoch glaube ich, daß im Allgemeinen
die Gouvernanten nirgends besser als in Rußland behandelt werden/ Sie
scheinen mit den betreffenden Familien auf dem Fuße vollkommner Gleichheit zu
verkehren, alle ihre Vergnügungen zu theilen und selbst mit ihnen Besuche zu
machen und zu empfangen. Dies findet statt in einer Gesellschaft, von welcher
Kaufleute, mögen sie so reich sein als sie wollen, mit wenigen Ausnahmen
völlig ausgeschlossen sind. Ich bewundere diese letztere Regel durchaus nicht
und erwähne sie eigentlich nur hier, um zu zeigen, daß die Nüssen keineswegs
ohne Standesdünkel sind. Nur scheiden sich bei ihnen die gesellschaftlichen
Klassen anders als bei uns, und ihr Stolz ist verschieden von dem unsern.
Sie blicken auf Leute, die an Kenntniß und Sitte Ihresgleichen sind, nicht-
deshalb mit Geringschätzung, weil sie bis zu einem gewissen Grade in Betreff
ihres Lebensunterhalts von ihnen abhängen."

Ob das bei Allen Aeußerung humaner Denkart ist, ob Lehrer und Erzieher
nicht deshalb in Nußland höher geachtet sind als in England, weil in jenem
Land die Nachfrage nach ihnen größer ist als das Angebot, oder mit andern
Worten, ob nicht die Nüssen sich in dieser Beziehung gerade deshalb civilisirter
zeigen, weil sie erst bei einem untergeordneten Grade von Civilisation ange¬
langt sind? Unser Verfasser erklärt sich zu Gunsten der russischen Humanität und
nennt alle anders Vermuthenden "baar aller correcten moralischen Vorstellungen
und alles Ehrgefühls -- moralische Einfaltspinsel". Wir möchten nicht so
streng über diese Zweifler urtheilen, ja wir glauben Ursache zu haben, uns
ihnen beizugesellen.

"Ich sagte", fährt Edwards fort, "daß die russischen Fabriken hauptsäch¬
lich von Engländern geleitet werden. Engländer dirigiren ferner die meisten
der bedeutenden Eisenwerke (Baird, der Eisengießer von Se. Petersburg, hat
ein ganzes Quartier der Stadt inne), es gibt englische Ingenieure auf den
Dampfern des Schwarzen Meeres und der Wolga, alle Pferdewärter höherer
Klasse, alle Jockeys und Grooms sind aus England. Die Kutscher sind keine
Engländer; denn im Fahren hat der Russe nichts zu lernen. Es gibt einige
russische Jockeys, aber bei den Wettrennen auf der Petrowst'y-Ebene, hart bei
Moskau, sind sie selten die Gewinner." --

Es gibt Engländer in der russischen Armee; ob auch Franzosen, kann ich
nicht sagen, aber Offiziers mit nicht zu verwechselnden englischen Zügen pfleg¬
ten bisweilen in der englischen Kirche zu Moskau zu erscheinen. Jedermann



Wir erinnern an die Scene zwischen Pirch, dessen Schwester Ruth und dem Principal
der letzter" in Dickens Martin Chuzzlewit.

philisterhaften Glückspilzen*) also. Denn der froh ist in allen Ländern wesent¬
lich derselbe, mögen wir ihn einen froh, einen LpieiLr, einen Philister oder mit
den Nüssen einen „Khlistsch" nennen. Dennoch glaube ich, daß im Allgemeinen
die Gouvernanten nirgends besser als in Rußland behandelt werden/ Sie
scheinen mit den betreffenden Familien auf dem Fuße vollkommner Gleichheit zu
verkehren, alle ihre Vergnügungen zu theilen und selbst mit ihnen Besuche zu
machen und zu empfangen. Dies findet statt in einer Gesellschaft, von welcher
Kaufleute, mögen sie so reich sein als sie wollen, mit wenigen Ausnahmen
völlig ausgeschlossen sind. Ich bewundere diese letztere Regel durchaus nicht
und erwähne sie eigentlich nur hier, um zu zeigen, daß die Nüssen keineswegs
ohne Standesdünkel sind. Nur scheiden sich bei ihnen die gesellschaftlichen
Klassen anders als bei uns, und ihr Stolz ist verschieden von dem unsern.
Sie blicken auf Leute, die an Kenntniß und Sitte Ihresgleichen sind, nicht-
deshalb mit Geringschätzung, weil sie bis zu einem gewissen Grade in Betreff
ihres Lebensunterhalts von ihnen abhängen."

Ob das bei Allen Aeußerung humaner Denkart ist, ob Lehrer und Erzieher
nicht deshalb in Nußland höher geachtet sind als in England, weil in jenem
Land die Nachfrage nach ihnen größer ist als das Angebot, oder mit andern
Worten, ob nicht die Nüssen sich in dieser Beziehung gerade deshalb civilisirter
zeigen, weil sie erst bei einem untergeordneten Grade von Civilisation ange¬
langt sind? Unser Verfasser erklärt sich zu Gunsten der russischen Humanität und
nennt alle anders Vermuthenden „baar aller correcten moralischen Vorstellungen
und alles Ehrgefühls — moralische Einfaltspinsel". Wir möchten nicht so
streng über diese Zweifler urtheilen, ja wir glauben Ursache zu haben, uns
ihnen beizugesellen.

„Ich sagte", fährt Edwards fort, „daß die russischen Fabriken hauptsäch¬
lich von Engländern geleitet werden. Engländer dirigiren ferner die meisten
der bedeutenden Eisenwerke (Baird, der Eisengießer von Se. Petersburg, hat
ein ganzes Quartier der Stadt inne), es gibt englische Ingenieure auf den
Dampfern des Schwarzen Meeres und der Wolga, alle Pferdewärter höherer
Klasse, alle Jockeys und Grooms sind aus England. Die Kutscher sind keine
Engländer; denn im Fahren hat der Russe nichts zu lernen. Es gibt einige
russische Jockeys, aber bei den Wettrennen auf der Petrowst'y-Ebene, hart bei
Moskau, sind sie selten die Gewinner." —

Es gibt Engländer in der russischen Armee; ob auch Franzosen, kann ich
nicht sagen, aber Offiziers mit nicht zu verwechselnden englischen Zügen pfleg¬
ten bisweilen in der englischen Kirche zu Moskau zu erscheinen. Jedermann



Wir erinnern an die Scene zwischen Pirch, dessen Schwester Ruth und dem Principal
der letzter» in Dickens Martin Chuzzlewit.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/316>, abgerufen am 08.01.2025.