Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

talischer Sitte jedes Handwerk seine besondere Gasse einnimmt, mit Russen besetzt,
andre Geschäfte dagegen gehören zum großen Theil Fremden. Auf der Schmiede¬
brücke, der Hauptstraße der Stadt, haben die besten und elegantesten Läden und
Magazine Franzosen zu Inhabern. Von Franzosen kauft man seine Hand¬
schuhe, seine Seidenstoffe und natürlich alle seine "iritieles alö?in-i8". Ferner
gibts hier einen Laden mit englischen Nähnadeln und in einer Seitengasse ein
Magazin mit Messerschmiedewaaren aus Sheffield. Die Pastetenläden werden
von Deutschen und Franzosen gehalten, dagegen sind die Condilorcn meist Rus¬
sen, da diese im Fache der Zuckerbäckerei nur den Südorientaicn nachstehen.
Die Bäcker sind gewöhnlich Deutsche, und das Weizengebäck, das sie liefern,
ist so weiß und zart als das in Wien. Die Apotheker sind ohne Aus¬
nahme Deutsche, desgleichen die Wursthändler. Ein Moskaner Gassenjunge
weiß einen Fremden, den er beschimpfen will, nicht besser zu bezeichnen als
durch ein Wort, welches ..Fleischklosesser" bedeutet. Mit dem Fleischklos
meint ,er die Wurst, die hier als Nationalgericht der Deutschen zu gelten
scheint.

Die Zeichnenlehrer sind meist Russen, die meisten Musiklehrer dagegen
Deutsche, die Fechtmeister gewöhnlich Franzosen. Die Haarkünstler Moskaus
gehören drtrchgehends der "großen Nation" an. "In der That", sagt Anser
Verfasser, "fügen wir zu den vier Franzosen, welche Hoffmann auf dem Ber¬
liner Markt gesehen, noch einen hinzu, so habe" wir die fünf typischen Franz-
männer aller fremden Städte: den französischen Perückenmacher, den französi¬
schen Tanzmeister, den französischen Fechtmeister, den französischen Sprachlehrer
und den französischen Koch. Dies erinnert mich daran, daß es in Moskau
auch französische Restaurants und Hotels gibt. Englische Speisehäuser finden
sich hier nicht, und ich gratulire den Moskowitern dazu."

Unter den Aerzten sind Engländer, Franzosen und Deutsche. Man trifft
englische, französische und deutsche Gouvernanten, doch scheinen die englischen
(vermuthlich weil englische Sprache und Sitte unter den Vornehmen seit eini¬
ger Zeit die französische zu verdrängen begonnen hat) die gesuchtesten zu
sein; auch gibt es viele englische Erzieher in der Stadt. "Die Freigebig¬
keit und Güte, mit der in Rußland die Gouvernanten behandelt werden, ist
oft erwähnt worden; doch muß daran erinnert werden, daß die Familien, in
denen auf die Erziehung der Kinder große Sorgfalt verwendet wird und in
welchen man sich daher bemüht, brauchbare Erzieherinnen an das Haus zu fes¬
seln, in der Regel zugleich nach Geburt. Erziehung und Stellung die besten
sind und wenigstens ein Jahrhundert europäischer Cultur hinter sich haben.
Nicht von Leuten dieser oder ähnlicher Klasse werden die Gefühle der Gouver¬
nanten in England verletzt, sondern von "Snobs", die auf Grund des¬
sen, daß sie reich geworden sind, aristokratische Prätensionen machen, von


SS*

talischer Sitte jedes Handwerk seine besondere Gasse einnimmt, mit Russen besetzt,
andre Geschäfte dagegen gehören zum großen Theil Fremden. Auf der Schmiede¬
brücke, der Hauptstraße der Stadt, haben die besten und elegantesten Läden und
Magazine Franzosen zu Inhabern. Von Franzosen kauft man seine Hand¬
schuhe, seine Seidenstoffe und natürlich alle seine „iritieles alö?in-i8". Ferner
gibts hier einen Laden mit englischen Nähnadeln und in einer Seitengasse ein
Magazin mit Messerschmiedewaaren aus Sheffield. Die Pastetenläden werden
von Deutschen und Franzosen gehalten, dagegen sind die Condilorcn meist Rus¬
sen, da diese im Fache der Zuckerbäckerei nur den Südorientaicn nachstehen.
Die Bäcker sind gewöhnlich Deutsche, und das Weizengebäck, das sie liefern,
ist so weiß und zart als das in Wien. Die Apotheker sind ohne Aus¬
nahme Deutsche, desgleichen die Wursthändler. Ein Moskaner Gassenjunge
weiß einen Fremden, den er beschimpfen will, nicht besser zu bezeichnen als
durch ein Wort, welches ..Fleischklosesser" bedeutet. Mit dem Fleischklos
meint ,er die Wurst, die hier als Nationalgericht der Deutschen zu gelten
scheint.

Die Zeichnenlehrer sind meist Russen, die meisten Musiklehrer dagegen
Deutsche, die Fechtmeister gewöhnlich Franzosen. Die Haarkünstler Moskaus
gehören drtrchgehends der „großen Nation" an. „In der That", sagt Anser
Verfasser, „fügen wir zu den vier Franzosen, welche Hoffmann auf dem Ber¬
liner Markt gesehen, noch einen hinzu, so habe» wir die fünf typischen Franz-
männer aller fremden Städte: den französischen Perückenmacher, den französi¬
schen Tanzmeister, den französischen Fechtmeister, den französischen Sprachlehrer
und den französischen Koch. Dies erinnert mich daran, daß es in Moskau
auch französische Restaurants und Hotels gibt. Englische Speisehäuser finden
sich hier nicht, und ich gratulire den Moskowitern dazu."

Unter den Aerzten sind Engländer, Franzosen und Deutsche. Man trifft
englische, französische und deutsche Gouvernanten, doch scheinen die englischen
(vermuthlich weil englische Sprache und Sitte unter den Vornehmen seit eini¬
ger Zeit die französische zu verdrängen begonnen hat) die gesuchtesten zu
sein; auch gibt es viele englische Erzieher in der Stadt. „Die Freigebig¬
keit und Güte, mit der in Rußland die Gouvernanten behandelt werden, ist
oft erwähnt worden; doch muß daran erinnert werden, daß die Familien, in
denen auf die Erziehung der Kinder große Sorgfalt verwendet wird und in
welchen man sich daher bemüht, brauchbare Erzieherinnen an das Haus zu fes¬
seln, in der Regel zugleich nach Geburt. Erziehung und Stellung die besten
sind und wenigstens ein Jahrhundert europäischer Cultur hinter sich haben.
Nicht von Leuten dieser oder ähnlicher Klasse werden die Gefühle der Gouver¬
nanten in England verletzt, sondern von „Snobs", die auf Grund des¬
sen, daß sie reich geworden sind, aristokratische Prätensionen machen, von


SS*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114095"/>
          <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> talischer Sitte jedes Handwerk seine besondere Gasse einnimmt, mit Russen besetzt,<lb/>
andre Geschäfte dagegen gehören zum großen Theil Fremden. Auf der Schmiede¬<lb/>
brücke, der Hauptstraße der Stadt, haben die besten und elegantesten Läden und<lb/>
Magazine Franzosen zu Inhabern. Von Franzosen kauft man seine Hand¬<lb/>
schuhe, seine Seidenstoffe und natürlich alle seine &#x201E;iritieles alö?in-i8". Ferner<lb/>
gibts hier einen Laden mit englischen Nähnadeln und in einer Seitengasse ein<lb/>
Magazin mit Messerschmiedewaaren aus Sheffield. Die Pastetenläden werden<lb/>
von Deutschen und Franzosen gehalten, dagegen sind die Condilorcn meist Rus¬<lb/>
sen, da diese im Fache der Zuckerbäckerei nur den Südorientaicn nachstehen.<lb/>
Die Bäcker sind gewöhnlich Deutsche, und das Weizengebäck, das sie liefern,<lb/>
ist so weiß und zart als das in Wien. Die Apotheker sind ohne Aus¬<lb/>
nahme Deutsche, desgleichen die Wursthändler. Ein Moskaner Gassenjunge<lb/>
weiß einen Fremden, den er beschimpfen will, nicht besser zu bezeichnen als<lb/>
durch ein Wort, welches ..Fleischklosesser" bedeutet. Mit dem Fleischklos<lb/>
meint ,er die Wurst, die hier als Nationalgericht der Deutschen zu gelten<lb/>
scheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_958"> Die Zeichnenlehrer sind meist Russen, die meisten Musiklehrer dagegen<lb/>
Deutsche, die Fechtmeister gewöhnlich Franzosen. Die Haarkünstler Moskaus<lb/>
gehören drtrchgehends der &#x201E;großen Nation" an. &#x201E;In der That", sagt Anser<lb/>
Verfasser, &#x201E;fügen wir zu den vier Franzosen, welche Hoffmann auf dem Ber¬<lb/>
liner Markt gesehen, noch einen hinzu, so habe» wir die fünf typischen Franz-<lb/>
männer aller fremden Städte: den französischen Perückenmacher, den französi¬<lb/>
schen Tanzmeister, den französischen Fechtmeister, den französischen Sprachlehrer<lb/>
und den französischen Koch. Dies erinnert mich daran, daß es in Moskau<lb/>
auch französische Restaurants und Hotels gibt. Englische Speisehäuser finden<lb/>
sich hier nicht, und ich gratulire den Moskowitern dazu."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_959" next="#ID_960"> Unter den Aerzten sind Engländer, Franzosen und Deutsche. Man trifft<lb/>
englische, französische und deutsche Gouvernanten, doch scheinen die englischen<lb/>
(vermuthlich weil englische Sprache und Sitte unter den Vornehmen seit eini¬<lb/>
ger Zeit die französische zu verdrängen begonnen hat) die gesuchtesten zu<lb/>
sein; auch gibt es viele englische Erzieher in der Stadt. &#x201E;Die Freigebig¬<lb/>
keit und Güte, mit der in Rußland die Gouvernanten behandelt werden, ist<lb/>
oft erwähnt worden; doch muß daran erinnert werden, daß die Familien, in<lb/>
denen auf die Erziehung der Kinder große Sorgfalt verwendet wird und in<lb/>
welchen man sich daher bemüht, brauchbare Erzieherinnen an das Haus zu fes¬<lb/>
seln, in der Regel zugleich nach Geburt. Erziehung und Stellung die besten<lb/>
sind und wenigstens ein Jahrhundert europäischer Cultur hinter sich haben.<lb/>
Nicht von Leuten dieser oder ähnlicher Klasse werden die Gefühle der Gouver¬<lb/>
nanten in England verletzt, sondern von &#x201E;Snobs", die auf Grund des¬<lb/>
sen, daß sie reich geworden sind, aristokratische Prätensionen machen, von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> SS*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] talischer Sitte jedes Handwerk seine besondere Gasse einnimmt, mit Russen besetzt, andre Geschäfte dagegen gehören zum großen Theil Fremden. Auf der Schmiede¬ brücke, der Hauptstraße der Stadt, haben die besten und elegantesten Läden und Magazine Franzosen zu Inhabern. Von Franzosen kauft man seine Hand¬ schuhe, seine Seidenstoffe und natürlich alle seine „iritieles alö?in-i8". Ferner gibts hier einen Laden mit englischen Nähnadeln und in einer Seitengasse ein Magazin mit Messerschmiedewaaren aus Sheffield. Die Pastetenläden werden von Deutschen und Franzosen gehalten, dagegen sind die Condilorcn meist Rus¬ sen, da diese im Fache der Zuckerbäckerei nur den Südorientaicn nachstehen. Die Bäcker sind gewöhnlich Deutsche, und das Weizengebäck, das sie liefern, ist so weiß und zart als das in Wien. Die Apotheker sind ohne Aus¬ nahme Deutsche, desgleichen die Wursthändler. Ein Moskaner Gassenjunge weiß einen Fremden, den er beschimpfen will, nicht besser zu bezeichnen als durch ein Wort, welches ..Fleischklosesser" bedeutet. Mit dem Fleischklos meint ,er die Wurst, die hier als Nationalgericht der Deutschen zu gelten scheint. Die Zeichnenlehrer sind meist Russen, die meisten Musiklehrer dagegen Deutsche, die Fechtmeister gewöhnlich Franzosen. Die Haarkünstler Moskaus gehören drtrchgehends der „großen Nation" an. „In der That", sagt Anser Verfasser, „fügen wir zu den vier Franzosen, welche Hoffmann auf dem Ber¬ liner Markt gesehen, noch einen hinzu, so habe» wir die fünf typischen Franz- männer aller fremden Städte: den französischen Perückenmacher, den französi¬ schen Tanzmeister, den französischen Fechtmeister, den französischen Sprachlehrer und den französischen Koch. Dies erinnert mich daran, daß es in Moskau auch französische Restaurants und Hotels gibt. Englische Speisehäuser finden sich hier nicht, und ich gratulire den Moskowitern dazu." Unter den Aerzten sind Engländer, Franzosen und Deutsche. Man trifft englische, französische und deutsche Gouvernanten, doch scheinen die englischen (vermuthlich weil englische Sprache und Sitte unter den Vornehmen seit eini¬ ger Zeit die französische zu verdrängen begonnen hat) die gesuchtesten zu sein; auch gibt es viele englische Erzieher in der Stadt. „Die Freigebig¬ keit und Güte, mit der in Rußland die Gouvernanten behandelt werden, ist oft erwähnt worden; doch muß daran erinnert werden, daß die Familien, in denen auf die Erziehung der Kinder große Sorgfalt verwendet wird und in welchen man sich daher bemüht, brauchbare Erzieherinnen an das Haus zu fes¬ seln, in der Regel zugleich nach Geburt. Erziehung und Stellung die besten sind und wenigstens ein Jahrhundert europäischer Cultur hinter sich haben. Nicht von Leuten dieser oder ähnlicher Klasse werden die Gefühle der Gouver¬ nanten in England verletzt, sondern von „Snobs", die auf Grund des¬ sen, daß sie reich geworden sind, aristokratische Prätensionen machen, von SS*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/315>, abgerufen am 08.01.2025.