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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Andrerseits freilich hat der russische Fabrikarbeiter im Jahre eine erstaun¬
liche Menge Feiertage. Er hat alle Sonntage, alle Sonnabendsnachmittage für
sich, und durchschnittlich alle zwei Wochen außerdem noch drei Festtage, an de¬
nen in seiner einzigen Fabrik gearbeitet wird. Er nimmt sich zu Ostern auf
mehre Tage Ferien und empfangt dann gewöhnlich die Hauptsumme seines
Lohnes, denn die übrige Zeit des Jahres läßt er sich nur geringe Aconto-
Zahlungen machen." --

"Die größte Thätigkeit der Fabriken fällt in den Winter, da während der
Sommermonate, wo die Bauern alle mit landwirtschaftlichen Beschäftigungen
zu thun haben, oft schwer die erforderlichen Arbeitskräfte für industrielle Unter¬
nehmungen zu beschaffen sind."

Ihre Lebensmittel beschaffen sich die Arbeiter gemeinschaftlich, in ähnlicher,
aber nach monarchischen Princip gestalteter Weise, wie die Associationen des Sy¬
stems von Schulze-Delitzsch. Es ist der von uns bei einer frühern Gelegen¬
heit besprochene Geist der russischen Bauerngemeinde, der sich auch in den Fa¬
briken kund gibt. Wie in 'den Dörfern die Gemeinde ihren Willen an einen
Vorstand (Starost) abgibt, so wählen hier die Arbeiter einen Proviantmeister,
der Alles, was man braucht, auf gemeinsame Kosten einkauft, beim Essen den
Vorsitz führt, das Fleisch und die Suppe austheilt u. s. w. Die Schlüsse, die
unser Berichterstatter aus dieser Einrichtung zieht, beruhen auf Mißverständniß
und stellen das gemeine russische Volk zu hoch. Dagegen ist sein Lob der
Anstelligkeit des russischen Mujik nicht übertrieben.

"Allenthalben empfing ich dieselben ^Berichte über die Fähigkeiten des russi¬
schen Arbeiters. Hier und da zwar klagte man, daß sie faul seien, wenn man
sie nicht überwache, aber ich glaube, das sind alle Arbeiter, die nach der Zeit
bezahlt werden, und alle kamen darin überein. daß sie Verstand und Geschick
zeigten. In einer Kattundruckerei, die von dem Neffen eines der ersten Fa¬
brikanten Mühlhausens geleitet wurde, sah ich mehre Arbeiter, die eben erst
vom Pflug hereingekommen waren, vielfarbige Muster mit der Hand drucken,
und man sagte mir, daß sie diese schwierige Arbeit sehr zur Zufriedenheit ver¬
richteten. Andere in derselben Fabrik hatten in kurzer Zeit das Eingraviren
der Muster in die Metallwalzen der Maschinen erlernt. "Sie thun alles Mög¬
liche." sagte der Director, "wenn man ihnen nur zeigt, wie es zu machen.
Affen, Monsieur, wahre Affen", setzte er freundlich lächelnd im Bewußtsein
seiner geistigen Ueberlegenheit hinzu." --

Wenn diese Fremden die Russen geringschätzen, so werden sie wie alle
Fremden von einer starken Partei im Lande aufs Tiefste gehaßt. In Moskau
und Petersburg und ebenso in den meisten andern großen Städten Rußlands
sind eine Anzahl von Gewerben fast nur in den Händen von Ausländern. In
Moskau sind alle Buden im Gastinnoi Door, einem Basar, in dem nach orien-


Andrerseits freilich hat der russische Fabrikarbeiter im Jahre eine erstaun¬
liche Menge Feiertage. Er hat alle Sonntage, alle Sonnabendsnachmittage für
sich, und durchschnittlich alle zwei Wochen außerdem noch drei Festtage, an de¬
nen in seiner einzigen Fabrik gearbeitet wird. Er nimmt sich zu Ostern auf
mehre Tage Ferien und empfangt dann gewöhnlich die Hauptsumme seines
Lohnes, denn die übrige Zeit des Jahres läßt er sich nur geringe Aconto-
Zahlungen machen." —

„Die größte Thätigkeit der Fabriken fällt in den Winter, da während der
Sommermonate, wo die Bauern alle mit landwirtschaftlichen Beschäftigungen
zu thun haben, oft schwer die erforderlichen Arbeitskräfte für industrielle Unter¬
nehmungen zu beschaffen sind."

Ihre Lebensmittel beschaffen sich die Arbeiter gemeinschaftlich, in ähnlicher,
aber nach monarchischen Princip gestalteter Weise, wie die Associationen des Sy¬
stems von Schulze-Delitzsch. Es ist der von uns bei einer frühern Gelegen¬
heit besprochene Geist der russischen Bauerngemeinde, der sich auch in den Fa¬
briken kund gibt. Wie in 'den Dörfern die Gemeinde ihren Willen an einen
Vorstand (Starost) abgibt, so wählen hier die Arbeiter einen Proviantmeister,
der Alles, was man braucht, auf gemeinsame Kosten einkauft, beim Essen den
Vorsitz führt, das Fleisch und die Suppe austheilt u. s. w. Die Schlüsse, die
unser Berichterstatter aus dieser Einrichtung zieht, beruhen auf Mißverständniß
und stellen das gemeine russische Volk zu hoch. Dagegen ist sein Lob der
Anstelligkeit des russischen Mujik nicht übertrieben.

„Allenthalben empfing ich dieselben ^Berichte über die Fähigkeiten des russi¬
schen Arbeiters. Hier und da zwar klagte man, daß sie faul seien, wenn man
sie nicht überwache, aber ich glaube, das sind alle Arbeiter, die nach der Zeit
bezahlt werden, und alle kamen darin überein. daß sie Verstand und Geschick
zeigten. In einer Kattundruckerei, die von dem Neffen eines der ersten Fa¬
brikanten Mühlhausens geleitet wurde, sah ich mehre Arbeiter, die eben erst
vom Pflug hereingekommen waren, vielfarbige Muster mit der Hand drucken,
und man sagte mir, daß sie diese schwierige Arbeit sehr zur Zufriedenheit ver¬
richteten. Andere in derselben Fabrik hatten in kurzer Zeit das Eingraviren
der Muster in die Metallwalzen der Maschinen erlernt. „Sie thun alles Mög¬
liche." sagte der Director, „wenn man ihnen nur zeigt, wie es zu machen.
Affen, Monsieur, wahre Affen", setzte er freundlich lächelnd im Bewußtsein
seiner geistigen Ueberlegenheit hinzu." —

Wenn diese Fremden die Russen geringschätzen, so werden sie wie alle
Fremden von einer starken Partei im Lande aufs Tiefste gehaßt. In Moskau
und Petersburg und ebenso in den meisten andern großen Städten Rußlands
sind eine Anzahl von Gewerben fast nur in den Händen von Ausländern. In
Moskau sind alle Buden im Gastinnoi Door, einem Basar, in dem nach orien-


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[0314] Andrerseits freilich hat der russische Fabrikarbeiter im Jahre eine erstaun¬ liche Menge Feiertage. Er hat alle Sonntage, alle Sonnabendsnachmittage für sich, und durchschnittlich alle zwei Wochen außerdem noch drei Festtage, an de¬ nen in seiner einzigen Fabrik gearbeitet wird. Er nimmt sich zu Ostern auf mehre Tage Ferien und empfangt dann gewöhnlich die Hauptsumme seines Lohnes, denn die übrige Zeit des Jahres läßt er sich nur geringe Aconto- Zahlungen machen." — „Die größte Thätigkeit der Fabriken fällt in den Winter, da während der Sommermonate, wo die Bauern alle mit landwirtschaftlichen Beschäftigungen zu thun haben, oft schwer die erforderlichen Arbeitskräfte für industrielle Unter¬ nehmungen zu beschaffen sind." Ihre Lebensmittel beschaffen sich die Arbeiter gemeinschaftlich, in ähnlicher, aber nach monarchischen Princip gestalteter Weise, wie die Associationen des Sy¬ stems von Schulze-Delitzsch. Es ist der von uns bei einer frühern Gelegen¬ heit besprochene Geist der russischen Bauerngemeinde, der sich auch in den Fa¬ briken kund gibt. Wie in 'den Dörfern die Gemeinde ihren Willen an einen Vorstand (Starost) abgibt, so wählen hier die Arbeiter einen Proviantmeister, der Alles, was man braucht, auf gemeinsame Kosten einkauft, beim Essen den Vorsitz führt, das Fleisch und die Suppe austheilt u. s. w. Die Schlüsse, die unser Berichterstatter aus dieser Einrichtung zieht, beruhen auf Mißverständniß und stellen das gemeine russische Volk zu hoch. Dagegen ist sein Lob der Anstelligkeit des russischen Mujik nicht übertrieben. „Allenthalben empfing ich dieselben ^Berichte über die Fähigkeiten des russi¬ schen Arbeiters. Hier und da zwar klagte man, daß sie faul seien, wenn man sie nicht überwache, aber ich glaube, das sind alle Arbeiter, die nach der Zeit bezahlt werden, und alle kamen darin überein. daß sie Verstand und Geschick zeigten. In einer Kattundruckerei, die von dem Neffen eines der ersten Fa¬ brikanten Mühlhausens geleitet wurde, sah ich mehre Arbeiter, die eben erst vom Pflug hereingekommen waren, vielfarbige Muster mit der Hand drucken, und man sagte mir, daß sie diese schwierige Arbeit sehr zur Zufriedenheit ver¬ richteten. Andere in derselben Fabrik hatten in kurzer Zeit das Eingraviren der Muster in die Metallwalzen der Maschinen erlernt. „Sie thun alles Mög¬ liche." sagte der Director, „wenn man ihnen nur zeigt, wie es zu machen. Affen, Monsieur, wahre Affen", setzte er freundlich lächelnd im Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit hinzu." — Wenn diese Fremden die Russen geringschätzen, so werden sie wie alle Fremden von einer starken Partei im Lande aufs Tiefste gehaßt. In Moskau und Petersburg und ebenso in den meisten andern großen Städten Rußlands sind eine Anzahl von Gewerben fast nur in den Händen von Ausländern. In Moskau sind alle Buden im Gastinnoi Door, einem Basar, in dem nach orien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/314>, abgerufen am 08.01.2025.