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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Städten Deutschlands ist, und daß der Krieg damals die Löhne fast verdop-
pett hatte.

Die Schlafsäle der Arbeiter waren sehr einfach eingerichtet. In der That,
es befand sich in ihnen nichts als eine riesenhafte Pritsche, die sich von einem
Ende des Raumes bis zum andern streckte, und auf welcher die Leute ohne
alle Bettwäsche, aber mit Hemd und Hosen, der gewöhnlichen Hauskleidung des
russischen Mujik, neben einander lagen, "wie die Löffel in einem Löffelkästchcn"
sagte der Besitzer einer Fabrik zu unserm Reisenden. Indeß hat das nicht
viel auf sich, da diese aus Bauern zu Fabrikarbeitern gewordenen Burschen
in ihren heimischen Hütten ebensowenig den Luxus von Bettstellen und Lein¬
tüchern kennen. Und andrerseits befindet sich in jeder Fabrik ein Bad für sie,
und jeder Sonnabendsnachmittag wird der Benutzung desselben gewidmet.
Die täglichen Morgenabwaschungcn sollen etwas oberflächlicher Natur sein,
aber doch regelmäßig vorgenommen werden. "Männer sowohl wie Frauen",
sagt Edwards, "sahen reinlich aus. Sie waren fast durchgehends sauber ge¬
kleidet, und in ihren hellfarbigen Kleidern, die Männer mit ihren von einem
schmalen Band, die Frauen mit ihren durch gelbe oder rothe Kopftücher zu-
rückgehaltnem Haaren, boten sie einen recht malerischen Anblick dar, nach dem
man sich in den düstern Factoreien von Lancashire umsonst umsehen würde.
Doch muß man sich bei einem Vergleich dieser russischen Arbeiter mit den eng¬
lischen, deren Gesichter von Kohlenstaub geschwärzt sind und deren Haare von
den Fasern der überall umherfliegenden Baumwolle vollhängen, erinnern, daß
die Moskaner Fabriken nicht in verräucherten Gruppen, sondern jede auf eignem
Grund und Boden stehen, und daß man die Maschinenkessel, da Kohlen nicht
zu haben sind, lediglich mit Holz heizt." --

"Aber wenn die Arbeiter, die ich sah", fährt Edwards fort, "sich gut aus-
nahmen, so war die Ursache nicht, daß sie nicht überarbeitet waren; denn die
Arbeitsstunden sind in den Fabriken zahlreich und in einigen über das Maß.
Diese Geschäfte sind meist sehr einträgliche Speculationen, und die Besitzer ver¬
stehen es, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld herauszuschlagen. Ge¬
wöhnlich beschäftigt man zwei Abtheilungen von Arbeitern in ihnen, die eine
von früh sechs bis Abends sechs Uhr, die andere von Abends sechs bis früh
sechs Uhr, und die Maschine ist, mit Ausnahme weniger Minuten sür neue
Einölung, Tag und Nacht hindurch im Gange. Bei diesem System ist, wenn
man die für Frühstück, Mittagsbrod und Abendessen gestattete Unterbrechung
abzieht, die Arbeitszeit nicht viel länger als in den englischen Fabriken (wo
gesetzlich nicht mehr als zehn Stunden gearbeitet wird); aber wo jene Zwei¬
theilung des arbeitenden Personals nicht eingeführt ist, müssen die unglück¬
lichen Leute von früh vier bis abends acht Uhr am Werk sei, so daß ihnen
nur acht Stunden von ihrer Zeit übrig bleiben.


Grenzboten II. 1862. 39

Städten Deutschlands ist, und daß der Krieg damals die Löhne fast verdop-
pett hatte.

Die Schlafsäle der Arbeiter waren sehr einfach eingerichtet. In der That,
es befand sich in ihnen nichts als eine riesenhafte Pritsche, die sich von einem
Ende des Raumes bis zum andern streckte, und auf welcher die Leute ohne
alle Bettwäsche, aber mit Hemd und Hosen, der gewöhnlichen Hauskleidung des
russischen Mujik, neben einander lagen, „wie die Löffel in einem Löffelkästchcn"
sagte der Besitzer einer Fabrik zu unserm Reisenden. Indeß hat das nicht
viel auf sich, da diese aus Bauern zu Fabrikarbeitern gewordenen Burschen
in ihren heimischen Hütten ebensowenig den Luxus von Bettstellen und Lein¬
tüchern kennen. Und andrerseits befindet sich in jeder Fabrik ein Bad für sie,
und jeder Sonnabendsnachmittag wird der Benutzung desselben gewidmet.
Die täglichen Morgenabwaschungcn sollen etwas oberflächlicher Natur sein,
aber doch regelmäßig vorgenommen werden. „Männer sowohl wie Frauen",
sagt Edwards, „sahen reinlich aus. Sie waren fast durchgehends sauber ge¬
kleidet, und in ihren hellfarbigen Kleidern, die Männer mit ihren von einem
schmalen Band, die Frauen mit ihren durch gelbe oder rothe Kopftücher zu-
rückgehaltnem Haaren, boten sie einen recht malerischen Anblick dar, nach dem
man sich in den düstern Factoreien von Lancashire umsonst umsehen würde.
Doch muß man sich bei einem Vergleich dieser russischen Arbeiter mit den eng¬
lischen, deren Gesichter von Kohlenstaub geschwärzt sind und deren Haare von
den Fasern der überall umherfliegenden Baumwolle vollhängen, erinnern, daß
die Moskaner Fabriken nicht in verräucherten Gruppen, sondern jede auf eignem
Grund und Boden stehen, und daß man die Maschinenkessel, da Kohlen nicht
zu haben sind, lediglich mit Holz heizt." —

„Aber wenn die Arbeiter, die ich sah", fährt Edwards fort, „sich gut aus-
nahmen, so war die Ursache nicht, daß sie nicht überarbeitet waren; denn die
Arbeitsstunden sind in den Fabriken zahlreich und in einigen über das Maß.
Diese Geschäfte sind meist sehr einträgliche Speculationen, und die Besitzer ver¬
stehen es, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld herauszuschlagen. Ge¬
wöhnlich beschäftigt man zwei Abtheilungen von Arbeitern in ihnen, die eine
von früh sechs bis Abends sechs Uhr, die andere von Abends sechs bis früh
sechs Uhr, und die Maschine ist, mit Ausnahme weniger Minuten sür neue
Einölung, Tag und Nacht hindurch im Gange. Bei diesem System ist, wenn
man die für Frühstück, Mittagsbrod und Abendessen gestattete Unterbrechung
abzieht, die Arbeitszeit nicht viel länger als in den englischen Fabriken (wo
gesetzlich nicht mehr als zehn Stunden gearbeitet wird); aber wo jene Zwei¬
theilung des arbeitenden Personals nicht eingeführt ist, müssen die unglück¬
lichen Leute von früh vier bis abends acht Uhr am Werk sei, so daß ihnen
nur acht Stunden von ihrer Zeit übrig bleiben.


Grenzboten II. 1862. 39
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[0313] Städten Deutschlands ist, und daß der Krieg damals die Löhne fast verdop- pett hatte. Die Schlafsäle der Arbeiter waren sehr einfach eingerichtet. In der That, es befand sich in ihnen nichts als eine riesenhafte Pritsche, die sich von einem Ende des Raumes bis zum andern streckte, und auf welcher die Leute ohne alle Bettwäsche, aber mit Hemd und Hosen, der gewöhnlichen Hauskleidung des russischen Mujik, neben einander lagen, „wie die Löffel in einem Löffelkästchcn" sagte der Besitzer einer Fabrik zu unserm Reisenden. Indeß hat das nicht viel auf sich, da diese aus Bauern zu Fabrikarbeitern gewordenen Burschen in ihren heimischen Hütten ebensowenig den Luxus von Bettstellen und Lein¬ tüchern kennen. Und andrerseits befindet sich in jeder Fabrik ein Bad für sie, und jeder Sonnabendsnachmittag wird der Benutzung desselben gewidmet. Die täglichen Morgenabwaschungcn sollen etwas oberflächlicher Natur sein, aber doch regelmäßig vorgenommen werden. „Männer sowohl wie Frauen", sagt Edwards, „sahen reinlich aus. Sie waren fast durchgehends sauber ge¬ kleidet, und in ihren hellfarbigen Kleidern, die Männer mit ihren von einem schmalen Band, die Frauen mit ihren durch gelbe oder rothe Kopftücher zu- rückgehaltnem Haaren, boten sie einen recht malerischen Anblick dar, nach dem man sich in den düstern Factoreien von Lancashire umsonst umsehen würde. Doch muß man sich bei einem Vergleich dieser russischen Arbeiter mit den eng¬ lischen, deren Gesichter von Kohlenstaub geschwärzt sind und deren Haare von den Fasern der überall umherfliegenden Baumwolle vollhängen, erinnern, daß die Moskaner Fabriken nicht in verräucherten Gruppen, sondern jede auf eignem Grund und Boden stehen, und daß man die Maschinenkessel, da Kohlen nicht zu haben sind, lediglich mit Holz heizt." — „Aber wenn die Arbeiter, die ich sah", fährt Edwards fort, „sich gut aus- nahmen, so war die Ursache nicht, daß sie nicht überarbeitet waren; denn die Arbeitsstunden sind in den Fabriken zahlreich und in einigen über das Maß. Diese Geschäfte sind meist sehr einträgliche Speculationen, und die Besitzer ver¬ stehen es, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld herauszuschlagen. Ge¬ wöhnlich beschäftigt man zwei Abtheilungen von Arbeitern in ihnen, die eine von früh sechs bis Abends sechs Uhr, die andere von Abends sechs bis früh sechs Uhr, und die Maschine ist, mit Ausnahme weniger Minuten sür neue Einölung, Tag und Nacht hindurch im Gange. Bei diesem System ist, wenn man die für Frühstück, Mittagsbrod und Abendessen gestattete Unterbrechung abzieht, die Arbeitszeit nicht viel länger als in den englischen Fabriken (wo gesetzlich nicht mehr als zehn Stunden gearbeitet wird); aber wo jene Zwei¬ theilung des arbeitenden Personals nicht eingeführt ist, müssen die unglück¬ lichen Leute von früh vier bis abends acht Uhr am Werk sei, so daß ihnen nur acht Stunden von ihrer Zeit übrig bleiben. Grenzboten II. 1862. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/313>, abgerufen am 08.01.2025.