Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.zehnten außerordentlich gehoben. Die alte politische und religiöse Haupt¬ Die Arbeiter in den Fabriken waren bis jetzt fast ohne Ausnahme Leib¬ zehnten außerordentlich gehoben. Die alte politische und religiöse Haupt¬ Die Arbeiter in den Fabriken waren bis jetzt fast ohne Ausnahme Leib¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114092"/> <p xml:id="ID_947" prev="#ID_946"> zehnten außerordentlich gehoben. Die alte politische und religiöse Haupt¬<lb/> stadt der Großfürsten und Czaren ist jetzt der Mittelpunkt einer sehr wich¬<lb/> tigen Fabrikthätigkeit, und das ganze Gouvernement Moskau voll von<lb/> Baumwollenspinnernen, Webereien und Druckereien. Wo einst mit den<lb/> Mongolen, dann mit den Polen, zuletzt mit den Franzosen gekämpft wurde, in<lb/> Borodino, in der Nachbcuschaft des berühmten Troiza-Klosters, im Schatten<lb/> des weißummauerten Kreml selbst, schnurren die Spindeln, rauchen die Schorn¬<lb/> steine dieser Industrie, welche sich von Jahr zu Jak>r mehr hebt und in einigen<lb/> Betriebszweigen jetzt schon so Gutes leistet, als ^das Ausland. Freilich aber<lb/> auch mit Hilfe des Auslands. Das Geld liefert zu diesen Unternehmen allerdings<lb/> zum bei Weitem größten Theile die russische Speculation, und selbst das Roh¬<lb/> material kommt zum Theil aus dem Inland, da die transkaukasischen Provin¬<lb/> zen etwas Baumwolle bauen. Auch die Arbeiter sind Russen. Aber während<lb/> die Fabrikanten von Lancashire und Mühlhausen, die westphälischen und<lb/> sächsischen ihre Geschäfte selbst leiten, geschieht es in Rußland sehr selten, daß<lb/> der Besitzer einer Fabrik, der häufig zugleich Eigenthümer des Grundes und<lb/> Bodens ist, auf dem dieselbe steht, die Befähigung zur eigenhändigen Leitung<lb/> seines Unternehmens besitzt. Er überträgt dieselbe daher in der Regel einem<lb/> Factor, der hier den Titel „Director" führt und meist ein Schotte oder Nord¬<lb/> engländer, bisweilen ein Elsässer, seltner ein Deutscher von diesseit des Rheins<lb/> ist. Diese Directoren beziehen gegenwärtig nicht mehr die ungeheuern Gehalte<lb/> von ehedem, wo es unmöglich war, ihre Stellen mit Eingeborenen zu besetzen,<lb/> und wo die Vortheile, die Rußland dem „geldmachenden" Publicum bietet, den<lb/> Engländern noch weniger bekannt waren, aber noch heute bekommt der oberste<lb/> Leiter einer solchen Fabrik selten weniger als 4000 Thaler das Jahr, oft das<lb/> Doppelte, ja das Dreifache.</p><lb/> <p xml:id="ID_948" next="#ID_949"> Die Arbeiter in den Fabriken waren bis jetzt fast ohne Ausnahme Leib¬<lb/> eigene. Dieselben zahlten ihren Eigenthümern den „Obrok". den das Her¬<lb/> kommen für diese Art Leute auf zehn Rubel jährlich festgestellt hatte; indeß<lb/> hinderte kein Gesetz den Besitzer mehr zu verlangen. Doch ist dabei in Be¬<lb/> tracht zu nehmen, daß ein leibeigner Fabrikarbeiter zwar circa zehn Thaler<lb/> preußisch weniger das Jahr verdient, als ein freier, aber die Sicherheit hat,<lb/> im Alter oder wenn er auf irgend eine Weise genöthigt ist, die Arbeit auf¬<lb/> zugeben und sich in sein Heimathsdorf zurückzuziehen, für seinen Unterhalt ge¬<lb/> sorgt zu sehen. Im Jahr 1857 betrug der Lohn eines gewöhnlichen Spinners,<lb/> Webers oder Druckers durchschnittlich zehn Rubel monatlich, und außerdem<lb/> wurden sie in der Fabrik mit Wohnungen versorgt. Natürlich hatten sie sich<lb/> die Lebensmittel selbst zu beschaffen, und gewöhnlich war ihr Essen, des Mittags<lb/> aus Suppe, Rindfleisch und Buchweizengrütze bestehend, recht gut. Indeß ist<lb/> zu bemerken, daß Fleisch in Moskau nur halb so theuer als in den" größern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0312]
zehnten außerordentlich gehoben. Die alte politische und religiöse Haupt¬
stadt der Großfürsten und Czaren ist jetzt der Mittelpunkt einer sehr wich¬
tigen Fabrikthätigkeit, und das ganze Gouvernement Moskau voll von
Baumwollenspinnernen, Webereien und Druckereien. Wo einst mit den
Mongolen, dann mit den Polen, zuletzt mit den Franzosen gekämpft wurde, in
Borodino, in der Nachbcuschaft des berühmten Troiza-Klosters, im Schatten
des weißummauerten Kreml selbst, schnurren die Spindeln, rauchen die Schorn¬
steine dieser Industrie, welche sich von Jahr zu Jak>r mehr hebt und in einigen
Betriebszweigen jetzt schon so Gutes leistet, als ^das Ausland. Freilich aber
auch mit Hilfe des Auslands. Das Geld liefert zu diesen Unternehmen allerdings
zum bei Weitem größten Theile die russische Speculation, und selbst das Roh¬
material kommt zum Theil aus dem Inland, da die transkaukasischen Provin¬
zen etwas Baumwolle bauen. Auch die Arbeiter sind Russen. Aber während
die Fabrikanten von Lancashire und Mühlhausen, die westphälischen und
sächsischen ihre Geschäfte selbst leiten, geschieht es in Rußland sehr selten, daß
der Besitzer einer Fabrik, der häufig zugleich Eigenthümer des Grundes und
Bodens ist, auf dem dieselbe steht, die Befähigung zur eigenhändigen Leitung
seines Unternehmens besitzt. Er überträgt dieselbe daher in der Regel einem
Factor, der hier den Titel „Director" führt und meist ein Schotte oder Nord¬
engländer, bisweilen ein Elsässer, seltner ein Deutscher von diesseit des Rheins
ist. Diese Directoren beziehen gegenwärtig nicht mehr die ungeheuern Gehalte
von ehedem, wo es unmöglich war, ihre Stellen mit Eingeborenen zu besetzen,
und wo die Vortheile, die Rußland dem „geldmachenden" Publicum bietet, den
Engländern noch weniger bekannt waren, aber noch heute bekommt der oberste
Leiter einer solchen Fabrik selten weniger als 4000 Thaler das Jahr, oft das
Doppelte, ja das Dreifache.
Die Arbeiter in den Fabriken waren bis jetzt fast ohne Ausnahme Leib¬
eigene. Dieselben zahlten ihren Eigenthümern den „Obrok". den das Her¬
kommen für diese Art Leute auf zehn Rubel jährlich festgestellt hatte; indeß
hinderte kein Gesetz den Besitzer mehr zu verlangen. Doch ist dabei in Be¬
tracht zu nehmen, daß ein leibeigner Fabrikarbeiter zwar circa zehn Thaler
preußisch weniger das Jahr verdient, als ein freier, aber die Sicherheit hat,
im Alter oder wenn er auf irgend eine Weise genöthigt ist, die Arbeit auf¬
zugeben und sich in sein Heimathsdorf zurückzuziehen, für seinen Unterhalt ge¬
sorgt zu sehen. Im Jahr 1857 betrug der Lohn eines gewöhnlichen Spinners,
Webers oder Druckers durchschnittlich zehn Rubel monatlich, und außerdem
wurden sie in der Fabrik mit Wohnungen versorgt. Natürlich hatten sie sich
die Lebensmittel selbst zu beschaffen, und gewöhnlich war ihr Essen, des Mittags
aus Suppe, Rindfleisch und Buchweizengrütze bestehend, recht gut. Indeß ist
zu bemerken, daß Fleisch in Moskau nur halb so theuer als in den" größern
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