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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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glückte, so genügte die Abwesenheit von 6--8 Prisenbesatzungen, Um sie außer
Manövrirfähigkeit zu setzen!

Wenn ein Fremder in Friedenszeiten ein ausgerüstetes schwedisches Fahr¬
zeug betritt, so t'ann er sich durch das, was er sieht, schwer einen Begriff von
der Untauglichkeit der Mannschaft machen. Das Schiff wird spiegelblank und
sauber sein, die Mannschaft ruhig, wohlgekleidet und gesund, auch ein ausge¬
führtes Geschütz- oder Handwaffen-Exercitium, oder eins mit Segeln und Rund¬
hölzern, wird ihm ganz vortrefflich erscheinen, obwohl es ihm besonders bei dem
letzteren auffallen muß, daß V° oder V° der Leute zwar willig, aber in einer
Weise arbeiten, daß man sieht, sie wissen nicht, was sie thun oder warum sie
es thun. Unter den Bootsleuten wird er fast nur große und starke Männer,
aber wenig bewegliche oder gewandte sehen; ruhig und gleichgiltig stehen sie
da, wo matt sie hingestellt hat. Vielleicht sieht der Besuchet auch einen vier¬
zehnjährigen Schlingel, den Schiffsjungen, der sich unbemerkt glaubt und zum
Zeitvertreib einem doppelt so alten Bootsmann auf die Zehen tritt oder ihn
nasenstübert, während dieser sich verlegen und ängstlich dreht und nicht weiß,
wie er sich seinem kleinen Plagegeist entziehen soll. So behandelt ein Schiffs¬
junge einen Bootsmann und warum? Weil der Bootsmann von dem Augen¬
blicke an, in welch'em er die Planken betrat, alles Selbstbewußtsein Und Ver¬
trauen in seine Kraft und seinen Verstand verloren hat! Er befindet sich in
einem unnatürlichen Zustande und auf einem ihm fremden Elemente.

Wird der Befehl gegeben, in die Takelung hinauf zu klettern, so springen
Matrosen und Halbbefahrene um die Wette, der Bootsmann hingegen setzt zag¬
haft einen Fuß vor den andern, kriecht langsam hinauf, und seine ganze Sorge
ist darauf gerichtet, sich festzuhalten, um nicht zu fallen. Zu Verrichtungen in
der Takelung, die Gewandtheit und Selbstvertrauen erfordern, kann er daher
auch gar nicht verwandt werden. Matrosen und Halbbefahrene müssen dieselben
übernehmen, da aber deren Zahl so gering ist, muß sich das M,rzeug mehr auf
sein gutes Glück als auf seine Mannschaft verlassen.

Unter fünfzig.Bootsleuten kann rann einer schwimmen, und unter zwanziger
geht höchstens einer freiwillig in's Wasser, um zu baden. An sehr heißen Tagen
wird nämlich längs der Schiffsseite ein Segel einige Fuß tief unterm Wasser¬
spiegel ausgespannt, und ein paar Boote mit tüchtigen Schwimmern halten da¬
bei, um Jeden aufzufischen, der sich etwa aus diesem improvisirten Bassin ver¬
irren sollte, aber es bedarf selbst bei der größten Hitze eines ernsten Befehls,
um die Bootsleute in's Wasser zu treiben, während Matrosen und Schiffsjungen
nur auf die Erlaubniß warten, um sich sofort kopfüber in's Wasser zu stürzen.

Da dem Bootsmann sein Beruf so durchaus fremd ist, kümmert er sich
auch um weiter nichts, als wozu er gezwungen wird. So kann er selten die
bekanntesten Flaggen von einander unterscheiden, ebenso wenig eine Art Fahr-


Grenzboten II. 1662. Z8

glückte, so genügte die Abwesenheit von 6—8 Prisenbesatzungen, Um sie außer
Manövrirfähigkeit zu setzen!

Wenn ein Fremder in Friedenszeiten ein ausgerüstetes schwedisches Fahr¬
zeug betritt, so t'ann er sich durch das, was er sieht, schwer einen Begriff von
der Untauglichkeit der Mannschaft machen. Das Schiff wird spiegelblank und
sauber sein, die Mannschaft ruhig, wohlgekleidet und gesund, auch ein ausge¬
führtes Geschütz- oder Handwaffen-Exercitium, oder eins mit Segeln und Rund¬
hölzern, wird ihm ganz vortrefflich erscheinen, obwohl es ihm besonders bei dem
letzteren auffallen muß, daß V° oder V° der Leute zwar willig, aber in einer
Weise arbeiten, daß man sieht, sie wissen nicht, was sie thun oder warum sie
es thun. Unter den Bootsleuten wird er fast nur große und starke Männer,
aber wenig bewegliche oder gewandte sehen; ruhig und gleichgiltig stehen sie
da, wo matt sie hingestellt hat. Vielleicht sieht der Besuchet auch einen vier¬
zehnjährigen Schlingel, den Schiffsjungen, der sich unbemerkt glaubt und zum
Zeitvertreib einem doppelt so alten Bootsmann auf die Zehen tritt oder ihn
nasenstübert, während dieser sich verlegen und ängstlich dreht und nicht weiß,
wie er sich seinem kleinen Plagegeist entziehen soll. So behandelt ein Schiffs¬
junge einen Bootsmann und warum? Weil der Bootsmann von dem Augen¬
blicke an, in welch'em er die Planken betrat, alles Selbstbewußtsein Und Ver¬
trauen in seine Kraft und seinen Verstand verloren hat! Er befindet sich in
einem unnatürlichen Zustande und auf einem ihm fremden Elemente.

Wird der Befehl gegeben, in die Takelung hinauf zu klettern, so springen
Matrosen und Halbbefahrene um die Wette, der Bootsmann hingegen setzt zag¬
haft einen Fuß vor den andern, kriecht langsam hinauf, und seine ganze Sorge
ist darauf gerichtet, sich festzuhalten, um nicht zu fallen. Zu Verrichtungen in
der Takelung, die Gewandtheit und Selbstvertrauen erfordern, kann er daher
auch gar nicht verwandt werden. Matrosen und Halbbefahrene müssen dieselben
übernehmen, da aber deren Zahl so gering ist, muß sich das M,rzeug mehr auf
sein gutes Glück als auf seine Mannschaft verlassen.

Unter fünfzig.Bootsleuten kann rann einer schwimmen, und unter zwanziger
geht höchstens einer freiwillig in's Wasser, um zu baden. An sehr heißen Tagen
wird nämlich längs der Schiffsseite ein Segel einige Fuß tief unterm Wasser¬
spiegel ausgespannt, und ein paar Boote mit tüchtigen Schwimmern halten da¬
bei, um Jeden aufzufischen, der sich etwa aus diesem improvisirten Bassin ver¬
irren sollte, aber es bedarf selbst bei der größten Hitze eines ernsten Befehls,
um die Bootsleute in's Wasser zu treiben, während Matrosen und Schiffsjungen
nur auf die Erlaubniß warten, um sich sofort kopfüber in's Wasser zu stürzen.

Da dem Bootsmann sein Beruf so durchaus fremd ist, kümmert er sich
auch um weiter nichts, als wozu er gezwungen wird. So kann er selten die
bekanntesten Flaggen von einander unterscheiden, ebenso wenig eine Art Fahr-


Grenzboten II. 1662. Z8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/305>, abgerufen am 08.01.2025.