Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Landsleuten die Bestimmung zu, die unter ihnen am gedrängtesten und schroff¬
sten vorhandenen deutschen Gegensätze am tiefsten in sich zu verarbeiten und
dadurch zu einer Aussöhnung zu bringen, mithin das Bindeglied zwischen Nord-
uud Süddeutschland zu werden. Wenn er hiernach hofft, daß die drei kleineren
Königreiche mit einem alternirenden Director zufrieden sein werden, so unter"
läßt er auch nicht, ihnen die Betrachtung vor die Seele zu führen, daß
gegenwärtig Preußen fast allein Herr im Zollverein ist, da es die Bedingungen
für die Erneuerung der Verträge dictiren kann; denn die übrigen Mitglieder
können den Verein nicht mehr entbehren, und die süddeutschen müssen "nach
einigem Gemurmel" die preußischen Bedingungen annehmen. Warum sollten
sie nicht diese factische Abhängigkeit mit einer Einrichtung vertauschen, bei welcher
ohne Genehmigung Bayerns und ihres dritten Directors und ohne Zustimmung
der beiden Häuser des Vereinsparlamentes kein wichtiger Act zur Ausführung
kommen kann?

Den Oestreichern beweist der Verfasser, nachdem er in scharfen Umrissen
die Schwarzenbergischc Politik trefflich gezeichnet, daß es in ihrem Interesse
liege, die Reform des Zollvereins mit dem Vereinsparlamcnte und außerdem
noch Preußens Führung im Kriege zuzugeben, weil diese Concessionen die
deutsche Hilfe für Oestreich bedingen. Endlich empfiehlt die Schrift ihr Reform-
Programm noch durch den Vorzug, daß die Reform des Zollvereins dein Aus¬
lande weniger Anlaß zur Einmischung gibt, als die rein politische Bundesreform.
Diesen Vorzug schlägt sie um so höher an, je bedenklicher unter den gegen¬
wärtigen Zuständen ein Krieg sein würde, der überhaupt nie dem parlamenta¬
rischen Wesen, sondern in der Regel der Reaction günstig sei. Der eilfte, letzte
Abschnitt legt zum Schlüsse den Deutschen die Aufgabe an das Herz, eine dem
Norden und dem Süden gemeinschaftliche öffentliche Meinung zu schaffen und
von dem unfruchtbaren theoretischen Gezänke zum Handeln vorzuschreiten, zu¬
nächst zur Aufstellung des Programms für die Reform des Zollvereins.

Hier haben wir also einen der seltenen Schwaben, der über die Vorur-
theile des Stammes und die Eindrücke der Umgebung hinaus sich zu der Ueber¬
zeugung emporgearbeitet hat, daß Preußen berufen ist, die Deutschen wieder
zu einer Nation organisch zu verbinden, und daß die Selbsterhaltung Preußen
gebietet, seinen deutschen Beruf zu erfüllen,,den übrigen Deutschen, ihre Ein-
heitsbestrebungen mit der Aufgabe Preußens in Einklang zu bringen. Wie
sein Landsmann Paul Pfitzer zuerst nach der stillen Periode, welche dem Kriege
gegen Napoleon gefolgt war, den deutschen Bundesstaat mit Preußen an der
Spitze und im Bunde mit Oestreich ehen so formulirt hatte, wie dies später
in den Programmen von Frankfurt und Kremsier, in Erfurt und Gotha, und
heut zu Tage in den Ka^dgebungen der großen nationalen Partei geschehen:
so weist Frauer auf die Ausbildung des Zollvereins als auf den prak-


34*

Landsleuten die Bestimmung zu, die unter ihnen am gedrängtesten und schroff¬
sten vorhandenen deutschen Gegensätze am tiefsten in sich zu verarbeiten und
dadurch zu einer Aussöhnung zu bringen, mithin das Bindeglied zwischen Nord-
uud Süddeutschland zu werden. Wenn er hiernach hofft, daß die drei kleineren
Königreiche mit einem alternirenden Director zufrieden sein werden, so unter«
läßt er auch nicht, ihnen die Betrachtung vor die Seele zu führen, daß
gegenwärtig Preußen fast allein Herr im Zollverein ist, da es die Bedingungen
für die Erneuerung der Verträge dictiren kann; denn die übrigen Mitglieder
können den Verein nicht mehr entbehren, und die süddeutschen müssen „nach
einigem Gemurmel" die preußischen Bedingungen annehmen. Warum sollten
sie nicht diese factische Abhängigkeit mit einer Einrichtung vertauschen, bei welcher
ohne Genehmigung Bayerns und ihres dritten Directors und ohne Zustimmung
der beiden Häuser des Vereinsparlamentes kein wichtiger Act zur Ausführung
kommen kann?

Den Oestreichern beweist der Verfasser, nachdem er in scharfen Umrissen
die Schwarzenbergischc Politik trefflich gezeichnet, daß es in ihrem Interesse
liege, die Reform des Zollvereins mit dem Vereinsparlamcnte und außerdem
noch Preußens Führung im Kriege zuzugeben, weil diese Concessionen die
deutsche Hilfe für Oestreich bedingen. Endlich empfiehlt die Schrift ihr Reform-
Programm noch durch den Vorzug, daß die Reform des Zollvereins dein Aus¬
lande weniger Anlaß zur Einmischung gibt, als die rein politische Bundesreform.
Diesen Vorzug schlägt sie um so höher an, je bedenklicher unter den gegen¬
wärtigen Zuständen ein Krieg sein würde, der überhaupt nie dem parlamenta¬
rischen Wesen, sondern in der Regel der Reaction günstig sei. Der eilfte, letzte
Abschnitt legt zum Schlüsse den Deutschen die Aufgabe an das Herz, eine dem
Norden und dem Süden gemeinschaftliche öffentliche Meinung zu schaffen und
von dem unfruchtbaren theoretischen Gezänke zum Handeln vorzuschreiten, zu¬
nächst zur Aufstellung des Programms für die Reform des Zollvereins.

Hier haben wir also einen der seltenen Schwaben, der über die Vorur-
theile des Stammes und die Eindrücke der Umgebung hinaus sich zu der Ueber¬
zeugung emporgearbeitet hat, daß Preußen berufen ist, die Deutschen wieder
zu einer Nation organisch zu verbinden, und daß die Selbsterhaltung Preußen
gebietet, seinen deutschen Beruf zu erfüllen,,den übrigen Deutschen, ihre Ein-
heitsbestrebungen mit der Aufgabe Preußens in Einklang zu bringen. Wie
sein Landsmann Paul Pfitzer zuerst nach der stillen Periode, welche dem Kriege
gegen Napoleon gefolgt war, den deutschen Bundesstaat mit Preußen an der
Spitze und im Bunde mit Oestreich ehen so formulirt hatte, wie dies später
in den Programmen von Frankfurt und Kremsier, in Erfurt und Gotha, und
heut zu Tage in den Ka^dgebungen der großen nationalen Partei geschehen:
so weist Frauer auf die Ausbildung des Zollvereins als auf den prak-


34*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114055"/>
            <p xml:id="ID_809" prev="#ID_808"> Landsleuten die Bestimmung zu, die unter ihnen am gedrängtesten und schroff¬<lb/>
sten vorhandenen deutschen Gegensätze am tiefsten in sich zu verarbeiten und<lb/>
dadurch zu einer Aussöhnung zu bringen, mithin das Bindeglied zwischen Nord-<lb/>
uud Süddeutschland zu werden. Wenn er hiernach hofft, daß die drei kleineren<lb/>
Königreiche mit einem alternirenden Director zufrieden sein werden, so unter«<lb/>
läßt er auch nicht, ihnen die Betrachtung vor die Seele zu führen, daß<lb/>
gegenwärtig Preußen fast allein Herr im Zollverein ist, da es die Bedingungen<lb/>
für die Erneuerung der Verträge dictiren kann; denn die übrigen Mitglieder<lb/>
können den Verein nicht mehr entbehren, und die süddeutschen müssen &#x201E;nach<lb/>
einigem Gemurmel" die preußischen Bedingungen annehmen. Warum sollten<lb/>
sie nicht diese factische Abhängigkeit mit einer Einrichtung vertauschen, bei welcher<lb/>
ohne Genehmigung Bayerns und ihres dritten Directors und ohne Zustimmung<lb/>
der beiden Häuser des Vereinsparlamentes kein wichtiger Act zur Ausführung<lb/>
kommen kann?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_810"> Den Oestreichern beweist der Verfasser, nachdem er in scharfen Umrissen<lb/>
die Schwarzenbergischc Politik trefflich gezeichnet, daß es in ihrem Interesse<lb/>
liege, die Reform des Zollvereins mit dem Vereinsparlamcnte und außerdem<lb/>
noch Preußens Führung im Kriege zuzugeben, weil diese Concessionen die<lb/>
deutsche Hilfe für Oestreich bedingen. Endlich empfiehlt die Schrift ihr Reform-<lb/>
Programm noch durch den Vorzug, daß die Reform des Zollvereins dein Aus¬<lb/>
lande weniger Anlaß zur Einmischung gibt, als die rein politische Bundesreform.<lb/>
Diesen Vorzug schlägt sie um so höher an, je bedenklicher unter den gegen¬<lb/>
wärtigen Zuständen ein Krieg sein würde, der überhaupt nie dem parlamenta¬<lb/>
rischen Wesen, sondern in der Regel der Reaction günstig sei. Der eilfte, letzte<lb/>
Abschnitt legt zum Schlüsse den Deutschen die Aufgabe an das Herz, eine dem<lb/>
Norden und dem Süden gemeinschaftliche öffentliche Meinung zu schaffen und<lb/>
von dem unfruchtbaren theoretischen Gezänke zum Handeln vorzuschreiten, zu¬<lb/>
nächst zur Aufstellung des Programms für die Reform des Zollvereins.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Hier haben wir also einen der seltenen Schwaben, der über die Vorur-<lb/>
theile des Stammes und die Eindrücke der Umgebung hinaus sich zu der Ueber¬<lb/>
zeugung emporgearbeitet hat, daß Preußen berufen ist, die Deutschen wieder<lb/>
zu einer Nation organisch zu verbinden, und daß die Selbsterhaltung Preußen<lb/>
gebietet, seinen deutschen Beruf zu erfüllen,,den übrigen Deutschen, ihre Ein-<lb/>
heitsbestrebungen mit der Aufgabe Preußens in Einklang zu bringen. Wie<lb/>
sein Landsmann Paul Pfitzer zuerst nach der stillen Periode, welche dem Kriege<lb/>
gegen Napoleon gefolgt war, den deutschen Bundesstaat mit Preußen an der<lb/>
Spitze und im Bunde mit Oestreich ehen so formulirt hatte, wie dies später<lb/>
in den Programmen von Frankfurt und Kremsier, in Erfurt und Gotha, und<lb/>
heut zu Tage in den Ka^dgebungen der großen nationalen Partei geschehen:<lb/>
so weist    Frauer auf die Ausbildung des Zollvereins als auf den prak-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 34*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] Landsleuten die Bestimmung zu, die unter ihnen am gedrängtesten und schroff¬ sten vorhandenen deutschen Gegensätze am tiefsten in sich zu verarbeiten und dadurch zu einer Aussöhnung zu bringen, mithin das Bindeglied zwischen Nord- uud Süddeutschland zu werden. Wenn er hiernach hofft, daß die drei kleineren Königreiche mit einem alternirenden Director zufrieden sein werden, so unter« läßt er auch nicht, ihnen die Betrachtung vor die Seele zu führen, daß gegenwärtig Preußen fast allein Herr im Zollverein ist, da es die Bedingungen für die Erneuerung der Verträge dictiren kann; denn die übrigen Mitglieder können den Verein nicht mehr entbehren, und die süddeutschen müssen „nach einigem Gemurmel" die preußischen Bedingungen annehmen. Warum sollten sie nicht diese factische Abhängigkeit mit einer Einrichtung vertauschen, bei welcher ohne Genehmigung Bayerns und ihres dritten Directors und ohne Zustimmung der beiden Häuser des Vereinsparlamentes kein wichtiger Act zur Ausführung kommen kann? Den Oestreichern beweist der Verfasser, nachdem er in scharfen Umrissen die Schwarzenbergischc Politik trefflich gezeichnet, daß es in ihrem Interesse liege, die Reform des Zollvereins mit dem Vereinsparlamcnte und außerdem noch Preußens Führung im Kriege zuzugeben, weil diese Concessionen die deutsche Hilfe für Oestreich bedingen. Endlich empfiehlt die Schrift ihr Reform- Programm noch durch den Vorzug, daß die Reform des Zollvereins dein Aus¬ lande weniger Anlaß zur Einmischung gibt, als die rein politische Bundesreform. Diesen Vorzug schlägt sie um so höher an, je bedenklicher unter den gegen¬ wärtigen Zuständen ein Krieg sein würde, der überhaupt nie dem parlamenta¬ rischen Wesen, sondern in der Regel der Reaction günstig sei. Der eilfte, letzte Abschnitt legt zum Schlüsse den Deutschen die Aufgabe an das Herz, eine dem Norden und dem Süden gemeinschaftliche öffentliche Meinung zu schaffen und von dem unfruchtbaren theoretischen Gezänke zum Handeln vorzuschreiten, zu¬ nächst zur Aufstellung des Programms für die Reform des Zollvereins. Hier haben wir also einen der seltenen Schwaben, der über die Vorur- theile des Stammes und die Eindrücke der Umgebung hinaus sich zu der Ueber¬ zeugung emporgearbeitet hat, daß Preußen berufen ist, die Deutschen wieder zu einer Nation organisch zu verbinden, und daß die Selbsterhaltung Preußen gebietet, seinen deutschen Beruf zu erfüllen,,den übrigen Deutschen, ihre Ein- heitsbestrebungen mit der Aufgabe Preußens in Einklang zu bringen. Wie sein Landsmann Paul Pfitzer zuerst nach der stillen Periode, welche dem Kriege gegen Napoleon gefolgt war, den deutschen Bundesstaat mit Preußen an der Spitze und im Bunde mit Oestreich ehen so formulirt hatte, wie dies später in den Programmen von Frankfurt und Kremsier, in Erfurt und Gotha, und heut zu Tage in den Ka^dgebungen der großen nationalen Partei geschehen: so weist Frauer auf die Ausbildung des Zollvereins als auf den prak- 34*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/275>, abgerufen am 08.01.2025.