Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dischen Weg zum Ziele hin. Während Paul Psitzer in frischer Erinnerung an
alle die Wunden, welche das Metternich'sche System bei Congressen und Con-
ferenzen in Wien und Karlsbad, wie durch den Bundestag, dem öffentlichen
und geistigen Leben der Deutschen geschlagen bat, mit Erbitterung gegen Oest¬
reich als gegen das starre Hinderniß deutscher Entwickelung sich wendet, während
er aus der bayerischen Geschichte eine Blumenlese politischer Sünden gegen die
deutsche Nation von der ältesten bis auf die neueste Zeit zu einem erschrecken¬
den Bilde zusammenstellt, kostet es unserm Versasser weniger Mühe, seine Ab¬
neigung gegen Preußen als seine Liebe zu Oestreich zu überwinden, und wir
rechnen es ihm, als Schwaben, besonders hoch an, daß er, um eine erreichbare
Form der Einigung zu erzielen, sein Würtemberg im Kriege unmittelbar unter
Bayern, im Zollverein weniger günstig als Bayern zu stellen sich entschließt.
Den ganzen Kampf des Verfassers gegen seine Zu- und Abneigungen, der aller¬
dings mit dem Siege des politischen Blicks und Verstandes endigt, muß der
Leser in den ersten Abschnitten der Schrift mit durchmachen. Mit vollem
Rechte stellt hier der Verfasser die Einigung zum Schulze gegen außen allen Be¬
strebungen für die innere Entwickelung voran und fordert zu diesem Zwecke:
gemeinsame Action von Oestreich und Preußen und Vereinbarung über den
Oberbefehl, welchen er über sämmtliche Contingente außer dem östreichischen für
Preußen in Anspruch nimmt. Aber bei der Begründung dieser Sätze zeigt es
sich, daß der Verfasser nächst Frankreich zumeist Italien, Ungarn und wenn
nicht gerade Preußen, doch manches Preußische, insbesondere die "Berliner und
Cölner Literaten" gründlich haßt. Wer Oestreich nicht um jeden Preis in Ve-
netien und Ungarn helfen will, wer nicht zum Vasallendicnste bereit ist -- die
billigcy'Concessionen werden hier noch nicht verlangt -- der ist nicht viel besser als
ein ehrloser Vaterlandsverräther. Der Süddeutsche ist in den Augen des Ver¬
fassers wirklich vorurtheilslos, Von den Kleindeutschen, zu denen er doch selbst
gehört, besorgt der Verfasser, daß sie in leidenschaftlicher Verblendung sich mit
dem äußern Feinde verbinden könnten! Wir wollen über diese Herzensergie-
ßungen mit dem Verfasser nicht rechten. Sie sind der Tribut, den er der
Schwäche der menschlichen Natur entrichtet. Er legt sie in dem ersten Ab¬
schnitte der Schrift nieder und befreit sich dadurch von ^aller trüben S.imm-
mung. Im weitern Verlause ist er der verständige Politiker, der deutsche Pa¬
triot. Aber sür einen Zug aus der Entstehungsgeschichte der Schrift, dessen
das Vorwort erwähnt, finden wir in den Erziehungen des ersten Abschnittes
die Erklärung. Dort erzählt nämlich der Verfasser, daß er die in dieser Schrift
ausgeführten Gedanken schon im Jahre 1856 auf Rigi-Staffel mit einem Freunde
durchgesprochen, daß er dann im Mai 1858 neun Briefe an die Grenzboten
gesendet und, da diese sie nicht ausgenommen, in der Rcichszeitung zu Braun¬
schweig veröffentlicht habe. Wenn nun jene neun Briefe mit den neun ersten


dischen Weg zum Ziele hin. Während Paul Psitzer in frischer Erinnerung an
alle die Wunden, welche das Metternich'sche System bei Congressen und Con-
ferenzen in Wien und Karlsbad, wie durch den Bundestag, dem öffentlichen
und geistigen Leben der Deutschen geschlagen bat, mit Erbitterung gegen Oest¬
reich als gegen das starre Hinderniß deutscher Entwickelung sich wendet, während
er aus der bayerischen Geschichte eine Blumenlese politischer Sünden gegen die
deutsche Nation von der ältesten bis auf die neueste Zeit zu einem erschrecken¬
den Bilde zusammenstellt, kostet es unserm Versasser weniger Mühe, seine Ab¬
neigung gegen Preußen als seine Liebe zu Oestreich zu überwinden, und wir
rechnen es ihm, als Schwaben, besonders hoch an, daß er, um eine erreichbare
Form der Einigung zu erzielen, sein Würtemberg im Kriege unmittelbar unter
Bayern, im Zollverein weniger günstig als Bayern zu stellen sich entschließt.
Den ganzen Kampf des Verfassers gegen seine Zu- und Abneigungen, der aller¬
dings mit dem Siege des politischen Blicks und Verstandes endigt, muß der
Leser in den ersten Abschnitten der Schrift mit durchmachen. Mit vollem
Rechte stellt hier der Verfasser die Einigung zum Schulze gegen außen allen Be¬
strebungen für die innere Entwickelung voran und fordert zu diesem Zwecke:
gemeinsame Action von Oestreich und Preußen und Vereinbarung über den
Oberbefehl, welchen er über sämmtliche Contingente außer dem östreichischen für
Preußen in Anspruch nimmt. Aber bei der Begründung dieser Sätze zeigt es
sich, daß der Verfasser nächst Frankreich zumeist Italien, Ungarn und wenn
nicht gerade Preußen, doch manches Preußische, insbesondere die „Berliner und
Cölner Literaten" gründlich haßt. Wer Oestreich nicht um jeden Preis in Ve-
netien und Ungarn helfen will, wer nicht zum Vasallendicnste bereit ist — die
billigcy'Concessionen werden hier noch nicht verlangt — der ist nicht viel besser als
ein ehrloser Vaterlandsverräther. Der Süddeutsche ist in den Augen des Ver¬
fassers wirklich vorurtheilslos, Von den Kleindeutschen, zu denen er doch selbst
gehört, besorgt der Verfasser, daß sie in leidenschaftlicher Verblendung sich mit
dem äußern Feinde verbinden könnten! Wir wollen über diese Herzensergie-
ßungen mit dem Verfasser nicht rechten. Sie sind der Tribut, den er der
Schwäche der menschlichen Natur entrichtet. Er legt sie in dem ersten Ab¬
schnitte der Schrift nieder und befreit sich dadurch von ^aller trüben S.imm-
mung. Im weitern Verlause ist er der verständige Politiker, der deutsche Pa¬
triot. Aber sür einen Zug aus der Entstehungsgeschichte der Schrift, dessen
das Vorwort erwähnt, finden wir in den Erziehungen des ersten Abschnittes
die Erklärung. Dort erzählt nämlich der Verfasser, daß er die in dieser Schrift
ausgeführten Gedanken schon im Jahre 1856 auf Rigi-Staffel mit einem Freunde
durchgesprochen, daß er dann im Mai 1858 neun Briefe an die Grenzboten
gesendet und, da diese sie nicht ausgenommen, in der Rcichszeitung zu Braun¬
schweig veröffentlicht habe. Wenn nun jene neun Briefe mit den neun ersten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114056"/>
            <p xml:id="ID_812" prev="#ID_811" next="#ID_813"> dischen Weg zum Ziele hin. Während Paul Psitzer in frischer Erinnerung an<lb/>
alle die Wunden, welche das Metternich'sche System bei Congressen und Con-<lb/>
ferenzen in Wien und Karlsbad, wie durch den Bundestag, dem öffentlichen<lb/>
und geistigen Leben der Deutschen geschlagen bat, mit Erbitterung gegen Oest¬<lb/>
reich als gegen das starre Hinderniß deutscher Entwickelung sich wendet, während<lb/>
er aus der bayerischen Geschichte eine Blumenlese politischer Sünden gegen die<lb/>
deutsche Nation von der ältesten bis auf die neueste Zeit zu einem erschrecken¬<lb/>
den Bilde zusammenstellt, kostet es unserm Versasser weniger Mühe, seine Ab¬<lb/>
neigung gegen Preußen als seine Liebe zu Oestreich zu überwinden, und wir<lb/>
rechnen es ihm, als Schwaben, besonders hoch an, daß er, um eine erreichbare<lb/>
Form der Einigung zu erzielen, sein Würtemberg im Kriege unmittelbar unter<lb/>
Bayern, im Zollverein weniger günstig als Bayern zu stellen sich entschließt.<lb/>
Den ganzen Kampf des Verfassers gegen seine Zu- und Abneigungen, der aller¬<lb/>
dings mit dem Siege des politischen Blicks und Verstandes endigt, muß der<lb/>
Leser in den ersten Abschnitten der Schrift mit durchmachen. Mit vollem<lb/>
Rechte stellt hier der Verfasser die Einigung zum Schulze gegen außen allen Be¬<lb/>
strebungen für die innere Entwickelung voran und fordert zu diesem Zwecke:<lb/>
gemeinsame Action von Oestreich und Preußen und Vereinbarung über den<lb/>
Oberbefehl, welchen er über sämmtliche Contingente außer dem östreichischen für<lb/>
Preußen in Anspruch nimmt. Aber bei der Begründung dieser Sätze zeigt es<lb/>
sich, daß der Verfasser nächst Frankreich zumeist Italien, Ungarn und wenn<lb/>
nicht gerade Preußen, doch manches Preußische, insbesondere die &#x201E;Berliner und<lb/>
Cölner Literaten" gründlich haßt. Wer Oestreich nicht um jeden Preis in Ve-<lb/>
netien und Ungarn helfen will, wer nicht zum Vasallendicnste bereit ist &#x2014; die<lb/>
billigcy'Concessionen werden hier noch nicht verlangt &#x2014; der ist nicht viel besser als<lb/>
ein ehrloser Vaterlandsverräther. Der Süddeutsche ist in den Augen des Ver¬<lb/>
fassers wirklich vorurtheilslos, Von den Kleindeutschen, zu denen er doch selbst<lb/>
gehört, besorgt der Verfasser, daß sie in leidenschaftlicher Verblendung sich mit<lb/>
dem äußern Feinde verbinden könnten! Wir wollen über diese Herzensergie-<lb/>
ßungen mit dem Verfasser nicht rechten. Sie sind der Tribut, den er der<lb/>
Schwäche der menschlichen Natur entrichtet. Er legt sie in dem ersten Ab¬<lb/>
schnitte der Schrift nieder und befreit sich dadurch von ^aller trüben S.imm-<lb/>
mung. Im weitern Verlause ist er der verständige Politiker, der deutsche Pa¬<lb/>
triot. Aber sür einen Zug aus der Entstehungsgeschichte der Schrift, dessen<lb/>
das Vorwort erwähnt, finden wir in den Erziehungen des ersten Abschnittes<lb/>
die Erklärung. Dort erzählt nämlich der Verfasser, daß er die in dieser Schrift<lb/>
ausgeführten Gedanken schon im Jahre 1856 auf Rigi-Staffel mit einem Freunde<lb/>
durchgesprochen, daß er dann im Mai 1858 neun Briefe an die Grenzboten<lb/>
gesendet und, da diese sie nicht ausgenommen, in der Rcichszeitung zu Braun¬<lb/>
schweig veröffentlicht habe. Wenn nun jene neun Briefe mit den neun ersten</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] dischen Weg zum Ziele hin. Während Paul Psitzer in frischer Erinnerung an alle die Wunden, welche das Metternich'sche System bei Congressen und Con- ferenzen in Wien und Karlsbad, wie durch den Bundestag, dem öffentlichen und geistigen Leben der Deutschen geschlagen bat, mit Erbitterung gegen Oest¬ reich als gegen das starre Hinderniß deutscher Entwickelung sich wendet, während er aus der bayerischen Geschichte eine Blumenlese politischer Sünden gegen die deutsche Nation von der ältesten bis auf die neueste Zeit zu einem erschrecken¬ den Bilde zusammenstellt, kostet es unserm Versasser weniger Mühe, seine Ab¬ neigung gegen Preußen als seine Liebe zu Oestreich zu überwinden, und wir rechnen es ihm, als Schwaben, besonders hoch an, daß er, um eine erreichbare Form der Einigung zu erzielen, sein Würtemberg im Kriege unmittelbar unter Bayern, im Zollverein weniger günstig als Bayern zu stellen sich entschließt. Den ganzen Kampf des Verfassers gegen seine Zu- und Abneigungen, der aller¬ dings mit dem Siege des politischen Blicks und Verstandes endigt, muß der Leser in den ersten Abschnitten der Schrift mit durchmachen. Mit vollem Rechte stellt hier der Verfasser die Einigung zum Schulze gegen außen allen Be¬ strebungen für die innere Entwickelung voran und fordert zu diesem Zwecke: gemeinsame Action von Oestreich und Preußen und Vereinbarung über den Oberbefehl, welchen er über sämmtliche Contingente außer dem östreichischen für Preußen in Anspruch nimmt. Aber bei der Begründung dieser Sätze zeigt es sich, daß der Verfasser nächst Frankreich zumeist Italien, Ungarn und wenn nicht gerade Preußen, doch manches Preußische, insbesondere die „Berliner und Cölner Literaten" gründlich haßt. Wer Oestreich nicht um jeden Preis in Ve- netien und Ungarn helfen will, wer nicht zum Vasallendicnste bereit ist — die billigcy'Concessionen werden hier noch nicht verlangt — der ist nicht viel besser als ein ehrloser Vaterlandsverräther. Der Süddeutsche ist in den Augen des Ver¬ fassers wirklich vorurtheilslos, Von den Kleindeutschen, zu denen er doch selbst gehört, besorgt der Verfasser, daß sie in leidenschaftlicher Verblendung sich mit dem äußern Feinde verbinden könnten! Wir wollen über diese Herzensergie- ßungen mit dem Verfasser nicht rechten. Sie sind der Tribut, den er der Schwäche der menschlichen Natur entrichtet. Er legt sie in dem ersten Ab¬ schnitte der Schrift nieder und befreit sich dadurch von ^aller trüben S.imm- mung. Im weitern Verlause ist er der verständige Politiker, der deutsche Pa¬ triot. Aber sür einen Zug aus der Entstehungsgeschichte der Schrift, dessen das Vorwort erwähnt, finden wir in den Erziehungen des ersten Abschnittes die Erklärung. Dort erzählt nämlich der Verfasser, daß er die in dieser Schrift ausgeführten Gedanken schon im Jahre 1856 auf Rigi-Staffel mit einem Freunde durchgesprochen, daß er dann im Mai 1858 neun Briefe an die Grenzboten gesendet und, da diese sie nicht ausgenommen, in der Rcichszeitung zu Braun¬ schweig veröffentlicht habe. Wenn nun jene neun Briefe mit den neun ersten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/276>, abgerufen am 06.01.2025.