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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Beständigkeit des Bundes negiren, zu bedenken, "daß auf ihm allein bis jetzt
das Anrecht beruht, welches Deutschland an Holstein und an dessen Verbindung
mit Schleswig hat/' -- Die Schrift tritt den ungeeigneten Anforderungen an
Preußen, mit Gewalt die deutsche Einheit herzustellen, entgegen; aber sie siebt
in der Aufstellung eines gemäßigten Einheitsplans (Reform des Zollvereins)
das einzige Mittel, Preußen von der politischen Nullität zu befreien, ihm Kraft
in der innern und äußern Politik zurückzugeben. Neben dem Zollvereinsparla¬
ment könne das Preußische Parlament bestehen; neben einem deutschen Par¬
lamente müßte es sichWi weiterer Entwickelung in Provinzicü-Landtage auf¬
lösen. "Die Geschichte bat den preußischen Staat nicht entstehen lassen, damit
er von dem Radicalismus zertrümmert und aus den Fugen gerissen werde;
aber wohl, wie uns dünkt, dazu, damit er im rechten Zeitpunkt die reale
Grundlage eines deutschen Bundesstaates bilde durch die reichsunmittelbare
Provinz, die er demselben liefert." Nicht oft und eindringlich genug können
solche beherzigenswerte Worte der deutschen Partei in und außer Preußen
vorgehalten werden; aber nicht minder beherzigenswert!) ist die Schilderung der
Nachtheile, welche der Mangel einer eigenen Politik für Preußen hat, und die
leider nur zu ähnliche Skizze von'dem Leben der Preußischen Diplomatie,
welches eben durch jenen Mangel verkümmert wird (S. 1t3). An einer an¬
dern Stelle wird das Unvermögen Preußens, die deutschen Interessen bei Oest¬
reich zur Geltung zu bringen, aus derselben Ursache erklärt. "Ein Staat, der
selbst keine Politik hat, wird allerdings nicht bestimmend auf die Politik seiner
Nachbarn einwirken. Sobald einmal Preußen aus seinem schwankenden Zurück¬
halten heraustritt, seinen Willen klar ausspricht und darin von der öffentlichen
Meinung Deutschlands unterstützt wird; so wird man sich i" Oestreich hüten,
seine Freundschaft von der Hand zu weisen." --

Die Schrift wendet sich dann zu dem Verhältnisse des bundesstaatlich
organisirten Zollvereins zu Bayern, den übrigen Mittel- und den kleinern Staa¬
ten. Der Verfasser gesteht offen, daß die einheitliche Spitze besser wäre als
die tleindeutsche Trias. Mein im Hinblick auf die scchshundcrtjährige Zer¬
rissenheit Deutschlands seit der Hohenstaufenzeit hält er diese Trias für die
mögliche Einrichtung, obgleich er selbst den preußisch-bayerischen Dualismus
vorziehen würde, und sich nur ungern zu dem dritten, zwischen Sachsen, Han¬
nover und Würtemberg alternirenden Director versteht. Er hält ihn jedoch
für unerläßlich, weil der Particularismus in Sachsen und Hannover sich nur
unter dieser Bedingung zu der Reform herbeilassen werde. Seinen schwäbischen
Landsleuten hält der Verfasser, so wenig er ihre natürliche Begabung und
Tüchtigkeit unterschätzt, ein treues und darum nicht eben schmeichelhaftes
politisches Spiegelbild vor, welches ihn zu dem Schlüsse berechtigt, daß die
deutsche Frage in Schwaben praktisch noch nicht existirt. Doch theilt er seinen


Beständigkeit des Bundes negiren, zu bedenken, „daß auf ihm allein bis jetzt
das Anrecht beruht, welches Deutschland an Holstein und an dessen Verbindung
mit Schleswig hat/' — Die Schrift tritt den ungeeigneten Anforderungen an
Preußen, mit Gewalt die deutsche Einheit herzustellen, entgegen; aber sie siebt
in der Aufstellung eines gemäßigten Einheitsplans (Reform des Zollvereins)
das einzige Mittel, Preußen von der politischen Nullität zu befreien, ihm Kraft
in der innern und äußern Politik zurückzugeben. Neben dem Zollvereinsparla¬
ment könne das Preußische Parlament bestehen; neben einem deutschen Par¬
lamente müßte es sichWi weiterer Entwickelung in Provinzicü-Landtage auf¬
lösen. „Die Geschichte bat den preußischen Staat nicht entstehen lassen, damit
er von dem Radicalismus zertrümmert und aus den Fugen gerissen werde;
aber wohl, wie uns dünkt, dazu, damit er im rechten Zeitpunkt die reale
Grundlage eines deutschen Bundesstaates bilde durch die reichsunmittelbare
Provinz, die er demselben liefert." Nicht oft und eindringlich genug können
solche beherzigenswerte Worte der deutschen Partei in und außer Preußen
vorgehalten werden; aber nicht minder beherzigenswert!) ist die Schilderung der
Nachtheile, welche der Mangel einer eigenen Politik für Preußen hat, und die
leider nur zu ähnliche Skizze von'dem Leben der Preußischen Diplomatie,
welches eben durch jenen Mangel verkümmert wird (S. 1t3). An einer an¬
dern Stelle wird das Unvermögen Preußens, die deutschen Interessen bei Oest¬
reich zur Geltung zu bringen, aus derselben Ursache erklärt. „Ein Staat, der
selbst keine Politik hat, wird allerdings nicht bestimmend auf die Politik seiner
Nachbarn einwirken. Sobald einmal Preußen aus seinem schwankenden Zurück¬
halten heraustritt, seinen Willen klar ausspricht und darin von der öffentlichen
Meinung Deutschlands unterstützt wird; so wird man sich i» Oestreich hüten,
seine Freundschaft von der Hand zu weisen." —

Die Schrift wendet sich dann zu dem Verhältnisse des bundesstaatlich
organisirten Zollvereins zu Bayern, den übrigen Mittel- und den kleinern Staa¬
ten. Der Verfasser gesteht offen, daß die einheitliche Spitze besser wäre als
die tleindeutsche Trias. Mein im Hinblick auf die scchshundcrtjährige Zer¬
rissenheit Deutschlands seit der Hohenstaufenzeit hält er diese Trias für die
mögliche Einrichtung, obgleich er selbst den preußisch-bayerischen Dualismus
vorziehen würde, und sich nur ungern zu dem dritten, zwischen Sachsen, Han¬
nover und Würtemberg alternirenden Director versteht. Er hält ihn jedoch
für unerläßlich, weil der Particularismus in Sachsen und Hannover sich nur
unter dieser Bedingung zu der Reform herbeilassen werde. Seinen schwäbischen
Landsleuten hält der Verfasser, so wenig er ihre natürliche Begabung und
Tüchtigkeit unterschätzt, ein treues und darum nicht eben schmeichelhaftes
politisches Spiegelbild vor, welches ihn zu dem Schlüsse berechtigt, daß die
deutsche Frage in Schwaben praktisch noch nicht existirt. Doch theilt er seinen


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[0274] Beständigkeit des Bundes negiren, zu bedenken, „daß auf ihm allein bis jetzt das Anrecht beruht, welches Deutschland an Holstein und an dessen Verbindung mit Schleswig hat/' — Die Schrift tritt den ungeeigneten Anforderungen an Preußen, mit Gewalt die deutsche Einheit herzustellen, entgegen; aber sie siebt in der Aufstellung eines gemäßigten Einheitsplans (Reform des Zollvereins) das einzige Mittel, Preußen von der politischen Nullität zu befreien, ihm Kraft in der innern und äußern Politik zurückzugeben. Neben dem Zollvereinsparla¬ ment könne das Preußische Parlament bestehen; neben einem deutschen Par¬ lamente müßte es sichWi weiterer Entwickelung in Provinzicü-Landtage auf¬ lösen. „Die Geschichte bat den preußischen Staat nicht entstehen lassen, damit er von dem Radicalismus zertrümmert und aus den Fugen gerissen werde; aber wohl, wie uns dünkt, dazu, damit er im rechten Zeitpunkt die reale Grundlage eines deutschen Bundesstaates bilde durch die reichsunmittelbare Provinz, die er demselben liefert." Nicht oft und eindringlich genug können solche beherzigenswerte Worte der deutschen Partei in und außer Preußen vorgehalten werden; aber nicht minder beherzigenswert!) ist die Schilderung der Nachtheile, welche der Mangel einer eigenen Politik für Preußen hat, und die leider nur zu ähnliche Skizze von'dem Leben der Preußischen Diplomatie, welches eben durch jenen Mangel verkümmert wird (S. 1t3). An einer an¬ dern Stelle wird das Unvermögen Preußens, die deutschen Interessen bei Oest¬ reich zur Geltung zu bringen, aus derselben Ursache erklärt. „Ein Staat, der selbst keine Politik hat, wird allerdings nicht bestimmend auf die Politik seiner Nachbarn einwirken. Sobald einmal Preußen aus seinem schwankenden Zurück¬ halten heraustritt, seinen Willen klar ausspricht und darin von der öffentlichen Meinung Deutschlands unterstützt wird; so wird man sich i» Oestreich hüten, seine Freundschaft von der Hand zu weisen." — Die Schrift wendet sich dann zu dem Verhältnisse des bundesstaatlich organisirten Zollvereins zu Bayern, den übrigen Mittel- und den kleinern Staa¬ ten. Der Verfasser gesteht offen, daß die einheitliche Spitze besser wäre als die tleindeutsche Trias. Mein im Hinblick auf die scchshundcrtjährige Zer¬ rissenheit Deutschlands seit der Hohenstaufenzeit hält er diese Trias für die mögliche Einrichtung, obgleich er selbst den preußisch-bayerischen Dualismus vorziehen würde, und sich nur ungern zu dem dritten, zwischen Sachsen, Han¬ nover und Würtemberg alternirenden Director versteht. Er hält ihn jedoch für unerläßlich, weil der Particularismus in Sachsen und Hannover sich nur unter dieser Bedingung zu der Reform herbeilassen werde. Seinen schwäbischen Landsleuten hält der Verfasser, so wenig er ihre natürliche Begabung und Tüchtigkeit unterschätzt, ein treues und darum nicht eben schmeichelhaftes politisches Spiegelbild vor, welches ihn zu dem Schlüsse berechtigt, daß die deutsche Frage in Schwaben praktisch noch nicht existirt. Doch theilt er seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/274>, abgerufen am 06.01.2025.