Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.im Verlaufe der Zeit für das südliche Savoyen sich realisiren mag, -- ist ge- 1) weil Savoyen ein ausschließlich katholisches Land, die Schweiz da¬ 2) weil Savoyen durch Sprache und Sitten wesentlich französisch, dagegen 3) weil die Geschichte beider Völker durchweg verschieden sei, und beide in 4) weil die Schweiz keine Capitalien habe, die sie in Savoyen anlegen 5) weil Savoyen seine Garnison verlieren würde, welche unendlich viel . 6) weil alle Beamte der Schweiz schlecht bezahlt seien, und demnach eine 7) weil die Schweiz nichts für die öffentlichen Anstalten thun könne und Grenzboten II. I8K2. 33
im Verlaufe der Zeit für das südliche Savoyen sich realisiren mag, — ist ge- 1) weil Savoyen ein ausschließlich katholisches Land, die Schweiz da¬ 2) weil Savoyen durch Sprache und Sitten wesentlich französisch, dagegen 3) weil die Geschichte beider Völker durchweg verschieden sei, und beide in 4) weil die Schweiz keine Capitalien habe, die sie in Savoyen anlegen 5) weil Savoyen seine Garnison verlieren würde, welche unendlich viel . 6) weil alle Beamte der Schweiz schlecht bezahlt seien, und demnach eine 7) weil die Schweiz nichts für die öffentlichen Anstalten thun könne und Grenzboten II. I8K2. 33
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im Verlaufe der Zeit für das südliche Savoyen sich realisiren mag, — ist ge-
flissentlich ganz außer Acht gelassen, wie sich denn die Verhältnisse gestalten
möchten, falls die beiden nördlichen Provinzen Chablais und Faucigny zur
Schweiz geschlagen würden. Und zwar aus größter Fürsorge für die Absichten
des französischen Gouvernements — denn die wahre Erkenntniß der materiellen
Interessen jener beiden Provinzen würde unbedingt zu Gunsten ihrer Verbin¬
dung mit der Schweiz gesprochen haben, wie es denn auch längst kein Geheim¬
niß mehr ist, daß trotz der angestrengtesten Bemühungen zahlloser französischer
Agenten die öffentliche Meinung in jenen Landestheilen für die Annexion an
die Schweiz sich aussprach, so lange man noch von Paris aus die Hoffnung
aus eine abgesonderte Abstimmung der neutralen Provinzen in ofsiciöser Weise
ermuthigte. Dies hörte aber auf, sobald man dort sich den Erfolg dieser Ab¬
sonderung nicht mehr verhehlen sonnte, und nun erklärte man von Oben her:
die Jnbetrachtnahme der Schweiz falle fort, und es handle sich blos um eine
Frage zwischen dem Sardenreickc und Frankreich. Nein bedeute Verbleiben
bei ersterem, — Ja bedeute Anschluß an das letztere. Wie nun die bedeutend
große Majorität der schweizerisch gesinnten Nordsavoyer sich anschickt Nein zu
sagen, damit sie wenigstens bei ihrem angestammten Fürsten bleiben kann, —
da erklärt man von Paris und Turin aus -. das Nein bezeichne keineswegs Ver-
bleiben bei der alten Herrschaft, weil das neue Königreich Italien Savoyen
für ewig abgetreten habe, und sich durchaus nicht um dasselbe kümmere; das
Nein bezeichne somit die Ungewißheit, Regierungslosigkeit, Anarchie! Und um
dem beschränkten Unterthanenverstandc klar zu machen, wie das unbeschränkte,
freie Votum zu benutzen sei, wird in beredten Brochüren abermals der richtige
Standpunkt gepredigt und bewiesen, Savoyen könne sich nicht mit der Schweiz
verbinden (indem wieder die Möglichkeit der Abtrennung der neutralen Pro¬
vinzen mit bedeutungsvollen Stillschweigen übergangen wird):
1) weil Savoyen ein ausschließlich katholisches Land, die Schweiz da¬
gegen wesentlich protestantisch sei;
2) weil Savoyen durch Sprache und Sitten wesentlich französisch, dagegen
die Schweiz wesentlich deutsch sei;
3) weil die Geschichte beider Völker durchweg verschieden sei, und beide in
der Regel für entgegengesetzte Interessen gefochten haben;
4) weil die Schweiz keine Capitalien habe, die sie in Savoyen anlegen
omne;
5) weil Savoyen seine Garnison verlieren würde, welche unendlich viel
dazu beitrage, den Detailhandel zu beleben;
. 6) weil alle Beamte der Schweiz schlecht bezahlt seien, und demnach eine
bedeutende Quelle des Geldumlaufs ermangeln werde;
7) weil die Schweiz nichts für die öffentlichen Anstalten thun könne und
Grenzboten II. I8K2. 33
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