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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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gelandet; -- denn da es überhaupt keine Kriegsschiffe auf jenem Wasser gibt,
hat es für Frankreich keine wesentliche Bedeutung deren auszurüsten. Und
Festungen erscheinen daneben gänzlich zwecklos in einem Lande, welches von der
Natur eine viel umfassendere Fortisication erhalten bat als das sorgfältigste künst¬
liche System leisten könnte. --Diese sogenannten Garantien sind demnach.illu¬
sorisch, wie alle übrigen beruhigenden Redensarten. Der Unterschied, der für
die Schweiz aus der Französirung des ganzen südlichen Ufers des Genfer See's
sich ergibt, und die Gefahr, die daraus für die Sicherheit der Schweiz entspringt,
beruht eben auf der thatsächlichen Verschiedenheit der Machtverhältnisse. Sar¬
dinien oder Piemont war und ist mit allen seinen Interessen auf Italien an¬
gewiesen. Savoyen, als sardinische Provinz, convergirte daher selbstverständlich
in derselben Richtung, und es ergab sich daraus ein freundliches Grenzverhält¬
niß mit der Schweiz, welches nie gestört ward, und welches bei den Nachbarn
das Gefühl gemeinschaftlichen Interesses und gegenseitiger Hilfsleistung rege
erhielt, während ihre wechselseitige" Beziehungen nicht einmal den Schatten
des Verdachts aufkommen ließen, als könne Einer auf den Andern irgend einen
Druck ausüben. An die Stelle dieses friedlichen Nachbarn ist ein übermäch¬
tiger eingetreten, dessen staatliches Leben vorzugsweise divergirender Natur ist,
und der daher überall, wo er in der Richtung dieser, durch seine ausgebildete
Centralisation unterstützten Lebens-Aeußerungen auf den ihm im Wege liegen¬
den Schweizer-Boden stößt, immer in Versuchung sich befinden muß, dieses
unbequeme Hinderniß zu beseitigen oder zu unterdrücken. Die Erfahrungen der
ersten anderthalb Jahre nach vollzogener Annexion geben einen überreichen Evm-
mentar zu dieser, aus der Natur der Verhältnisse fließenden Befürchtung.

Die erwähnten Anerbietungen Frankreichs, zu denen noch einige unwesent¬
liche Erleichterungen für den Handelsverkehr hinzutreten, haben nun freilich
keinen praktischen Werth, beweisen aber dem aufmerksamen Beobachter, daß
Frankreich selbst, ohne es gestehen zu wollen, die Gerechtigkeit der schweizerischen
Ansprüche anerkennt. Denn wozu sonst den Schein der Neutralität aufrecht
erhalten, wenn es nicht die Sache selbst ist, die sich geltend macht und sich nicht
wegdeduciren läßt?

Um daher der einmal beschlossenen Aneignung Savoyens den Anschein
politischer Nothwendigkeit zu verleihen, und um die unbequemen staatsrecht¬
lichen Mängel zu verdecken und sie als untergeordnet erscheinen zu lassen,
mußte zu andern Hilfsmitteln gegriffen werden, was um so leichter erschien,
als von Seiten der großen Mächte mit fatalistischer Gleichgültigkeit die fran¬
zösischen Uebergriffe geduldet wurden. Es ward der Grundsatz aufgestellt, daß
das eigne Interesse Savoyens nothwendig die Annexion an Frankreich verlange.
-- und in zahllosen Brochüren und Zeitungs-Artikeln ward diese Entdeckung
proclamirt und den Einwohnern mundgerecht gemacht. Und es ist nicht zu


gelandet; — denn da es überhaupt keine Kriegsschiffe auf jenem Wasser gibt,
hat es für Frankreich keine wesentliche Bedeutung deren auszurüsten. Und
Festungen erscheinen daneben gänzlich zwecklos in einem Lande, welches von der
Natur eine viel umfassendere Fortisication erhalten bat als das sorgfältigste künst¬
liche System leisten könnte. —Diese sogenannten Garantien sind demnach.illu¬
sorisch, wie alle übrigen beruhigenden Redensarten. Der Unterschied, der für
die Schweiz aus der Französirung des ganzen südlichen Ufers des Genfer See's
sich ergibt, und die Gefahr, die daraus für die Sicherheit der Schweiz entspringt,
beruht eben auf der thatsächlichen Verschiedenheit der Machtverhältnisse. Sar¬
dinien oder Piemont war und ist mit allen seinen Interessen auf Italien an¬
gewiesen. Savoyen, als sardinische Provinz, convergirte daher selbstverständlich
in derselben Richtung, und es ergab sich daraus ein freundliches Grenzverhält¬
niß mit der Schweiz, welches nie gestört ward, und welches bei den Nachbarn
das Gefühl gemeinschaftlichen Interesses und gegenseitiger Hilfsleistung rege
erhielt, während ihre wechselseitige» Beziehungen nicht einmal den Schatten
des Verdachts aufkommen ließen, als könne Einer auf den Andern irgend einen
Druck ausüben. An die Stelle dieses friedlichen Nachbarn ist ein übermäch¬
tiger eingetreten, dessen staatliches Leben vorzugsweise divergirender Natur ist,
und der daher überall, wo er in der Richtung dieser, durch seine ausgebildete
Centralisation unterstützten Lebens-Aeußerungen auf den ihm im Wege liegen¬
den Schweizer-Boden stößt, immer in Versuchung sich befinden muß, dieses
unbequeme Hinderniß zu beseitigen oder zu unterdrücken. Die Erfahrungen der
ersten anderthalb Jahre nach vollzogener Annexion geben einen überreichen Evm-
mentar zu dieser, aus der Natur der Verhältnisse fließenden Befürchtung.

Die erwähnten Anerbietungen Frankreichs, zu denen noch einige unwesent¬
liche Erleichterungen für den Handelsverkehr hinzutreten, haben nun freilich
keinen praktischen Werth, beweisen aber dem aufmerksamen Beobachter, daß
Frankreich selbst, ohne es gestehen zu wollen, die Gerechtigkeit der schweizerischen
Ansprüche anerkennt. Denn wozu sonst den Schein der Neutralität aufrecht
erhalten, wenn es nicht die Sache selbst ist, die sich geltend macht und sich nicht
wegdeduciren läßt?

Um daher der einmal beschlossenen Aneignung Savoyens den Anschein
politischer Nothwendigkeit zu verleihen, und um die unbequemen staatsrecht¬
lichen Mängel zu verdecken und sie als untergeordnet erscheinen zu lassen,
mußte zu andern Hilfsmitteln gegriffen werden, was um so leichter erschien,
als von Seiten der großen Mächte mit fatalistischer Gleichgültigkeit die fran¬
zösischen Uebergriffe geduldet wurden. Es ward der Grundsatz aufgestellt, daß
das eigne Interesse Savoyens nothwendig die Annexion an Frankreich verlange.
— und in zahllosen Brochüren und Zeitungs-Artikeln ward diese Entdeckung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/260>, abgerufen am 08.01.2025.