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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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als" sechs Wochen nach der oben angeführten Erklärung, derselbe Minister
The-uvenel in einer Antwort auf einen Protest der Schweiz gegen die Annexion
der neulralisirten Distrikte mit folgenden Behauptungen hervorzutreten wagt:
"Die Anordnung in den Vertragen von hatte zum Zweck einen Theil
von Savoyen zu decken, und durch ihre Aunahme hat die Schweiz sich ver¬
pflichtet die Vollziehung derselben zu sichern, indem sie sich einerseits verbind¬
lich machte den sardinischen Truppen den Nückzug zu gestatten, um nach P>e-
mont zurückzukehren, und andrerseits im Nothfall Bundestruppe" in das neu-
tralisirte Land zu werfen. Die durch die Konföderation übernommene Verpflich¬
tung ist der Preis einer dem Canto" Genf gemachten Gebietsabtretung, so wie
die eventuelle Neutralisirung von Chablais und Faucigny eine zu Gunsten Sar¬
diniens stipulirte Bürgschaft und die Compensation für ein Opfer ist. Diese
Neutralisirung ist somit ursprünglich nicht in der Absicht erdacht worden, um
die schweizerische Grenze zu beschützen, -- diese ist durch eine unübersteigliche
Schranke d. h. durch die nnttelst Uebereinstimmung der Mächte proclamirte Neu¬
tralität hinreichend gedeckt; sie ist der Schweiz im Gegentheil als eine Last
auferlegt und von der Schweiz unter vnerosem Titel angenommen."

Eine weitere Note vom 7. April 18t>0 geht von denselben Grundsätzen
aus, indem sie sagt: "Frankreich, welches in die territorialen Rechte Savoyens
tritt, kraft einer regelmäßige" Übertragung, hat sich nach dem Geiste der Ver¬
träge gerichtet, indem es sich erbot, mit den beim Congreß von 1815 vertrete¬
nen Mächten über die auf die Neutralisirung bezüglichen Clauseln sich zu ver¬
ständigen; und die Bereitwilligkeit, womit es, trotz dem daß die Principien ihm
kein Gesetz vorschreiben, erklärte, es werde sich auch mit dem Sehweizerbundc
verständigen, beweist in der klarsten Weise, daß es für sich die volle Ausführung
des Art. 92 der Wiener Schlußakte annimmt."

Betrachten wir diese Behauptungen etwas näher. Frankreich sagt: "die
Neutralität von Chablais und Faucigny ist eine zu Gunsten Sardiniens stipu¬
lirte Bürgschaft, eine Servitut, welche Frankreich mit zu übernehmen sich bereit
erklärt." -- Ist sie wirklich nur zu Gunsten Sardiniens stipulirt, so kann dies
nur gegen einen Angriff von Seiten Frankreichs sein; denn ein anderer Nach¬
bar existirt nicht. Wäre also ein Krieg zwischen Sardinien und Frankreich aus-
gebrochen, so hätte die Schweiz jene Provinzen militärisch besetzt. Das ganze
übrige Savoyen hätte erobert werden können; jene neutralen Provinzen nicht
anders als mittelst eines directen Angriffs Frankreichs gegen die Schweiz. Für
die Schweiz ist nun aber die Art und Weise der Eroberung ganz gleichgiltig.
Ob die Schlacht, in Folge deren Savoyen an Frankreich fiel, diesseits oder jen¬
seits der Alpen geschlagen worden, ob Savoyen mittelst Gewalt der Waffen
oder Macht der Ueberredung gewonnen wurde, ob Kanonenkugeln ober diplo¬
matische Noten gewechselt wurden, die Schweiz ist in dem einen wie


als» sechs Wochen nach der oben angeführten Erklärung, derselbe Minister
The-uvenel in einer Antwort auf einen Protest der Schweiz gegen die Annexion
der neulralisirten Distrikte mit folgenden Behauptungen hervorzutreten wagt:
„Die Anordnung in den Vertragen von hatte zum Zweck einen Theil
von Savoyen zu decken, und durch ihre Aunahme hat die Schweiz sich ver¬
pflichtet die Vollziehung derselben zu sichern, indem sie sich einerseits verbind¬
lich machte den sardinischen Truppen den Nückzug zu gestatten, um nach P>e-
mont zurückzukehren, und andrerseits im Nothfall Bundestruppe» in das neu-
tralisirte Land zu werfen. Die durch die Konföderation übernommene Verpflich¬
tung ist der Preis einer dem Canto» Genf gemachten Gebietsabtretung, so wie
die eventuelle Neutralisirung von Chablais und Faucigny eine zu Gunsten Sar¬
diniens stipulirte Bürgschaft und die Compensation für ein Opfer ist. Diese
Neutralisirung ist somit ursprünglich nicht in der Absicht erdacht worden, um
die schweizerische Grenze zu beschützen, — diese ist durch eine unübersteigliche
Schranke d. h. durch die nnttelst Uebereinstimmung der Mächte proclamirte Neu¬
tralität hinreichend gedeckt; sie ist der Schweiz im Gegentheil als eine Last
auferlegt und von der Schweiz unter vnerosem Titel angenommen."

Eine weitere Note vom 7. April 18t>0 geht von denselben Grundsätzen
aus, indem sie sagt: „Frankreich, welches in die territorialen Rechte Savoyens
tritt, kraft einer regelmäßige» Übertragung, hat sich nach dem Geiste der Ver¬
träge gerichtet, indem es sich erbot, mit den beim Congreß von 1815 vertrete¬
nen Mächten über die auf die Neutralisirung bezüglichen Clauseln sich zu ver¬
ständigen; und die Bereitwilligkeit, womit es, trotz dem daß die Principien ihm
kein Gesetz vorschreiben, erklärte, es werde sich auch mit dem Sehweizerbundc
verständigen, beweist in der klarsten Weise, daß es für sich die volle Ausführung
des Art. 92 der Wiener Schlußakte annimmt."

Betrachten wir diese Behauptungen etwas näher. Frankreich sagt: „die
Neutralität von Chablais und Faucigny ist eine zu Gunsten Sardiniens stipu¬
lirte Bürgschaft, eine Servitut, welche Frankreich mit zu übernehmen sich bereit
erklärt." — Ist sie wirklich nur zu Gunsten Sardiniens stipulirt, so kann dies
nur gegen einen Angriff von Seiten Frankreichs sein; denn ein anderer Nach¬
bar existirt nicht. Wäre also ein Krieg zwischen Sardinien und Frankreich aus-
gebrochen, so hätte die Schweiz jene Provinzen militärisch besetzt. Das ganze
übrige Savoyen hätte erobert werden können; jene neutralen Provinzen nicht
anders als mittelst eines directen Angriffs Frankreichs gegen die Schweiz. Für
die Schweiz ist nun aber die Art und Weise der Eroberung ganz gleichgiltig.
Ob die Schlacht, in Folge deren Savoyen an Frankreich fiel, diesseits oder jen¬
seits der Alpen geschlagen worden, ob Savoyen mittelst Gewalt der Waffen
oder Macht der Ueberredung gewonnen wurde, ob Kanonenkugeln ober diplo¬
matische Noten gewechselt wurden, die Schweiz ist in dem einen wie


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[0258] als» sechs Wochen nach der oben angeführten Erklärung, derselbe Minister The-uvenel in einer Antwort auf einen Protest der Schweiz gegen die Annexion der neulralisirten Distrikte mit folgenden Behauptungen hervorzutreten wagt: „Die Anordnung in den Vertragen von hatte zum Zweck einen Theil von Savoyen zu decken, und durch ihre Aunahme hat die Schweiz sich ver¬ pflichtet die Vollziehung derselben zu sichern, indem sie sich einerseits verbind¬ lich machte den sardinischen Truppen den Nückzug zu gestatten, um nach P>e- mont zurückzukehren, und andrerseits im Nothfall Bundestruppe» in das neu- tralisirte Land zu werfen. Die durch die Konföderation übernommene Verpflich¬ tung ist der Preis einer dem Canto» Genf gemachten Gebietsabtretung, so wie die eventuelle Neutralisirung von Chablais und Faucigny eine zu Gunsten Sar¬ diniens stipulirte Bürgschaft und die Compensation für ein Opfer ist. Diese Neutralisirung ist somit ursprünglich nicht in der Absicht erdacht worden, um die schweizerische Grenze zu beschützen, — diese ist durch eine unübersteigliche Schranke d. h. durch die nnttelst Uebereinstimmung der Mächte proclamirte Neu¬ tralität hinreichend gedeckt; sie ist der Schweiz im Gegentheil als eine Last auferlegt und von der Schweiz unter vnerosem Titel angenommen." Eine weitere Note vom 7. April 18t>0 geht von denselben Grundsätzen aus, indem sie sagt: „Frankreich, welches in die territorialen Rechte Savoyens tritt, kraft einer regelmäßige» Übertragung, hat sich nach dem Geiste der Ver¬ träge gerichtet, indem es sich erbot, mit den beim Congreß von 1815 vertrete¬ nen Mächten über die auf die Neutralisirung bezüglichen Clauseln sich zu ver¬ ständigen; und die Bereitwilligkeit, womit es, trotz dem daß die Principien ihm kein Gesetz vorschreiben, erklärte, es werde sich auch mit dem Sehweizerbundc verständigen, beweist in der klarsten Weise, daß es für sich die volle Ausführung des Art. 92 der Wiener Schlußakte annimmt." Betrachten wir diese Behauptungen etwas näher. Frankreich sagt: „die Neutralität von Chablais und Faucigny ist eine zu Gunsten Sardiniens stipu¬ lirte Bürgschaft, eine Servitut, welche Frankreich mit zu übernehmen sich bereit erklärt." — Ist sie wirklich nur zu Gunsten Sardiniens stipulirt, so kann dies nur gegen einen Angriff von Seiten Frankreichs sein; denn ein anderer Nach¬ bar existirt nicht. Wäre also ein Krieg zwischen Sardinien und Frankreich aus- gebrochen, so hätte die Schweiz jene Provinzen militärisch besetzt. Das ganze übrige Savoyen hätte erobert werden können; jene neutralen Provinzen nicht anders als mittelst eines directen Angriffs Frankreichs gegen die Schweiz. Für die Schweiz ist nun aber die Art und Weise der Eroberung ganz gleichgiltig. Ob die Schlacht, in Folge deren Savoyen an Frankreich fiel, diesseits oder jen¬ seits der Alpen geschlagen worden, ob Savoyen mittelst Gewalt der Waffen oder Macht der Ueberredung gewonnen wurde, ob Kanonenkugeln ober diplo¬ matische Noten gewechselt wurden, die Schweiz ist in dem einen wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/258>, abgerufen am 08.01.2025.