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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Im Allgemeinen aber zeichnete sich die Behandlung der Sklaven in Griechen¬
land vor der römischen vorteilhaft aus. und namentlich genossen die Athener,
wie in anderen Dingen, so auch dem Sklaven gegenüber des Rufs einer grö¬
ßeren Humanität, Aristoteles sieht in der Ungebundenheit der attischen Sklaven
eine Rückwirkung der freien Verfassung; viel zum vertraulicheren Verkehre
zwischen Herren und Sklaven, von dem die Komiker auf jeder Seite Belege
liefern, trug aber auch jedenfalls die größere Elasticität und Geschmeidigkeit
des ionischen Stammcharakters bei und nebenher die Furcht vor Empörung
hei starkem Drucke. Die Geschwätzigkeit der griechischen Sklaven bildet einen
grellen Gegensatz zum stummen Gehorsam der römischen. Demosthenes sagt
zu seinen Mitbürgern: "Ihr glaubt ja auch sonst, daß die Freimüthigkeit im
Reden allen Einwohnern des Staats gemeinsam sein müsse und laßt daher so¬
wohl die Fremden als auch die Sklaven an derselben Theil nehmen, und man
kann wohl bei euch viele Sklaven finden, die mehr Freiheit haben, zu reden
was sie wollen, als bei einigen andern Staaten die Bürger selbst". Wie ganz
anders klingt, was Seneca in einem Briefe schreibt: "Die unglücklichen Skla¬
ven dürfen nicht einmal zum Sprechen die Lippen rühren! durch die Ruthe
wird jedes Murmeln im Zaume gehalten, und nicht einmal zufällige Dinge
sind von Schlägen ausgenommen; wie Husten, Niesen, Schluchzen; hart wird
jeder die Stille unterbrechende Laut gebüßt, und so stehen sie nüchtern und
stumm die ganze Nacht hindurch." Die Namen der griechischen Sklaven be¬
zeichneten entweder ihre Herkunft und Nation oder es waren wirklich griechische.
Nur gewisse Namen, denen Religion oder Geschichte eine höhere Bedeutung ver¬
liehen hatte, scheute man sich den Sklaven beizulegen, z. B. die der Freiheitshelden
Harmodios und Aristogeiton. Auch in ihrer äußeren Erscheinung unterschieden
sie sich nicht von dem freien Handwerker. Wie die ganze arbeitende Klasse
trugen sie einen Chiton oder Leibrock, der nur ein Armloch für den linken Arm
hatte, während der rechte und die Hälfte der Brust vollkommen unbedeckt blieb;
dazu kam eine eiförmige Leder- oder Filztappc und im Winter Schuhe. Nur
am kurz geschorenen Haupthaar erkannte man den Sklaven, während der attische
Bürger je nach seinem Geschmacke und der Mode das Haar bald länger, bald
kürzer geschnitten oder gelockt trug. Es war ferner keinem Freien erlaubt,
einen fremden Sklaven zu schlagen, und ans die von dem Herrn deshalb an¬
gestellte Criminaltlage konnte der Schuldige in schwere Geldstrafe verurtheilt
werden. Auch insofern war die Gesetzgebung mild gegen die Sklaven, als
sie im Gegensatze zu der römischen dem Herrn nicht erlaubte, seine Sklaven
zu tödten. "Selbst diejenigen, welche ihre Herrn ermordet haben", sagt
der Redner Antiphon, "sogar wenn sie auf frischer That ertappt werden,
können nicht von den Angehörigen getödtet werden, sondern werden nach un¬
seren Gesetzen der Obrigkeit übergeben." Dennoch genügte, wie aus einer


Im Allgemeinen aber zeichnete sich die Behandlung der Sklaven in Griechen¬
land vor der römischen vorteilhaft aus. und namentlich genossen die Athener,
wie in anderen Dingen, so auch dem Sklaven gegenüber des Rufs einer grö¬
ßeren Humanität, Aristoteles sieht in der Ungebundenheit der attischen Sklaven
eine Rückwirkung der freien Verfassung; viel zum vertraulicheren Verkehre
zwischen Herren und Sklaven, von dem die Komiker auf jeder Seite Belege
liefern, trug aber auch jedenfalls die größere Elasticität und Geschmeidigkeit
des ionischen Stammcharakters bei und nebenher die Furcht vor Empörung
hei starkem Drucke. Die Geschwätzigkeit der griechischen Sklaven bildet einen
grellen Gegensatz zum stummen Gehorsam der römischen. Demosthenes sagt
zu seinen Mitbürgern: „Ihr glaubt ja auch sonst, daß die Freimüthigkeit im
Reden allen Einwohnern des Staats gemeinsam sein müsse und laßt daher so¬
wohl die Fremden als auch die Sklaven an derselben Theil nehmen, und man
kann wohl bei euch viele Sklaven finden, die mehr Freiheit haben, zu reden
was sie wollen, als bei einigen andern Staaten die Bürger selbst". Wie ganz
anders klingt, was Seneca in einem Briefe schreibt: „Die unglücklichen Skla¬
ven dürfen nicht einmal zum Sprechen die Lippen rühren! durch die Ruthe
wird jedes Murmeln im Zaume gehalten, und nicht einmal zufällige Dinge
sind von Schlägen ausgenommen; wie Husten, Niesen, Schluchzen; hart wird
jeder die Stille unterbrechende Laut gebüßt, und so stehen sie nüchtern und
stumm die ganze Nacht hindurch." Die Namen der griechischen Sklaven be¬
zeichneten entweder ihre Herkunft und Nation oder es waren wirklich griechische.
Nur gewisse Namen, denen Religion oder Geschichte eine höhere Bedeutung ver¬
liehen hatte, scheute man sich den Sklaven beizulegen, z. B. die der Freiheitshelden
Harmodios und Aristogeiton. Auch in ihrer äußeren Erscheinung unterschieden
sie sich nicht von dem freien Handwerker. Wie die ganze arbeitende Klasse
trugen sie einen Chiton oder Leibrock, der nur ein Armloch für den linken Arm
hatte, während der rechte und die Hälfte der Brust vollkommen unbedeckt blieb;
dazu kam eine eiförmige Leder- oder Filztappc und im Winter Schuhe. Nur
am kurz geschorenen Haupthaar erkannte man den Sklaven, während der attische
Bürger je nach seinem Geschmacke und der Mode das Haar bald länger, bald
kürzer geschnitten oder gelockt trug. Es war ferner keinem Freien erlaubt,
einen fremden Sklaven zu schlagen, und ans die von dem Herrn deshalb an¬
gestellte Criminaltlage konnte der Schuldige in schwere Geldstrafe verurtheilt
werden. Auch insofern war die Gesetzgebung mild gegen die Sklaven, als
sie im Gegensatze zu der römischen dem Herrn nicht erlaubte, seine Sklaven
zu tödten. „Selbst diejenigen, welche ihre Herrn ermordet haben", sagt
der Redner Antiphon, „sogar wenn sie auf frischer That ertappt werden,
können nicht von den Angehörigen getödtet werden, sondern werden nach un¬
seren Gesetzen der Obrigkeit übergeben." Dennoch genügte, wie aus einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/20>, abgerufen am 06.01.2025.