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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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moule des Bildes litte. In der Mitte unseres Gemäldes ist Themistokles mit
den Seinigen auf den zweiten Plan zurückgeschoben, er sowohl, wie Tcrxes,
nehmen die zweite Stelle ein; rechts treten die gefallenen Perser und Aristides
hervor, links die Gruppe der Weiber. Einmal, wie sollen diese verschiedenen
Theile in schwungvollein rhythmischen Zusammenhang in einander übergehen,
in eine malerische Beziehung treten, in fließender Linie sich verbinden? Die so
gut wie leere Mitte, die überfüllten Seiten, die kein herüber-, hinüberführendes
Glied in ein organisches Verhältniß seht: wo bleibt das Gesetz der in sich har¬
monisch abgeschlossenen Kunst? Man vergleiche doch mit dieser Leistung der
neuen Malerei die Alexander- und die Constantinschlacht, wie hier das Leben
des Kampfes Yoll und mächtig in den Mittelpunkt schlägt, auch darin das Bild
der wuchtig zusammenstoßenden, im Gewühl sich treffenden feindlichen Elemente.
Und dann der eigentliche Gegenstand des Gemäldes ist die Gruppe der Weiber.
Auf ihr hat der Künstler mit Liebe und Sorgfalt seine Hand verweilen lassen,
auf sie hat er allen malerischen Reiz zusammengehäuft. Nachdem er also Alles
aufgeboten, um den historischen Vorgang in seiner ganzen Bedeutung und
Breite darzustellen, wirft er das künstlerische Interesse fast ausschließlich auf eine
Episode, die gar nicht zur Sache gehört, die lediglich ein Einfall seiner Phan¬
tasie ist!

Diese Art, den geschichtlichen Stoff in seiner ganzen Ausdehnung erschöpfend
darzulegen und das ästhetische Bedürfniß in einer Ncbcngruppe, zu befriedigen,
diese Art, das eigentlich malerische Element, da es im Hauptvorgange nicht
zum Durchbruch gekommen, wie in einem Vor- oder Nachspiel besonders heraus¬
treten zu lassen, ist Kaulbach eigenthümlich. Eben dies hat ihm den Beifall
des Zeitalters erworben. Einestheils, spürt seine rührige, halb poetisch, halb
reflectirend gestaltende Phantasie allen Fäden nach, die sich von dem gegebenen
Objecte nach allen Richtungen, ziehen lassen, und es unterhält unser ebenso ge-
dankenhaftes wie realistisches Jahrhundert, dieses sinnige Spiel zu verfolgen;
anderseits befriedigt der Reiz der üppigen Form und der Schönheitslinie, in
denen, wie man rühmt, Kaulbach Meister ist, die ästhetische Neigung. Allein
unter diesem äußerlichen Nebeneinander leidet natürlich die Kunst. Die male-
We, Z.iMbe erscheint als die Ironie jener geistreichen Darstellung des, Gegen¬
standes,; denn, indem in ihr der künstlerische Sinn sich eigens niederlegt, macht
er gleichsam das stille Geständnis;, daß er den Stoff selber zu durchdringen un¬
fähig sei. Wäre hier der Ort, die einzelnen Werke des Malers zu betrachten,
so würde sich leicht erweisen lassen, daß ihm eine wirklich künstlerische Eompo-
sition höchst selten gelungen ist und daß die lebendige Individualisirung. die
ja sehne Stärke sein soll, in einer Wiederholung stehender, die Grenze des
Charakteristischen überschreitender Typen besteht. Und eben deshalb, weil jener
Sinn mit dem Stoffe nicht substantiell erfüllt ist, kann er auch den Gestalten, welche


moule des Bildes litte. In der Mitte unseres Gemäldes ist Themistokles mit
den Seinigen auf den zweiten Plan zurückgeschoben, er sowohl, wie Tcrxes,
nehmen die zweite Stelle ein; rechts treten die gefallenen Perser und Aristides
hervor, links die Gruppe der Weiber. Einmal, wie sollen diese verschiedenen
Theile in schwungvollein rhythmischen Zusammenhang in einander übergehen,
in eine malerische Beziehung treten, in fließender Linie sich verbinden? Die so
gut wie leere Mitte, die überfüllten Seiten, die kein herüber-, hinüberführendes
Glied in ein organisches Verhältniß seht: wo bleibt das Gesetz der in sich har¬
monisch abgeschlossenen Kunst? Man vergleiche doch mit dieser Leistung der
neuen Malerei die Alexander- und die Constantinschlacht, wie hier das Leben
des Kampfes Yoll und mächtig in den Mittelpunkt schlägt, auch darin das Bild
der wuchtig zusammenstoßenden, im Gewühl sich treffenden feindlichen Elemente.
Und dann der eigentliche Gegenstand des Gemäldes ist die Gruppe der Weiber.
Auf ihr hat der Künstler mit Liebe und Sorgfalt seine Hand verweilen lassen,
auf sie hat er allen malerischen Reiz zusammengehäuft. Nachdem er also Alles
aufgeboten, um den historischen Vorgang in seiner ganzen Bedeutung und
Breite darzustellen, wirft er das künstlerische Interesse fast ausschließlich auf eine
Episode, die gar nicht zur Sache gehört, die lediglich ein Einfall seiner Phan¬
tasie ist!

Diese Art, den geschichtlichen Stoff in seiner ganzen Ausdehnung erschöpfend
darzulegen und das ästhetische Bedürfniß in einer Ncbcngruppe, zu befriedigen,
diese Art, das eigentlich malerische Element, da es im Hauptvorgange nicht
zum Durchbruch gekommen, wie in einem Vor- oder Nachspiel besonders heraus¬
treten zu lassen, ist Kaulbach eigenthümlich. Eben dies hat ihm den Beifall
des Zeitalters erworben. Einestheils, spürt seine rührige, halb poetisch, halb
reflectirend gestaltende Phantasie allen Fäden nach, die sich von dem gegebenen
Objecte nach allen Richtungen, ziehen lassen, und es unterhält unser ebenso ge-
dankenhaftes wie realistisches Jahrhundert, dieses sinnige Spiel zu verfolgen;
anderseits befriedigt der Reiz der üppigen Form und der Schönheitslinie, in
denen, wie man rühmt, Kaulbach Meister ist, die ästhetische Neigung. Allein
unter diesem äußerlichen Nebeneinander leidet natürlich die Kunst. Die male-
We, Z.iMbe erscheint als die Ironie jener geistreichen Darstellung des, Gegen¬
standes,; denn, indem in ihr der künstlerische Sinn sich eigens niederlegt, macht
er gleichsam das stille Geständnis;, daß er den Stoff selber zu durchdringen un¬
fähig sei. Wäre hier der Ort, die einzelnen Werke des Malers zu betrachten,
so würde sich leicht erweisen lassen, daß ihm eine wirklich künstlerische Eompo-
sition höchst selten gelungen ist und daß die lebendige Individualisirung. die
ja sehne Stärke sein soll, in einer Wiederholung stehender, die Grenze des
Charakteristischen überschreitender Typen besteht. Und eben deshalb, weil jener
Sinn mit dem Stoffe nicht substantiell erfüllt ist, kann er auch den Gestalten, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/180>, abgerufen am 08.01.2025.