Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.Anspruch auf Schönheit erheben, nicht den Adel und die Vollendung der Form Kaulbach hat einen entscheidungsvollen Wendepunkt aus der alten Geschichte, Anspruch auf Schönheit erheben, nicht den Adel und die Vollendung der Form Kaulbach hat einen entscheidungsvollen Wendepunkt aus der alten Geschichte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113961"/> <p xml:id="ID_493" prev="#ID_492"> Anspruch auf Schönheit erheben, nicht den Adel und die Vollendung der Form<lb/> geben, welche den wahren Zauber der malerisch schönen Erscheinung ausmachen.<lb/> Dazu kommt, daß auch Kaulbach in Wahrheit das Verständniß der Form<lb/> nicht hat, das in der geläuterten und doch fest und richtig gebauten Bildung<lb/> des Körpers einen Reiz erreicht, an dem das Auge, auch abgesehen vom In¬<lb/> halte, sich erfreuen mag. So machen seine jugendlich vollen Gestalten in ihrer<lb/> widerlichen knochenlosen Weichlichkeit und in dem gesuchten Schwung einer<lb/> üppigen Linie nur eine äußerliche sinnliche Wirkung , die ganz naturgemäß den<lb/> Gegensatz zu- jener reflectirenden Vielseitigkeit der geistigen Auffassung bildet.<lb/> Wie man sieht, fehlt aus beiden Seiten — die, statt sich maaßvoll zu einem Gan¬<lb/> zen zu durchdringen, zu Extremen auseinanderfallen — der eigentliche künstle¬<lb/> rische Ernst; es kann nicht Wunder nehmen, daß sich Kaulbach mit ironischem<lb/> Bewußtsein, wie er meint, über sein Werk, in Wahrheit außerhalb seines<lb/> Werkes stellt, und die geistreich combinirten Beziehungen des Inhaltes der leeren<lb/> sinnlichen Form und diese wieder jenen vernichtend entgegenhält. Unser Jahr¬<lb/> hundert mag an diesem leichtfertigen Spiel mit Form und Inhalt, das aller¬<lb/> dings eine nicht gewöhnliche Mischung von Verstand und Phantasie voraussetzt,<lb/> das zudem die selbstgefällige Macht des Individuums über die Dinge beweist.<lb/> Gefallen finden; die Nachwelt wird in Kaulbach weder einen „Ethographos"<lb/> wie Polygnot sehen, der die Schlacht von Marathon in bedeutungsvoller, aber<lb/> naiver Auffassung darstellte, noch einen Apelles, dem die Charis als eigenthüm¬<lb/> licher Vorzug zugefallen war und von dem als Modelle benutzt zu werden, die<lb/> athenischen Mädchen sich zur Ehre anrechneten; am allerwenigsten eine Verbin¬<lb/> dung von beiden. Vielleicht aber einen Mann, der sich auf seine Zeit verstand<lb/> und ihr die Kunst dienstbar zu machen wußte. —</p><lb/> <p xml:id="ID_494" next="#ID_495"> Kaulbach hat einen entscheidungsvollen Wendepunkt aus der alten Geschichte,<lb/> Lessing einen bezeichnenden Moment aus dem Mittelalter dargestellt, F. Dietz<lb/> dagegen eine folgenschwere Katastrophe aus der neueren Zeit zum Motiv ge¬<lb/> nommen: Die Schlacht von Leipzig. Nur zum Motiv; denn nicht der Kampf<lb/> selber bildet den Gegenstand des Bildes, sondern der erste Eindruck des errunge¬<lb/> nen Sieges auf das Leben des Bürgers und Landmanns, das erste freie Auf¬<lb/> athmen einer deutschen Familie, deren Vater dem fliehenden Kaiser Ver¬<lb/> wünschungen mit auf den Weg zu geben scheint — mitten auf dem Schlacht-<lb/> felde, das überall Spuren des heißen Zusammenstoßes trägt, während im Hin¬<lb/> tergrunde das französische Heer in wilder Flucht davonjagt. Ein historisches<lb/> Bild ist daher das Werk eigentlich nicht zu nennen, und doch gehört es auch<lb/> nicht, da es das Gattungsleben in einem durch die historische Beziehung gestei¬<lb/> gerten Moment schildert und in der kleinen Welt die Bedeutung des großen<lb/> Umschlages Widerscheinen läßt, in das Gebiet der Genremalerei. In unserer<lb/> Z,eit ist kein Mangel an solchen Zwischengattungen. Indessen mag dein sein,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0181]
Anspruch auf Schönheit erheben, nicht den Adel und die Vollendung der Form
geben, welche den wahren Zauber der malerisch schönen Erscheinung ausmachen.
Dazu kommt, daß auch Kaulbach in Wahrheit das Verständniß der Form
nicht hat, das in der geläuterten und doch fest und richtig gebauten Bildung
des Körpers einen Reiz erreicht, an dem das Auge, auch abgesehen vom In¬
halte, sich erfreuen mag. So machen seine jugendlich vollen Gestalten in ihrer
widerlichen knochenlosen Weichlichkeit und in dem gesuchten Schwung einer
üppigen Linie nur eine äußerliche sinnliche Wirkung , die ganz naturgemäß den
Gegensatz zu- jener reflectirenden Vielseitigkeit der geistigen Auffassung bildet.
Wie man sieht, fehlt aus beiden Seiten — die, statt sich maaßvoll zu einem Gan¬
zen zu durchdringen, zu Extremen auseinanderfallen — der eigentliche künstle¬
rische Ernst; es kann nicht Wunder nehmen, daß sich Kaulbach mit ironischem
Bewußtsein, wie er meint, über sein Werk, in Wahrheit außerhalb seines
Werkes stellt, und die geistreich combinirten Beziehungen des Inhaltes der leeren
sinnlichen Form und diese wieder jenen vernichtend entgegenhält. Unser Jahr¬
hundert mag an diesem leichtfertigen Spiel mit Form und Inhalt, das aller¬
dings eine nicht gewöhnliche Mischung von Verstand und Phantasie voraussetzt,
das zudem die selbstgefällige Macht des Individuums über die Dinge beweist.
Gefallen finden; die Nachwelt wird in Kaulbach weder einen „Ethographos"
wie Polygnot sehen, der die Schlacht von Marathon in bedeutungsvoller, aber
naiver Auffassung darstellte, noch einen Apelles, dem die Charis als eigenthüm¬
licher Vorzug zugefallen war und von dem als Modelle benutzt zu werden, die
athenischen Mädchen sich zur Ehre anrechneten; am allerwenigsten eine Verbin¬
dung von beiden. Vielleicht aber einen Mann, der sich auf seine Zeit verstand
und ihr die Kunst dienstbar zu machen wußte. —
Kaulbach hat einen entscheidungsvollen Wendepunkt aus der alten Geschichte,
Lessing einen bezeichnenden Moment aus dem Mittelalter dargestellt, F. Dietz
dagegen eine folgenschwere Katastrophe aus der neueren Zeit zum Motiv ge¬
nommen: Die Schlacht von Leipzig. Nur zum Motiv; denn nicht der Kampf
selber bildet den Gegenstand des Bildes, sondern der erste Eindruck des errunge¬
nen Sieges auf das Leben des Bürgers und Landmanns, das erste freie Auf¬
athmen einer deutschen Familie, deren Vater dem fliehenden Kaiser Ver¬
wünschungen mit auf den Weg zu geben scheint — mitten auf dem Schlacht-
felde, das überall Spuren des heißen Zusammenstoßes trägt, während im Hin¬
tergrunde das französische Heer in wilder Flucht davonjagt. Ein historisches
Bild ist daher das Werk eigentlich nicht zu nennen, und doch gehört es auch
nicht, da es das Gattungsleben in einem durch die historische Beziehung gestei¬
gerten Moment schildert und in der kleinen Welt die Bedeutung des großen
Umschlages Widerscheinen läßt, in das Gebiet der Genremalerei. In unserer
Z,eit ist kein Mangel an solchen Zwischengattungen. Indessen mag dein sein,
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