Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.hat. zu lösen. Denn gerade die Forderung, welche diese an den Künstler stellt, Und dennoch -- gerade die Wendepunkte der Geschichte bereiten der Kunst hat. zu lösen. Denn gerade die Forderung, welche diese an den Künstler stellt, Und dennoch — gerade die Wendepunkte der Geschichte bereiten der Kunst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113953"/> <p xml:id="ID_473" prev="#ID_472"> hat. zu lösen. Denn gerade die Forderung, welche diese an den Künstler stellt,<lb/> macht es ihm so leicht nicht, den geschichtlichen Stoff in ein Phantasiegebilde<lb/> umzusehen. Erst die moderne Wissenschaft bat in der Geschichte das Gesetz der<lb/> Entwickelung entdeckt und es ist natürlich, daß sie die Wendepunkte, in denen<lb/> neue Zustände aus den überlebten sich herausarbeiten und die jüngeren Mächte<lb/> mit den alternden im bellen Kampfe zusammenstoßen, als die gipfelnden Mo¬<lb/> mente, als die Blitze der Geschichte hervorhebt. Wir lassen den Pulsschlag des<lb/> innern Lebens fühlbar werden, und es ist allerdings, wie wenn in ihnen der<lb/> in der Tiefe waltende Geist sichtbar und mit gewaltigem Schritt in die Wirk¬<lb/> lichkeit hinausträte. So scheint es begreiflich, daß die Aesthetik gerade diese<lb/> prägnanten Augenblicke dem modernen Künstler als besonders brauchbare Mo¬<lb/> tive empfiehlt; um so begreiflicher, als die Spitze des zu einem großen Ereig-<lb/> niß sich zusammenfassenden Geschehens naturgemäß in einer mächtigen Persön¬<lb/> lichkeit zum festen anschaulichen Ausdruck gelangt, Ebendies. daß der Inhalt<lb/> der Vorstellung in einem menschlichen Dasein Leben und Gestalt gewinne, in<lb/> dem Thun und Lassen eines Individuums sich verfestige, ist ja eine Voraus¬<lb/> setzung auch der Malerei; was natürlicher, als daß man nun jene Stoffe für<lb/> deren eigentliche Objecte erklärt?</p><lb/> <p xml:id="ID_474" next="#ID_475"> Und dennoch — gerade die Wendepunkte der Geschichte bereiten der Kunst<lb/> besondere Schwierigkeiten. Abgesehen davon, daß vorab diese Motive die Ma¬<lb/> lerei von der Wissenschaft sich muß geben lassen: so wird die welthistorische<lb/> That, um die es sich bier handelt, nie rein in die künstlerische Anschauung auf¬<lb/> gehen, sie fällt mit ihrem ganzen Gewichte in die Sphäre des Bewußtseins<lb/> oder — um im Gebiete der Kunst zu bleiben — in den Kreis der poetischen<lb/> Vorstellung. Wohl treten in dem großen Momente die innerlich treibenden<lb/> Kräfte ganz in den Tag hinaus, aber sie offenbaren sich in einer blitzartigen<lb/> Helle, welche die Erscheinung gleichsam wieder verzehrt und den äußerlichen<lb/> Vorgang als verschwindenden Moment in die geistige Tiefe zurücknimmt. Die<lb/> That verhält sich daher als der entscheidende Ausschlag eines innerlichen Pro¬<lb/> cesses gegen- die Fülle der Außendinge sowohl als ihre eigene Gestalt absolut<lb/> gleichgiltig. Dennoch soll sie in der breiten Welt der Erscheinung selber ganz<lb/> zum sichtbaren Schein werden; denn dies ist ja eben Sache der Malerei, den<lb/> Vorgang bis ins kleinste Detail auszubilden. In der poetischen Vorstellung<lb/> ist die That die dramatische Spitze der Handlung. Wird diese im Bilde<lb/> fixirt. so entsteht der Ausdruck eines versteinerten Pathos; und außerdem wird,<lb/> da die Malerei ihr Recht sich nicht nehmen läßt, die Fülle der Erscheinung bis<lb/> zum Stiefel des Helden mit sorgfältiger Liebe auszuführen, unter der Wucht<lb/> des Details der eigentliche Vorgang fast immer verschüttet. So gibt der Ma¬<lb/> ler zu viel und zu wenig; denn die umgebenden Dinge sind für den Moment<lb/> der straffster Spannung völlig interesselos, und diesen in seiner gesammelten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
hat. zu lösen. Denn gerade die Forderung, welche diese an den Künstler stellt,
macht es ihm so leicht nicht, den geschichtlichen Stoff in ein Phantasiegebilde
umzusehen. Erst die moderne Wissenschaft bat in der Geschichte das Gesetz der
Entwickelung entdeckt und es ist natürlich, daß sie die Wendepunkte, in denen
neue Zustände aus den überlebten sich herausarbeiten und die jüngeren Mächte
mit den alternden im bellen Kampfe zusammenstoßen, als die gipfelnden Mo¬
mente, als die Blitze der Geschichte hervorhebt. Wir lassen den Pulsschlag des
innern Lebens fühlbar werden, und es ist allerdings, wie wenn in ihnen der
in der Tiefe waltende Geist sichtbar und mit gewaltigem Schritt in die Wirk¬
lichkeit hinausträte. So scheint es begreiflich, daß die Aesthetik gerade diese
prägnanten Augenblicke dem modernen Künstler als besonders brauchbare Mo¬
tive empfiehlt; um so begreiflicher, als die Spitze des zu einem großen Ereig-
niß sich zusammenfassenden Geschehens naturgemäß in einer mächtigen Persön¬
lichkeit zum festen anschaulichen Ausdruck gelangt, Ebendies. daß der Inhalt
der Vorstellung in einem menschlichen Dasein Leben und Gestalt gewinne, in
dem Thun und Lassen eines Individuums sich verfestige, ist ja eine Voraus¬
setzung auch der Malerei; was natürlicher, als daß man nun jene Stoffe für
deren eigentliche Objecte erklärt?
Und dennoch — gerade die Wendepunkte der Geschichte bereiten der Kunst
besondere Schwierigkeiten. Abgesehen davon, daß vorab diese Motive die Ma¬
lerei von der Wissenschaft sich muß geben lassen: so wird die welthistorische
That, um die es sich bier handelt, nie rein in die künstlerische Anschauung auf¬
gehen, sie fällt mit ihrem ganzen Gewichte in die Sphäre des Bewußtseins
oder — um im Gebiete der Kunst zu bleiben — in den Kreis der poetischen
Vorstellung. Wohl treten in dem großen Momente die innerlich treibenden
Kräfte ganz in den Tag hinaus, aber sie offenbaren sich in einer blitzartigen
Helle, welche die Erscheinung gleichsam wieder verzehrt und den äußerlichen
Vorgang als verschwindenden Moment in die geistige Tiefe zurücknimmt. Die
That verhält sich daher als der entscheidende Ausschlag eines innerlichen Pro¬
cesses gegen- die Fülle der Außendinge sowohl als ihre eigene Gestalt absolut
gleichgiltig. Dennoch soll sie in der breiten Welt der Erscheinung selber ganz
zum sichtbaren Schein werden; denn dies ist ja eben Sache der Malerei, den
Vorgang bis ins kleinste Detail auszubilden. In der poetischen Vorstellung
ist die That die dramatische Spitze der Handlung. Wird diese im Bilde
fixirt. so entsteht der Ausdruck eines versteinerten Pathos; und außerdem wird,
da die Malerei ihr Recht sich nicht nehmen läßt, die Fülle der Erscheinung bis
zum Stiefel des Helden mit sorgfältiger Liebe auszuführen, unter der Wucht
des Details der eigentliche Vorgang fast immer verschüttet. So gibt der Ma¬
ler zu viel und zu wenig; denn die umgebenden Dinge sind für den Moment
der straffster Spannung völlig interesselos, und diesen in seiner gesammelten
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