Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.thun seiner Phantasie geworden, wenn erst die geschichtliche Denkweise die ganze Und hier kommen wir auf jenen Einwand zurück, den der moderne Maler Indessen ist damit der Weg noch nicht gesunden, um die Aufgabe der ge¬ ") Schreiber dieses braucht sich wohl nicht ausdrücklich gegen den Verdacht zu verwahren,
als ob er gegen die Vischer'sche Aesthetik Poleinisiren wolle. Es handelt sich hier um ein Problem der Kunst, zu dessen Lösung er so viel ihm möglich ist beitragen möchte, nicht um persönliche Ansichten. Wenn er auch in diesem Punkte mit dem vortrefflichen Werke Wischers nicht zusammentrifft, so erscheint ihm dasselbe doch als der Schlußstein aller früheren, als die Grundlage aller heutigen ästhetische" Forschung. In der That haben nicht wenige Kunst- schriftsteller es dafür anerkannt und aus seinem Reichthum geschöpft, ohne es jedesmal für nöthig zu erachten, die Quelle anzugeben; Beweis genug, daß sie es als das zum Eigenthum Aller gewordene Fundamcntalbuch der heutigen Wissenschaft des Schöne" ansehen. thun seiner Phantasie geworden, wenn erst die geschichtliche Denkweise die ganze Und hier kommen wir auf jenen Einwand zurück, den der moderne Maler Indessen ist damit der Weg noch nicht gesunden, um die Aufgabe der ge¬ ") Schreiber dieses braucht sich wohl nicht ausdrücklich gegen den Verdacht zu verwahren,
als ob er gegen die Vischer'sche Aesthetik Poleinisiren wolle. Es handelt sich hier um ein Problem der Kunst, zu dessen Lösung er so viel ihm möglich ist beitragen möchte, nicht um persönliche Ansichten. Wenn er auch in diesem Punkte mit dem vortrefflichen Werke Wischers nicht zusammentrifft, so erscheint ihm dasselbe doch als der Schlußstein aller früheren, als die Grundlage aller heutigen ästhetische» Forschung. In der That haben nicht wenige Kunst- schriftsteller es dafür anerkannt und aus seinem Reichthum geschöpft, ohne es jedesmal für nöthig zu erachten, die Quelle anzugeben; Beweis genug, daß sie es als das zum Eigenthum Aller gewordene Fundamcntalbuch der heutigen Wissenschaft des Schöne» ansehen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113952"/> <p xml:id="ID_470" prev="#ID_469"> thun seiner Phantasie geworden, wenn erst die geschichtliche Denkweise die ganze<lb/> Bildung durchdrungen hat und zur festen Form der allgemeinen Vorstellung ge¬<lb/> worden ist. Das ist, wenn das Wesen der Kunst nicht verloren gehen soll,<lb/> unumgänglich nothwendig-, nur der Inhalt, der aus der stoffloser Wirklichkeit<lb/> in das klare Reich der Phantasie erhoben ist, kann zur selbständigen künstle¬<lb/> rischen Gestalt kommen. Und dazu genügt nicht die mehr oder minder fähige<lb/> Einbildungskraft des Einzelnen; sondern zum lebendigen Gebilde der allgemei¬<lb/> nen Phantasie muh das Object des Bewusstseins umgesetzt sein, wenn es sich<lb/> in der Welt der Kunst das Bürgerrecht erwerben will. War es doch mit der<lb/> mustergiltigen religiösen Kunst etwas Aehnliches; erst als der christliche Glaubens¬<lb/> inhalt aus der Unreinheit der stofflichen Empfindung in das läuternde Feuer<lb/> der Phantasie kam, wurde er in den Meisterwerken des Cinquecento zum freien<lb/> Besitz der Kunst umgeschaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_471"> Und hier kommen wir auf jenen Einwand zurück, den der moderne Maler<lb/> gegen ein allzuernstliches Studium der vergangenen Kunst erheben zu können<lb/> meint. Wohl ist die Geschichte ein neuer Inhalt der ästhetischen Vorstellung,<lb/> aber erst indem sie in die Phantasie eingeht, wird sie zum Gegenstande der<lb/> Kunst. Daher verlangt sie, um dargestellt zu werden, keine absolut neue An¬<lb/> schauung der Form und Erscheinung; als Object der bildenden Phantasie ist<lb/> sie schon in die Formen- und Farbenwelt eingetreten, welche der unveräußer¬<lb/> liche Erwerb der großen Kunstepochen, die ewig giltige Erscheinungsweise der<lb/> Kunst selber ist. Möglich, daß diese Welt durch ein neues Zeitalter sich be¬<lb/> reichern läßt; aber natürlich erst, nachdem letzteres ihre ganze Fülle und Mannig¬<lb/> faltigkeit in sich aufgenommen. Also auch der dritte Einwand, mit dem die<lb/> moderne Kunst gegen die alte als unumgängliches Vorbild sich sträubt, ist nicht<lb/> haltbar. Mag die Geschichte der neubelebende Inhalt sein, der die Malerei zu<lb/> frischer Blüthe treiben soll: ihm seine künstlerische Gestalt zu geben, das wird<lb/> sich an der Hand der Holbein, Raphael, Titian und Michel Angelo leichter und<lb/> sicherer lerne», als durch ursprüngliche und doch von unklaren Erinnerungen ge¬<lb/> leitete Versuche auf eigene Faust.</p><lb/> <p xml:id="ID_472" next="#ID_473"> Indessen ist damit der Weg noch nicht gesunden, um die Aufgabe der ge¬<lb/> schichtlichen Malerei, welche die heutige Aesthetik*) in den Vordergrund gestellt</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot"> ") Schreiber dieses braucht sich wohl nicht ausdrücklich gegen den Verdacht zu verwahren,<lb/> als ob er gegen die Vischer'sche Aesthetik Poleinisiren wolle. Es handelt sich hier um ein<lb/> Problem der Kunst, zu dessen Lösung er so viel ihm möglich ist beitragen möchte, nicht um<lb/> persönliche Ansichten. Wenn er auch in diesem Punkte mit dem vortrefflichen Werke Wischers<lb/> nicht zusammentrifft, so erscheint ihm dasselbe doch als der Schlußstein aller früheren, als die<lb/> Grundlage aller heutigen ästhetische» Forschung. In der That haben nicht wenige Kunst-<lb/> schriftsteller es dafür anerkannt und aus seinem Reichthum geschöpft, ohne es jedesmal für<lb/> nöthig zu erachten, die Quelle anzugeben; Beweis genug, daß sie es als das zum Eigenthum<lb/> Aller gewordene Fundamcntalbuch der heutigen Wissenschaft des Schöne» ansehen.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
thun seiner Phantasie geworden, wenn erst die geschichtliche Denkweise die ganze
Bildung durchdrungen hat und zur festen Form der allgemeinen Vorstellung ge¬
worden ist. Das ist, wenn das Wesen der Kunst nicht verloren gehen soll,
unumgänglich nothwendig-, nur der Inhalt, der aus der stoffloser Wirklichkeit
in das klare Reich der Phantasie erhoben ist, kann zur selbständigen künstle¬
rischen Gestalt kommen. Und dazu genügt nicht die mehr oder minder fähige
Einbildungskraft des Einzelnen; sondern zum lebendigen Gebilde der allgemei¬
nen Phantasie muh das Object des Bewusstseins umgesetzt sein, wenn es sich
in der Welt der Kunst das Bürgerrecht erwerben will. War es doch mit der
mustergiltigen religiösen Kunst etwas Aehnliches; erst als der christliche Glaubens¬
inhalt aus der Unreinheit der stofflichen Empfindung in das läuternde Feuer
der Phantasie kam, wurde er in den Meisterwerken des Cinquecento zum freien
Besitz der Kunst umgeschaffen.
Und hier kommen wir auf jenen Einwand zurück, den der moderne Maler
gegen ein allzuernstliches Studium der vergangenen Kunst erheben zu können
meint. Wohl ist die Geschichte ein neuer Inhalt der ästhetischen Vorstellung,
aber erst indem sie in die Phantasie eingeht, wird sie zum Gegenstande der
Kunst. Daher verlangt sie, um dargestellt zu werden, keine absolut neue An¬
schauung der Form und Erscheinung; als Object der bildenden Phantasie ist
sie schon in die Formen- und Farbenwelt eingetreten, welche der unveräußer¬
liche Erwerb der großen Kunstepochen, die ewig giltige Erscheinungsweise der
Kunst selber ist. Möglich, daß diese Welt durch ein neues Zeitalter sich be¬
reichern läßt; aber natürlich erst, nachdem letzteres ihre ganze Fülle und Mannig¬
faltigkeit in sich aufgenommen. Also auch der dritte Einwand, mit dem die
moderne Kunst gegen die alte als unumgängliches Vorbild sich sträubt, ist nicht
haltbar. Mag die Geschichte der neubelebende Inhalt sein, der die Malerei zu
frischer Blüthe treiben soll: ihm seine künstlerische Gestalt zu geben, das wird
sich an der Hand der Holbein, Raphael, Titian und Michel Angelo leichter und
sicherer lerne», als durch ursprüngliche und doch von unklaren Erinnerungen ge¬
leitete Versuche auf eigene Faust.
Indessen ist damit der Weg noch nicht gesunden, um die Aufgabe der ge¬
schichtlichen Malerei, welche die heutige Aesthetik*) in den Vordergrund gestellt
") Schreiber dieses braucht sich wohl nicht ausdrücklich gegen den Verdacht zu verwahren,
als ob er gegen die Vischer'sche Aesthetik Poleinisiren wolle. Es handelt sich hier um ein
Problem der Kunst, zu dessen Lösung er so viel ihm möglich ist beitragen möchte, nicht um
persönliche Ansichten. Wenn er auch in diesem Punkte mit dem vortrefflichen Werke Wischers
nicht zusammentrifft, so erscheint ihm dasselbe doch als der Schlußstein aller früheren, als die
Grundlage aller heutigen ästhetische» Forschung. In der That haben nicht wenige Kunst-
schriftsteller es dafür anerkannt und aus seinem Reichthum geschöpft, ohne es jedesmal für
nöthig zu erachten, die Quelle anzugeben; Beweis genug, daß sie es als das zum Eigenthum
Aller gewordene Fundamcntalbuch der heutigen Wissenschaft des Schöne» ansehen.
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