Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.Kraft, die das ganze Vorher und Nachher in sich schließt, kann die malerische Die entscheidende geschichtliche That ist also aus zwei Gründen nicht Sache Die Aesthetik will der modernen Kunst aufhelfen, indem sie ihr einen Kraft, die das ganze Vorher und Nachher in sich schließt, kann die malerische Die entscheidende geschichtliche That ist also aus zwei Gründen nicht Sache Die Aesthetik will der modernen Kunst aufhelfen, indem sie ihr einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113954"/> <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474"> Kraft, die das ganze Vorher und Nachher in sich schließt, kann die malerische<lb/> Erscheinung nur andeutend ausdrücken.</p><lb/> <p xml:id="ID_476"> Die entscheidende geschichtliche That ist also aus zwei Gründen nicht Sache<lb/> der bildenden Phantasie: einmal, weil sie als Katastrophe der Gipfel einer Per¬<lb/> wickelung und der Keim neuer Wechselfälle ist. und dann, weil sie als Wille<lb/> und Schicksal in der äußerlichen Erscheinung weder sich ausspricht, noch be-<lb/> harrt. Sie ist anschaulich nur als das lösende und verknüpfende Glied der<lb/> ganzen Kette, folglich nur in der Vorstellung des Nacheinander; sie kann wohl<lb/> poetisch sein, aber nicht malerisch. Ebensowenig ist der Wille, der sowohl in<lb/> der unruhigen Spannung des Gemüthes, wie im Kampf der Gegensätze es<lb/> zum wirklichen Sein, zum Zustande gar nicht kommen läßt, Gegenstand der<lb/> bildlichen Darstellung. Wenn aber dem so ist. wie läßt sich erklären, daß den¬<lb/> noch die Aesthetik gerade die Wendepunkte der Geschichte, die immer in einer<lb/> That gipfeln, der Malerei als günstige Stoffe empfiehlt?</p><lb/> <p xml:id="ID_477" next="#ID_478"> Die Aesthetik will der modernen Kunst aufhelfen, indem sie ihr einen<lb/> zeitgemäßen Inhalt anweist, und in diesem Punkte scheint mir der Irrthum zu<lb/> liegen. Nickt nur Motive soll die Geschichte der Malerei überliefern, sondern<lb/> sie soll für sie den beseelenden Gehalt abgeben. Also ähnlich wie bei den Ita¬<lb/> lienern die Religion und die Freude an allgemein menschlichen Zuständen, die<lb/> vornehmlich in den antiken Mythenkrciscn zu bestimmter Anschauung sich ver¬<lb/> dichtete, oder wie bei den Holländern das Behagen an selbstgeschaffenen wirt<lb/> liehen Leben soll die Wirksamkeit des menschlichen Geistes in der Geschichte die<lb/> Brust des Künstlers erfüllen. Man vergißt dabei, daß jener verschiedene In¬<lb/> halt vollständig in die Phantasie eingegangen war, daß näher der religiöse<lb/> Stoff, an dessen Stelle nun der geschichtliche treten soll, schon nicht mehr als<lb/> Gemüthsmacht die Seele des Künstlers bewegte, als er in den Meisterwerken<lb/> seinen vollendeten Ausdruck erhielt; daß überhaupt in der Kunst der Inhalt<lb/> nur so weit zählt, als er rein und ohne Nest in die künstlerische Anschauung<lb/> aufgeht. Also nicht auf den Stoff und den Gehalt desselben als solchen kommt<lb/> es an. Indem aber die Kritik von dem Maler die Darstellung großer geschicht¬<lb/> licher Momente verlangt, legt sie den Nachdruck auf den Inhalt, wie sehr sie<lb/> auch im Uebrigen den der Kunst günstigen Bedingungen Rechnung tragen mag;<lb/> und zwar auf einen Inhalt, der in seiner tiefern Bedeutung wesentlich in die<lb/> Sphäre des Bewußtseins fällt und im Bette der bildenden Phantasie nur zum<lb/> Theil flüssig wird. Sie tritt also mit einem Interesse an die Kunst heran, das<lb/> dieser im Grunde fremd ist; sie erwartet vom Kunstwerke, wenn sie das auch<lb/> nicht Wort haben will, außer dem ästhetischen Genuß noch einen intellectuellen<lb/> Reiz, und so stellt sie Forderungen an dasselbe, welche es über seinen eigent¬<lb/> lichen Kreis hinaustreiben. Was hilft es, daß unsere Philosophen, Kant an<lb/> der Spitze, den Begriff des Aesthetischen entdeckt und in seine Grenzen einge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
Kraft, die das ganze Vorher und Nachher in sich schließt, kann die malerische
Erscheinung nur andeutend ausdrücken.
Die entscheidende geschichtliche That ist also aus zwei Gründen nicht Sache
der bildenden Phantasie: einmal, weil sie als Katastrophe der Gipfel einer Per¬
wickelung und der Keim neuer Wechselfälle ist. und dann, weil sie als Wille
und Schicksal in der äußerlichen Erscheinung weder sich ausspricht, noch be-
harrt. Sie ist anschaulich nur als das lösende und verknüpfende Glied der
ganzen Kette, folglich nur in der Vorstellung des Nacheinander; sie kann wohl
poetisch sein, aber nicht malerisch. Ebensowenig ist der Wille, der sowohl in
der unruhigen Spannung des Gemüthes, wie im Kampf der Gegensätze es
zum wirklichen Sein, zum Zustande gar nicht kommen läßt, Gegenstand der
bildlichen Darstellung. Wenn aber dem so ist. wie läßt sich erklären, daß den¬
noch die Aesthetik gerade die Wendepunkte der Geschichte, die immer in einer
That gipfeln, der Malerei als günstige Stoffe empfiehlt?
Die Aesthetik will der modernen Kunst aufhelfen, indem sie ihr einen
zeitgemäßen Inhalt anweist, und in diesem Punkte scheint mir der Irrthum zu
liegen. Nickt nur Motive soll die Geschichte der Malerei überliefern, sondern
sie soll für sie den beseelenden Gehalt abgeben. Also ähnlich wie bei den Ita¬
lienern die Religion und die Freude an allgemein menschlichen Zuständen, die
vornehmlich in den antiken Mythenkrciscn zu bestimmter Anschauung sich ver¬
dichtete, oder wie bei den Holländern das Behagen an selbstgeschaffenen wirt
liehen Leben soll die Wirksamkeit des menschlichen Geistes in der Geschichte die
Brust des Künstlers erfüllen. Man vergißt dabei, daß jener verschiedene In¬
halt vollständig in die Phantasie eingegangen war, daß näher der religiöse
Stoff, an dessen Stelle nun der geschichtliche treten soll, schon nicht mehr als
Gemüthsmacht die Seele des Künstlers bewegte, als er in den Meisterwerken
seinen vollendeten Ausdruck erhielt; daß überhaupt in der Kunst der Inhalt
nur so weit zählt, als er rein und ohne Nest in die künstlerische Anschauung
aufgeht. Also nicht auf den Stoff und den Gehalt desselben als solchen kommt
es an. Indem aber die Kritik von dem Maler die Darstellung großer geschicht¬
licher Momente verlangt, legt sie den Nachdruck auf den Inhalt, wie sehr sie
auch im Uebrigen den der Kunst günstigen Bedingungen Rechnung tragen mag;
und zwar auf einen Inhalt, der in seiner tiefern Bedeutung wesentlich in die
Sphäre des Bewußtseins fällt und im Bette der bildenden Phantasie nur zum
Theil flüssig wird. Sie tritt also mit einem Interesse an die Kunst heran, das
dieser im Grunde fremd ist; sie erwartet vom Kunstwerke, wenn sie das auch
nicht Wort haben will, außer dem ästhetischen Genuß noch einen intellectuellen
Reiz, und so stellt sie Forderungen an dasselbe, welche es über seinen eigent¬
lichen Kreis hinaustreiben. Was hilft es, daß unsere Philosophen, Kant an
der Spitze, den Begriff des Aesthetischen entdeckt und in seine Grenzen einge-
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