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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Maßstab der Engel und die eigenthümliche Beleuchtung zu sehr in's Abenteuer¬
liche gezogen, als daß man an der künstlerischen Behandlung hätte seine Freude
haben können. Man rühmt sonst dem Meister nach, daß er in der Farbe eine
gewisse Verwandtschaft mit den Venetianern zeige; aber auch dies konnte hier
nicht zur Geltung kommen, wo es lediglich auf einen geheimnißvollen poetischen
Eindruck abgesehen schien.

Man sieht, daß auf dem ganzen Gebiete der religiösen Malerei die jüngste
Zeit ein Kunstwerk im wahren Sinne des Wortes nicht aufzuweisen hat. Aller¬
dings liegen gerade für diesen Zweig der Kunst die Verhältnisse am ungün¬
stigsten; aber auch hier hätte sich etwas Tüchtiges leisten lassen, wenn der Ma¬
ier statt auf den gesteigerten Ausdruck religiöser Empfindung auszugehen, vor
Allem die künstlerische Vollendung im Auge gehabt hätte, wenn ihm der christ¬
liche Stoff nichts weiter gewesen wäre, als ein zur idealen Darstellung vorzugs¬
weise geeignetes Motiv. Könnte er sich dazu entschließen, die doch gemachte
Innigkeit daran zu geben, dagegen bei den vollendeten Italienern eine gründ¬
liche Schule durchzumachen, um seine Anschauung an der ihrigen groß zu ziehen,
so würde er eben so gut, wie dies in der französischen Malerei Ingres und
Flandrin vermocht haben, ein Wert liefern, dem der künstlerische Neiz und
Werth und eben deshalb auch eine gewisse Lebensfülle nicht fehlten. Christus
und die Madonnen sind nun einmal für den Maler nur noch Gegenstande der
künstlerischen Vorstellung; was natürlicher, als daß er sich an die Vorbilder hält,
welche dieser einen ewig gültigen, allgemein menschlichen Ausdruck gegeben
haben? Aber das war es eben, was die Nazarener ängstlich vermieden: sie
wollten nicht die künstlerisch freie Darstellung eines idealen Phantasiebildes,
sondern die gebundene, schließlich doch unzulängliche Versinnlichung eines un¬
klaren Gemüthszustandes. Ihr Wahlspruch war: selig sind die Ungebildeten,
und daher der Anschluß an die vorraphaelische Periode, das bewußte Zurück¬
gehen auf eine naive, noch im Gährungsprvceß des Werdens befangene Kunst-
epoche. Unter dieser trüben Voraussetzung hat die jetzige religiöse Kunst schwer
zu leiden: die künstlich erzeugte Begeisterung ist längst verflogen, und es ist
nichts geblieben als ein unklares mühevolles Ringen, eine im Grunde unwahre
Empfindung zu verbildlichen, da es doch an Vermögen sowohl als an den
Mittel" der Gestaltung fehlt.

Hier zeigt sich schon die Achillesferse der gesammten modernen deutschen
Kunst: der Mangel einer tüchtigen Schule, einer gründlichen Kunstbildung.
Verfolgt man den Gang der deutschen Malerei seit dem Ende des vorigen
Jahrhunderts, so findet man wohl einzelne Mittelpunkte der künstlerischen Thä¬
tigkeit, wie München, Düsseldorf. Berlin, die auch eine Zeitlang nach bestimm¬
ten Richtungen eigenthümlich sich ausprägten, aber eigentliche Schulen -- das
sind auch die Akademien nicht, an denen freilich kein Mangel ist -- nicht heißen


Maßstab der Engel und die eigenthümliche Beleuchtung zu sehr in's Abenteuer¬
liche gezogen, als daß man an der künstlerischen Behandlung hätte seine Freude
haben können. Man rühmt sonst dem Meister nach, daß er in der Farbe eine
gewisse Verwandtschaft mit den Venetianern zeige; aber auch dies konnte hier
nicht zur Geltung kommen, wo es lediglich auf einen geheimnißvollen poetischen
Eindruck abgesehen schien.

Man sieht, daß auf dem ganzen Gebiete der religiösen Malerei die jüngste
Zeit ein Kunstwerk im wahren Sinne des Wortes nicht aufzuweisen hat. Aller¬
dings liegen gerade für diesen Zweig der Kunst die Verhältnisse am ungün¬
stigsten; aber auch hier hätte sich etwas Tüchtiges leisten lassen, wenn der Ma¬
ier statt auf den gesteigerten Ausdruck religiöser Empfindung auszugehen, vor
Allem die künstlerische Vollendung im Auge gehabt hätte, wenn ihm der christ¬
liche Stoff nichts weiter gewesen wäre, als ein zur idealen Darstellung vorzugs¬
weise geeignetes Motiv. Könnte er sich dazu entschließen, die doch gemachte
Innigkeit daran zu geben, dagegen bei den vollendeten Italienern eine gründ¬
liche Schule durchzumachen, um seine Anschauung an der ihrigen groß zu ziehen,
so würde er eben so gut, wie dies in der französischen Malerei Ingres und
Flandrin vermocht haben, ein Wert liefern, dem der künstlerische Neiz und
Werth und eben deshalb auch eine gewisse Lebensfülle nicht fehlten. Christus
und die Madonnen sind nun einmal für den Maler nur noch Gegenstande der
künstlerischen Vorstellung; was natürlicher, als daß er sich an die Vorbilder hält,
welche dieser einen ewig gültigen, allgemein menschlichen Ausdruck gegeben
haben? Aber das war es eben, was die Nazarener ängstlich vermieden: sie
wollten nicht die künstlerisch freie Darstellung eines idealen Phantasiebildes,
sondern die gebundene, schließlich doch unzulängliche Versinnlichung eines un¬
klaren Gemüthszustandes. Ihr Wahlspruch war: selig sind die Ungebildeten,
und daher der Anschluß an die vorraphaelische Periode, das bewußte Zurück¬
gehen auf eine naive, noch im Gährungsprvceß des Werdens befangene Kunst-
epoche. Unter dieser trüben Voraussetzung hat die jetzige religiöse Kunst schwer
zu leiden: die künstlich erzeugte Begeisterung ist längst verflogen, und es ist
nichts geblieben als ein unklares mühevolles Ringen, eine im Grunde unwahre
Empfindung zu verbildlichen, da es doch an Vermögen sowohl als an den
Mittel» der Gestaltung fehlt.

Hier zeigt sich schon die Achillesferse der gesammten modernen deutschen
Kunst: der Mangel einer tüchtigen Schule, einer gründlichen Kunstbildung.
Verfolgt man den Gang der deutschen Malerei seit dem Ende des vorigen
Jahrhunderts, so findet man wohl einzelne Mittelpunkte der künstlerischen Thä¬
tigkeit, wie München, Düsseldorf. Berlin, die auch eine Zeitlang nach bestimm¬
ten Richtungen eigenthümlich sich ausprägten, aber eigentliche Schulen — das
sind auch die Akademien nicht, an denen freilich kein Mangel ist — nicht heißen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/106>, abgerufen am 08.01.2025.