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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Quart; die Offiziere statt dessen so viel Wein und statt des Branntweins
Rum. Fleisch wurde alte Tage gegeben, Häring 4 mal die Woche, und mit
den übrigen Victualien wurde Abends gewechselt. Die Offiziere erhielten dop¬
pelte Nationen, die Stabsoffiziere 3. Diese reichliche Verpflegung übte auf
die Truppen einen vorzüglichen Einfluß aus, so daß es ihnen weder an gu¬
tem Willen noch an Muth fehlte.

Danzig war nun vollkommen eingeschlossen. Wir erfuhren, daß der fran¬
zösische Marschall Lefevre das Belagerungscorps befehligte, es bestand aus
dem neuformirten 10. Corps, größtentheils aus Badensern, Sachsen und Po¬
len, die wenigsten waren Franzosen, im Ganzen 20,000 Mann, die zur letz¬
ten Zeit der Belagerung auf etwa 50,000 Mann stiegen. Die Garnison war
nicht 22.000 Mann stark. Unser Bataillon versah den Vorpostendienst und
war die erste Feldwache, zu der ich mit geHorte, in der Kalkschanze; eine an¬
dere kleine Feldwache stand etwa 500 Schritt vor uns links im Freien. Hier
machten sich die Offiziere mit mir den Scherz, daß sie mich, während ich, von
einer Patrouille in der Vorpostenkette sehr ermüdet zurückgekehrt, gegen Mitter¬
nacht im tiefen Schlafe lag. von unserer Feldwache nach der im Freien vom
Bataillon Richte besetzten tragen ließen, was so gut gelang, daß ich dort,
ohne zu erwachen, ankam und ruhig bis zum Morgen ausschlief. Meine
Ueberrcischung war beim Erwachen keine geringe und ich in Verzweif¬
lung, die nicht eher endete, als bis ich durch den Offizier der Feldwache mit
einer Begleitung (da ich den Weg nicht kannte), zu meiner Feldwache zurück¬
geschickt wurde. Man lachte mich tüchtig aus, und ich mußte später noch viel
davon leiden.

Hier muß ich auch eines Vorfalls gedenken, durch den ich um mein junges
Leben hätte kommen können. Es war mir eingeprägt worden, ja das Feldgeschrei
nicht zu vergessen, und^ ich wußte, daß in Folge solches Vergessens in der pol¬
nischen Compagnie ein kleiner Junker bei einer Patrouille in sehr finstrer
Nacht todtgeschossen worden war. Ich hatte mir also die höchste Aufmerksam¬
keit und Kaltblütigkeit vorgenommen. Allein als ich zur Patrouille comman-
dirt wurde und der erste Posten mich anrief, zugleich fertig machte und den
Kahn knacken ließ, konnte ich bloß: "Patrouille" antworten, und statt des
Feldgeschreis rief ich in der Angst: "Herr Jesus! ich bin ja der Junker, schieß
nicht". Der Mann lachte, sagte "Patrouille vorbei." und die Gefahr war
vorüber. Bei den übrigen Posten war ich ruhiger und machte meine Sache bes¬
ser. Später im Jahr 1812 wurde von unserer Compagnie ein Gefreiter, der
noch dazu verheirathet war und dessen Frau ihn als Marketenderin begleitet
hatte, auf dieselbe Weise wie jener arme Junker erschossen. Außer den un¬
geheuren Strapazen hatte ich noch mit einem körperlichen Leiden zu kämpfen,
von welchem in Folge des schlechten Wassers der größte Theil unserer Mann-


Quart; die Offiziere statt dessen so viel Wein und statt des Branntweins
Rum. Fleisch wurde alte Tage gegeben, Häring 4 mal die Woche, und mit
den übrigen Victualien wurde Abends gewechselt. Die Offiziere erhielten dop¬
pelte Nationen, die Stabsoffiziere 3. Diese reichliche Verpflegung übte auf
die Truppen einen vorzüglichen Einfluß aus, so daß es ihnen weder an gu¬
tem Willen noch an Muth fehlte.

Danzig war nun vollkommen eingeschlossen. Wir erfuhren, daß der fran¬
zösische Marschall Lefevre das Belagerungscorps befehligte, es bestand aus
dem neuformirten 10. Corps, größtentheils aus Badensern, Sachsen und Po¬
len, die wenigsten waren Franzosen, im Ganzen 20,000 Mann, die zur letz¬
ten Zeit der Belagerung auf etwa 50,000 Mann stiegen. Die Garnison war
nicht 22.000 Mann stark. Unser Bataillon versah den Vorpostendienst und
war die erste Feldwache, zu der ich mit geHorte, in der Kalkschanze; eine an¬
dere kleine Feldwache stand etwa 500 Schritt vor uns links im Freien. Hier
machten sich die Offiziere mit mir den Scherz, daß sie mich, während ich, von
einer Patrouille in der Vorpostenkette sehr ermüdet zurückgekehrt, gegen Mitter¬
nacht im tiefen Schlafe lag. von unserer Feldwache nach der im Freien vom
Bataillon Richte besetzten tragen ließen, was so gut gelang, daß ich dort,
ohne zu erwachen, ankam und ruhig bis zum Morgen ausschlief. Meine
Ueberrcischung war beim Erwachen keine geringe und ich in Verzweif¬
lung, die nicht eher endete, als bis ich durch den Offizier der Feldwache mit
einer Begleitung (da ich den Weg nicht kannte), zu meiner Feldwache zurück¬
geschickt wurde. Man lachte mich tüchtig aus, und ich mußte später noch viel
davon leiden.

Hier muß ich auch eines Vorfalls gedenken, durch den ich um mein junges
Leben hätte kommen können. Es war mir eingeprägt worden, ja das Feldgeschrei
nicht zu vergessen, und^ ich wußte, daß in Folge solches Vergessens in der pol¬
nischen Compagnie ein kleiner Junker bei einer Patrouille in sehr finstrer
Nacht todtgeschossen worden war. Ich hatte mir also die höchste Aufmerksam¬
keit und Kaltblütigkeit vorgenommen. Allein als ich zur Patrouille comman-
dirt wurde und der erste Posten mich anrief, zugleich fertig machte und den
Kahn knacken ließ, konnte ich bloß: „Patrouille" antworten, und statt des
Feldgeschreis rief ich in der Angst: „Herr Jesus! ich bin ja der Junker, schieß
nicht". Der Mann lachte, sagte „Patrouille vorbei." und die Gefahr war
vorüber. Bei den übrigen Posten war ich ruhiger und machte meine Sache bes¬
ser. Später im Jahr 1812 wurde von unserer Compagnie ein Gefreiter, der
noch dazu verheirathet war und dessen Frau ihn als Marketenderin begleitet
hatte, auf dieselbe Weise wie jener arme Junker erschossen. Außer den un¬
geheuren Strapazen hatte ich noch mit einem körperlichen Leiden zu kämpfen,
von welchem in Folge des schlechten Wassers der größte Theil unserer Mann-


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[0061] Quart; die Offiziere statt dessen so viel Wein und statt des Branntweins Rum. Fleisch wurde alte Tage gegeben, Häring 4 mal die Woche, und mit den übrigen Victualien wurde Abends gewechselt. Die Offiziere erhielten dop¬ pelte Nationen, die Stabsoffiziere 3. Diese reichliche Verpflegung übte auf die Truppen einen vorzüglichen Einfluß aus, so daß es ihnen weder an gu¬ tem Willen noch an Muth fehlte. Danzig war nun vollkommen eingeschlossen. Wir erfuhren, daß der fran¬ zösische Marschall Lefevre das Belagerungscorps befehligte, es bestand aus dem neuformirten 10. Corps, größtentheils aus Badensern, Sachsen und Po¬ len, die wenigsten waren Franzosen, im Ganzen 20,000 Mann, die zur letz¬ ten Zeit der Belagerung auf etwa 50,000 Mann stiegen. Die Garnison war nicht 22.000 Mann stark. Unser Bataillon versah den Vorpostendienst und war die erste Feldwache, zu der ich mit geHorte, in der Kalkschanze; eine an¬ dere kleine Feldwache stand etwa 500 Schritt vor uns links im Freien. Hier machten sich die Offiziere mit mir den Scherz, daß sie mich, während ich, von einer Patrouille in der Vorpostenkette sehr ermüdet zurückgekehrt, gegen Mitter¬ nacht im tiefen Schlafe lag. von unserer Feldwache nach der im Freien vom Bataillon Richte besetzten tragen ließen, was so gut gelang, daß ich dort, ohne zu erwachen, ankam und ruhig bis zum Morgen ausschlief. Meine Ueberrcischung war beim Erwachen keine geringe und ich in Verzweif¬ lung, die nicht eher endete, als bis ich durch den Offizier der Feldwache mit einer Begleitung (da ich den Weg nicht kannte), zu meiner Feldwache zurück¬ geschickt wurde. Man lachte mich tüchtig aus, und ich mußte später noch viel davon leiden. Hier muß ich auch eines Vorfalls gedenken, durch den ich um mein junges Leben hätte kommen können. Es war mir eingeprägt worden, ja das Feldgeschrei nicht zu vergessen, und^ ich wußte, daß in Folge solches Vergessens in der pol¬ nischen Compagnie ein kleiner Junker bei einer Patrouille in sehr finstrer Nacht todtgeschossen worden war. Ich hatte mir also die höchste Aufmerksam¬ keit und Kaltblütigkeit vorgenommen. Allein als ich zur Patrouille comman- dirt wurde und der erste Posten mich anrief, zugleich fertig machte und den Kahn knacken ließ, konnte ich bloß: „Patrouille" antworten, und statt des Feldgeschreis rief ich in der Angst: „Herr Jesus! ich bin ja der Junker, schieß nicht". Der Mann lachte, sagte „Patrouille vorbei." und die Gefahr war vorüber. Bei den übrigen Posten war ich ruhiger und machte meine Sache bes¬ ser. Später im Jahr 1812 wurde von unserer Compagnie ein Gefreiter, der noch dazu verheirathet war und dessen Frau ihn als Marketenderin begleitet hatte, auf dieselbe Weise wie jener arme Junker erschossen. Außer den un¬ geheuren Strapazen hatte ich noch mit einem körperlichen Leiden zu kämpfen, von welchem in Folge des schlechten Wassers der größte Theil unserer Mann-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/61>, abgerufen am 23.07.2024.