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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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angedeutet, daß man sich bei Ankunft des Feindes, wo zum Abbrechen nicht
mehr Zeit sein würde, auf das Abbrennen gefaßt machen müsse, was denn
auch später in der Nacht vom 10. zum 11. März 1807 geschah.

Von den Franzosen war in den beiden ersten Monaten des Jahres 1807
nichts zu merken, dagegen sprach man von dem Aufstande der Polen, und
bald hieß es, daß wir bestimmt seien, gegen diese Insurgenten verwendet zu
werden. Das neue Jahr hatte erst einige Tage begonnen, als wir unter
dem Befehl des Obersten von Schäfer mit dem 2. Bataillon des Regiments
Königin Dragoner nach Mewe, pr. Stargard, Neuenburg gegen Schwetz als
fliegendes Corps marschirten. Diese Märsche waren gräßlich, das Wetter
kalt und naß, der Boden schmutzig, oft fast grundlos, am Tage ein paar
Stunden Ruhe, des Nachts Marschiren bei Regen und Schneegestöber bald
hierhin, bald dorthin, je nachdem Nachrichten über den Aufenthalt der
Insurgenten eingegangen waren. Bisweilen wurden wir des Nachts, wenn
wir gar zu erschöpft waren, auf einige Stunden in den Dörfern einquartiert.
Bei einer dieser seltenen Gelegenheiten kam ich mit einigen Mann, wobei mein
Bursche, der immer für mich sorgte (mein alter Rißmann), zu einem polnischen
Bauer ins Quartier, den wir aus dem Bette gejagt hatten. Ich war todt,
müde und konnte kaum stehen, sodaß mein Diener mich rasch auszog und in
das noch warme Bett des Bauern legte, in dem ich sofort einschlief. Nach¬
dem ich einige Stunden geschlafen, wurde ich geweckt, weil wir in kurzer Zeit
den Marsch fortsetzen sollten. Es sing an hell zu werden und als ich mich
angekleidet, machte ich die Entdeckung, daß ich über und über voll Ungeziefer
war. Ich erstarrte damals fast darüber; später aber habe ich mich daran
gewöhnen müssen, und da es Andern auch so ging, überzeugte ich mich, daß
man auch so leben und sogar seine gute Laune behalten könne.

Nachdem wir mehrere Tage so hin und her marschirt waren und uns
vergebens bemüht hatten die Aufständischen zu treffen, ertappten wir sie endlich am
27. Januar in Dirschau. Sie hatten des Morgens den Lieutenant von B.
mit 50 Füsilieren und den Lieutenant von S. mit co Blücherschen Husaren
gefangen genommen und nach Dirschau geführt, nachdem diese beiden Offiziere am
26. Januar in der Nacht 150 Insurgenten in pr. Stargard überfallen, eine Menge
niedergemacht und ihnen 2 kleine Kanonen und 30 Gefangene abgenommen hat"
ten. Die gelungene Rache gegen diese beiden Offiziere hatte sie siegestrunken
gemacht und sie verleitet in zu großer Sicherheit alle Vorsichtsmaßregeln bei
Besetzung der Stadt außer Acht zu lassen, so daß es dem Oberst von Schäfer
gelang unter dem Schutze des hohen Weichseldammes bis dicht an die Stadt
zu kommen, worauf die Dragoner in die Stadt sprengten. Die Polen waren
vollständig überfallen. Alles, was sich widersetzte, wurde niedergehauen, wir
marschirten dicht vor der Stadt auf einer kleinen Anhöhe in Linie auf, und


7*

angedeutet, daß man sich bei Ankunft des Feindes, wo zum Abbrechen nicht
mehr Zeit sein würde, auf das Abbrennen gefaßt machen müsse, was denn
auch später in der Nacht vom 10. zum 11. März 1807 geschah.

Von den Franzosen war in den beiden ersten Monaten des Jahres 1807
nichts zu merken, dagegen sprach man von dem Aufstande der Polen, und
bald hieß es, daß wir bestimmt seien, gegen diese Insurgenten verwendet zu
werden. Das neue Jahr hatte erst einige Tage begonnen, als wir unter
dem Befehl des Obersten von Schäfer mit dem 2. Bataillon des Regiments
Königin Dragoner nach Mewe, pr. Stargard, Neuenburg gegen Schwetz als
fliegendes Corps marschirten. Diese Märsche waren gräßlich, das Wetter
kalt und naß, der Boden schmutzig, oft fast grundlos, am Tage ein paar
Stunden Ruhe, des Nachts Marschiren bei Regen und Schneegestöber bald
hierhin, bald dorthin, je nachdem Nachrichten über den Aufenthalt der
Insurgenten eingegangen waren. Bisweilen wurden wir des Nachts, wenn
wir gar zu erschöpft waren, auf einige Stunden in den Dörfern einquartiert.
Bei einer dieser seltenen Gelegenheiten kam ich mit einigen Mann, wobei mein
Bursche, der immer für mich sorgte (mein alter Rißmann), zu einem polnischen
Bauer ins Quartier, den wir aus dem Bette gejagt hatten. Ich war todt,
müde und konnte kaum stehen, sodaß mein Diener mich rasch auszog und in
das noch warme Bett des Bauern legte, in dem ich sofort einschlief. Nach¬
dem ich einige Stunden geschlafen, wurde ich geweckt, weil wir in kurzer Zeit
den Marsch fortsetzen sollten. Es sing an hell zu werden und als ich mich
angekleidet, machte ich die Entdeckung, daß ich über und über voll Ungeziefer
war. Ich erstarrte damals fast darüber; später aber habe ich mich daran
gewöhnen müssen, und da es Andern auch so ging, überzeugte ich mich, daß
man auch so leben und sogar seine gute Laune behalten könne.

Nachdem wir mehrere Tage so hin und her marschirt waren und uns
vergebens bemüht hatten die Aufständischen zu treffen, ertappten wir sie endlich am
27. Januar in Dirschau. Sie hatten des Morgens den Lieutenant von B.
mit 50 Füsilieren und den Lieutenant von S. mit co Blücherschen Husaren
gefangen genommen und nach Dirschau geführt, nachdem diese beiden Offiziere am
26. Januar in der Nacht 150 Insurgenten in pr. Stargard überfallen, eine Menge
niedergemacht und ihnen 2 kleine Kanonen und 30 Gefangene abgenommen hat«
ten. Die gelungene Rache gegen diese beiden Offiziere hatte sie siegestrunken
gemacht und sie verleitet in zu großer Sicherheit alle Vorsichtsmaßregeln bei
Besetzung der Stadt außer Acht zu lassen, so daß es dem Oberst von Schäfer
gelang unter dem Schutze des hohen Weichseldammes bis dicht an die Stadt
zu kommen, worauf die Dragoner in die Stadt sprengten. Die Polen waren
vollständig überfallen. Alles, was sich widersetzte, wurde niedergehauen, wir
marschirten dicht vor der Stadt auf einer kleinen Anhöhe in Linie auf, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/59>, abgerufen am 26.06.2024.