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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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wohlgepudert zu erscheinen, und so konnte es nicht fehlen, daß man von
allen Seiten gesehen wurde. Allerdings verwendete ich die größte Aufmerk¬
samkeit darauf, meinem hohen Vorgesetzten niemals meine Kehrseite zu präsen-
tiren, und wenn ich bei ihm vorbeigehn mußte, gab mir stets der Gedanke:
jetzt wird er es sehen, die zweckmäßige Haltung. Allein Niemand entkommt
seinem Schicksal. Eines schönen Tages mußte ich dicht bei dem Obersten vor¬
bei, und jetzt traf die längst gehegte Befürchtung ein. Ich war kaum vor¬
über, als ich ihn: "Junker!" rufen hörte. Ich machte sogleich Front, trat
den Stock fest anziehend an ihn heran und erwartete seine Befehle. "Wo
hat Er seinen Zopf?" (wenn er böse war nannte er uns immer Er.) "Herr
Oberst", sagte ich demüthig, "auf der Retirade hatte ich keinen Burschen, der
ihn mir machen konnte, da habe ich ihn abgeschnitten." "Lasse er die Wind¬
beuteleien, bis er Offizier ist (das galt den jüngern Offizieren) und morgen
hat er einen Zopf und sollt er ihn sich mit Vogelleim ankleben. Es ist gut."
Somit war ich entlassen, ich machte nach allen Regeln Kehrt und dankte Gott,
so mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein, denn ich war nur am
Geldbeutel gestraft, freilich bei meinen Verhältnissen eine empfindliche Strafe,
aber doch viel besser als Fuchtel. Nachmittags begab ich mich zu einem Fri¬
seur, deren ich mehrere aufsuchen mußte, weil sie alle zu theuer waren; es
wurde 1 Thlr. und mehr gefordert. Nach vieler Mühe gelang es mir einen
zu finden, der zwar zu meinem ganz dunkeln Haar nicht recht genau paßte
und den ich nur des billigen Preises von 10 Sgr. wegen nahm, der aber
doch zur Noth zu brauchen war, da wir, wie bemerkt, gepudert gingen. Der
Zopf wurde hinten an den Tschacko genäht, tüchtig eingepudert, und nun war
mein Anzug wieder ganz dienstmäßig. Außer Dienst steckte ich den Zopf in
den Tschacko, und dann war ich wieder modern. Eines Morgens aber, als
ich aus der Stadt kam, mußte ich vor dem Quartier des Obersten vorbei, der
parterre wohnte. Er lag im Fenster und rauchte gemüthlich seine Pfeife.
Ich zog den Stock an, sah ihn an und schritt vorbei, da rief er mir nach:
"Junker!" Ich machte Front, ging auf ihn zu, und blieb auf 2 Schritte stehen.
"Wo ist der Zopf?" fuhr er mich an. Ganz verwundert greife ich nach
hinten, und nichts findend nehme ich den Tschacko ab und zeige ihm den an¬
genähten Zopf. "Es ist Sein Glück!" sagte er, und damit hatte die Zopf¬
geschichte für immer ein Ende.

So blieben wir ruhig in unserer Vorstadt bis zum 24. Dec. stehen, wo
auf Befehl des Gouvernements plötzlich mit dem Abbrechen der Vorstädte bis
auf 800 Schritt von der Contreescarpe begonnen wurde und wir in die
Stadt umquartiert wurden. Der Jammer der armen Leute über das Nieder¬
reißen ihrer Häuser war herzzerreißend, auch wurde für jetzt dieses Dcmoliren
nur auf 400 Schritt vom Thore ab executire, den übrigen Hausbesitzern aber


wohlgepudert zu erscheinen, und so konnte es nicht fehlen, daß man von
allen Seiten gesehen wurde. Allerdings verwendete ich die größte Aufmerk¬
samkeit darauf, meinem hohen Vorgesetzten niemals meine Kehrseite zu präsen-
tiren, und wenn ich bei ihm vorbeigehn mußte, gab mir stets der Gedanke:
jetzt wird er es sehen, die zweckmäßige Haltung. Allein Niemand entkommt
seinem Schicksal. Eines schönen Tages mußte ich dicht bei dem Obersten vor¬
bei, und jetzt traf die längst gehegte Befürchtung ein. Ich war kaum vor¬
über, als ich ihn: „Junker!" rufen hörte. Ich machte sogleich Front, trat
den Stock fest anziehend an ihn heran und erwartete seine Befehle. „Wo
hat Er seinen Zopf?" (wenn er böse war nannte er uns immer Er.) „Herr
Oberst", sagte ich demüthig, „auf der Retirade hatte ich keinen Burschen, der
ihn mir machen konnte, da habe ich ihn abgeschnitten." „Lasse er die Wind¬
beuteleien, bis er Offizier ist (das galt den jüngern Offizieren) und morgen
hat er einen Zopf und sollt er ihn sich mit Vogelleim ankleben. Es ist gut."
Somit war ich entlassen, ich machte nach allen Regeln Kehrt und dankte Gott,
so mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein, denn ich war nur am
Geldbeutel gestraft, freilich bei meinen Verhältnissen eine empfindliche Strafe,
aber doch viel besser als Fuchtel. Nachmittags begab ich mich zu einem Fri¬
seur, deren ich mehrere aufsuchen mußte, weil sie alle zu theuer waren; es
wurde 1 Thlr. und mehr gefordert. Nach vieler Mühe gelang es mir einen
zu finden, der zwar zu meinem ganz dunkeln Haar nicht recht genau paßte
und den ich nur des billigen Preises von 10 Sgr. wegen nahm, der aber
doch zur Noth zu brauchen war, da wir, wie bemerkt, gepudert gingen. Der
Zopf wurde hinten an den Tschacko genäht, tüchtig eingepudert, und nun war
mein Anzug wieder ganz dienstmäßig. Außer Dienst steckte ich den Zopf in
den Tschacko, und dann war ich wieder modern. Eines Morgens aber, als
ich aus der Stadt kam, mußte ich vor dem Quartier des Obersten vorbei, der
parterre wohnte. Er lag im Fenster und rauchte gemüthlich seine Pfeife.
Ich zog den Stock an, sah ihn an und schritt vorbei, da rief er mir nach:
„Junker!" Ich machte Front, ging auf ihn zu, und blieb auf 2 Schritte stehen.
„Wo ist der Zopf?" fuhr er mich an. Ganz verwundert greife ich nach
hinten, und nichts findend nehme ich den Tschacko ab und zeige ihm den an¬
genähten Zopf. „Es ist Sein Glück!" sagte er, und damit hatte die Zopf¬
geschichte für immer ein Ende.

So blieben wir ruhig in unserer Vorstadt bis zum 24. Dec. stehen, wo
auf Befehl des Gouvernements plötzlich mit dem Abbrechen der Vorstädte bis
auf 800 Schritt von der Contreescarpe begonnen wurde und wir in die
Stadt umquartiert wurden. Der Jammer der armen Leute über das Nieder¬
reißen ihrer Häuser war herzzerreißend, auch wurde für jetzt dieses Dcmoliren
nur auf 400 Schritt vom Thore ab executire, den übrigen Hausbesitzern aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/58>, abgerufen am 28.12.2024.