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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Märt erscheint) nicht nur Syrien, sondern'? auch das PaschÄlit von Adana
abtrat.

Indessen säumte im Vertrauen auf den offenkundiger Gegensatz der eng¬
lischen und französischen WM Rußland nicht, die Gunst der Lage zu seinem
Vortheile zu benutzen. Am 6. Mai, also nachdem die Händel bereits beige¬
legt waren, erschien Mit dem Pompe, wie ihn Rußland bei wichtigen Gelegen¬
heiten in Constantinopel zu entfalten liebt. Graf Orloff als außerordentlicher
Gesandter bei der hohen Pforte und Generalissimus der russischen Streitkräfte
im ottomanischen Reiche, gewissermaßen um die innige Freundschaft zwischen
Rußland und dem Sultan in möglichst auffälliger Weise zu constatiren und
Schutz für die Zukunft zu versprechen. Diese prunkende Schaustellung der
russischen Protection brachte die gescunmte Diplomatie in Constantinopel in
Aufregung. Alle Differenzen waren vergessen; man fordert von der Pforte
eine Erklärung, auf die man die Antwort erhält, die Ankunft i>es Grafen Or¬
loff sei nur ein ausdrückliches (exxlielw) Zeichen des guten Einvernehmens,
welches zwischen dem Sultan und dem Kaiser von Rußland herrsche. Das
gute Einvernehmen .führte zu dem vielberufenen Tractate von Unkiar Stelessi
(8. Juli), in welchem Rußland für die Zukunft der Pforte jeden militärischen
Schutz zu Wasser und zu Land versprach, den dieselbe fordern würde. In
einem geheicken Artikel verzichtete Nußland aus jede Hilfe, die es gemäß dem
Princip der Gegenseitigkeit von der Pforte verlangen konnte, und begnügte sich
mit dem Versprechen, daß die türkische Regierung die Dardanellen 'schließen,
d. h. keinem fremden Kriegsschiffe unter irgend welchem Vorwande den Ein¬
tritt in dieselben gestatten würde. Vor diesem glänzenden Erfolge Rußlands
traten die bisherigen Eifersüchteleien der Mächte sofort zurück. Admiral Nvus-
W mußte in seinem Eifer sogar von dem englischen Gesandten Lord Ponsvnbv.
einem glühenden Nussenfeinde. aber sehr gewiegten Diplomaten, gezügelt wer¬
den; denn Ponsonby wollte Englands Ansehen nicht durch einen übereilten
und erfolglosen Schritt compromittiren. Die Leidenschaft beruhigte sich auch
bald; man ließ den Vertrag vorläufig, als eine vollendete Thatsache bestehen,
mit dem Vorbehalte, im geeigneten Augenblicke sich den Consequenzen desselben
zu widersetzen. Besonders war Metternich bemüht, einer kühlern Auffassung
Eingang zu verschaffen. Er tadelte die von Seiten Englands und Frankreichs
in Se. Petersburg eingereichten Proteste, die von Seiten Nesselrode's mit der
Erklärung beantwortet waren, daß der Kaiser fest entschlossen sei, vorkommen¬
den Falls alle Verpflichtungen, die der Vertrag vom 8. Juli ihm auferlege,
zu erfüllen, und daß er jeden Protest dagegen als nicht geschehen betrachten
werde. Metternich. eben so ängstlich darauf bedacht, jeden Conflict mit dem
Kaiser Nikolaus zu vermeiden, wie vor den Plänen desselben besorgt, dabei


Märt erscheint) nicht nur Syrien, sondern'? auch das PaschÄlit von Adana
abtrat.

Indessen säumte im Vertrauen auf den offenkundiger Gegensatz der eng¬
lischen und französischen WM Rußland nicht, die Gunst der Lage zu seinem
Vortheile zu benutzen. Am 6. Mai, also nachdem die Händel bereits beige¬
legt waren, erschien Mit dem Pompe, wie ihn Rußland bei wichtigen Gelegen¬
heiten in Constantinopel zu entfalten liebt. Graf Orloff als außerordentlicher
Gesandter bei der hohen Pforte und Generalissimus der russischen Streitkräfte
im ottomanischen Reiche, gewissermaßen um die innige Freundschaft zwischen
Rußland und dem Sultan in möglichst auffälliger Weise zu constatiren und
Schutz für die Zukunft zu versprechen. Diese prunkende Schaustellung der
russischen Protection brachte die gescunmte Diplomatie in Constantinopel in
Aufregung. Alle Differenzen waren vergessen; man fordert von der Pforte
eine Erklärung, auf die man die Antwort erhält, die Ankunft i>es Grafen Or¬
loff sei nur ein ausdrückliches (exxlielw) Zeichen des guten Einvernehmens,
welches zwischen dem Sultan und dem Kaiser von Rußland herrsche. Das
gute Einvernehmen .führte zu dem vielberufenen Tractate von Unkiar Stelessi
(8. Juli), in welchem Rußland für die Zukunft der Pforte jeden militärischen
Schutz zu Wasser und zu Land versprach, den dieselbe fordern würde. In
einem geheicken Artikel verzichtete Nußland aus jede Hilfe, die es gemäß dem
Princip der Gegenseitigkeit von der Pforte verlangen konnte, und begnügte sich
mit dem Versprechen, daß die türkische Regierung die Dardanellen 'schließen,
d. h. keinem fremden Kriegsschiffe unter irgend welchem Vorwande den Ein¬
tritt in dieselben gestatten würde. Vor diesem glänzenden Erfolge Rußlands
traten die bisherigen Eifersüchteleien der Mächte sofort zurück. Admiral Nvus-
W mußte in seinem Eifer sogar von dem englischen Gesandten Lord Ponsvnbv.
einem glühenden Nussenfeinde. aber sehr gewiegten Diplomaten, gezügelt wer¬
den; denn Ponsonby wollte Englands Ansehen nicht durch einen übereilten
und erfolglosen Schritt compromittiren. Die Leidenschaft beruhigte sich auch
bald; man ließ den Vertrag vorläufig, als eine vollendete Thatsache bestehen,
mit dem Vorbehalte, im geeigneten Augenblicke sich den Consequenzen desselben
zu widersetzen. Besonders war Metternich bemüht, einer kühlern Auffassung
Eingang zu verschaffen. Er tadelte die von Seiten Englands und Frankreichs
in Se. Petersburg eingereichten Proteste, die von Seiten Nesselrode's mit der
Erklärung beantwortet waren, daß der Kaiser fest entschlossen sei, vorkommen¬
den Falls alle Verpflichtungen, die der Vertrag vom 8. Juli ihm auferlege,
zu erfüllen, und daß er jeden Protest dagegen als nicht geschehen betrachten
werde. Metternich. eben so ängstlich darauf bedacht, jeden Conflict mit dem
Kaiser Nikolaus zu vermeiden, wie vor den Plänen desselben besorgt, dabei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/527>, abgerufen am 23.07.2024.