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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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"Morgen wird Borka mit dem Weibsbild eintreffen, das er sich zur Frau
genommen hat. Daß sich Niemand untersteht, vor ihnen den Hut abzuziehen.
Jeder, der ihnen begegnet, hat sie wie ein Hund anzubellen. Sie mögen bis
an das Schloß herankommen, aber die Pferde werden nicht ausgeschirrt, so
daß sie, sobald ich ihnen eine Lection gegeben habe, sich sofort wieder weg¬
trollen können."

Diese Befehle des Fürsten wurden buchstäblich ausgeführt, und Prinz
Boris hatte mit seiner jungen Frau allerlei grobe Demüthigungen zu erdulden.
Jener kam mit gesenktem Kopf an, diese mit Thränen in den Augen. Ihre
freundlichen Worte und ihr leutseliges Benehmen machte auf den verthierten
Bauernpöbel Zaboria's nicht den leisesten Eindruck. Bevor sie in das Dorf
eingefahren, waren sie auf einen Haufen von etwa anderthalbhundert Buben
gestoßen, die ihnen absichtlich entgegengeschickt worden waren und sie mit
ausgestreckter Zunge und höhnischem Geheul empfingen. Am Thore des
Schlosses stand Fürst Alexis Juriwitsch, eine Peitsche in der Hand. Seine
Augen brannten wie die eines Wolfes, vor Wuth zuckte sein Gesicht und sein
ganzer Körper.

Die Bedienten schlichen sich bei Seite. Sie erwarteten ein Gewitter,
wie sie es bei ihrem Herrn noch nicht erlebt. Als Vorsichtsmaßregel hatten
sie durch eine Hinterthür -- wer wußte, was passirte und wer die letzte Beichte
nöthig haben konnte! -- einen Priester besorgt.

Das junge Paar stieg aus der Kutsche. Fürst Alexis stürzte ihnen mit
geschwungener Peitsche entgegen. Da blieb er beim Anblick der außerordent-
lich schönen jungen Frau plötzlich wie gelähmt stehen. Die Peitsche sank ihm
ans'der Hand. Sein Gesicht strahlte von Entzücken. Prinz Boris fiel seinein
Papa zu Füßen. Die Prinzessin war im Begriff, desgleichen zu thun, aber
ihr Schwiegervater hielt sie davon ab, umarmte und küßte sie, machte ihr die
schönsten Komplimente. verzieh dem bisher so schwer verdammten Borka auf
der Stelle und ordnete sogleich ein großes Fest zu Ehren der "Kinderchen" an.

Jetzt ging's lustig zu in Zaboria, aber es war eine andere Lustigkeit als
die bisher" allein gekannte. Es gab Bankette, aber keine Bären und Hans¬
wurste mehr, keinen Spectakel und keine Völlerei. Wenn einer der Herren
aus der Nachbarschaft nur ein Wort von den nächtlichen Zechgelagen im
Gnrtensalon fallen ließ, warf ihm der alte Fürst sofort einen Blick zu, der
ihn augenblicklich verstummen ließ. Diese Zähmung des Wolfs von Zaboria
ging sehr rasch, in wenigen Wochen vor sich, und sie war das Werk der
jungen Prinzessin Warwara Michailowna. Ihr einziges Zaubermittel war
ihr sanftes schönes Auge und ihre holde Stimme; ihre einzige Zauberformel
zur Beschwörung von Tollheiten lautete: "Aber. Vater, das ist doch nicht
recht!"


54*

„Morgen wird Borka mit dem Weibsbild eintreffen, das er sich zur Frau
genommen hat. Daß sich Niemand untersteht, vor ihnen den Hut abzuziehen.
Jeder, der ihnen begegnet, hat sie wie ein Hund anzubellen. Sie mögen bis
an das Schloß herankommen, aber die Pferde werden nicht ausgeschirrt, so
daß sie, sobald ich ihnen eine Lection gegeben habe, sich sofort wieder weg¬
trollen können."

Diese Befehle des Fürsten wurden buchstäblich ausgeführt, und Prinz
Boris hatte mit seiner jungen Frau allerlei grobe Demüthigungen zu erdulden.
Jener kam mit gesenktem Kopf an, diese mit Thränen in den Augen. Ihre
freundlichen Worte und ihr leutseliges Benehmen machte auf den verthierten
Bauernpöbel Zaboria's nicht den leisesten Eindruck. Bevor sie in das Dorf
eingefahren, waren sie auf einen Haufen von etwa anderthalbhundert Buben
gestoßen, die ihnen absichtlich entgegengeschickt worden waren und sie mit
ausgestreckter Zunge und höhnischem Geheul empfingen. Am Thore des
Schlosses stand Fürst Alexis Juriwitsch, eine Peitsche in der Hand. Seine
Augen brannten wie die eines Wolfes, vor Wuth zuckte sein Gesicht und sein
ganzer Körper.

Die Bedienten schlichen sich bei Seite. Sie erwarteten ein Gewitter,
wie sie es bei ihrem Herrn noch nicht erlebt. Als Vorsichtsmaßregel hatten
sie durch eine Hinterthür — wer wußte, was passirte und wer die letzte Beichte
nöthig haben konnte! — einen Priester besorgt.

Das junge Paar stieg aus der Kutsche. Fürst Alexis stürzte ihnen mit
geschwungener Peitsche entgegen. Da blieb er beim Anblick der außerordent-
lich schönen jungen Frau plötzlich wie gelähmt stehen. Die Peitsche sank ihm
ans'der Hand. Sein Gesicht strahlte von Entzücken. Prinz Boris fiel seinein
Papa zu Füßen. Die Prinzessin war im Begriff, desgleichen zu thun, aber
ihr Schwiegervater hielt sie davon ab, umarmte und küßte sie, machte ihr die
schönsten Komplimente. verzieh dem bisher so schwer verdammten Borka auf
der Stelle und ordnete sogleich ein großes Fest zu Ehren der „Kinderchen" an.

Jetzt ging's lustig zu in Zaboria, aber es war eine andere Lustigkeit als
die bisher» allein gekannte. Es gab Bankette, aber keine Bären und Hans¬
wurste mehr, keinen Spectakel und keine Völlerei. Wenn einer der Herren
aus der Nachbarschaft nur ein Wort von den nächtlichen Zechgelagen im
Gnrtensalon fallen ließ, warf ihm der alte Fürst sofort einen Blick zu, der
ihn augenblicklich verstummen ließ. Diese Zähmung des Wolfs von Zaboria
ging sehr rasch, in wenigen Wochen vor sich, und sie war das Werk der
jungen Prinzessin Warwara Michailowna. Ihr einziges Zaubermittel war
ihr sanftes schönes Auge und ihre holde Stimme; ihre einzige Zauberformel
zur Beschwörung von Tollheiten lautete: „Aber. Vater, das ist doch nicht
recht!"


54*
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[0435] „Morgen wird Borka mit dem Weibsbild eintreffen, das er sich zur Frau genommen hat. Daß sich Niemand untersteht, vor ihnen den Hut abzuziehen. Jeder, der ihnen begegnet, hat sie wie ein Hund anzubellen. Sie mögen bis an das Schloß herankommen, aber die Pferde werden nicht ausgeschirrt, so daß sie, sobald ich ihnen eine Lection gegeben habe, sich sofort wieder weg¬ trollen können." Diese Befehle des Fürsten wurden buchstäblich ausgeführt, und Prinz Boris hatte mit seiner jungen Frau allerlei grobe Demüthigungen zu erdulden. Jener kam mit gesenktem Kopf an, diese mit Thränen in den Augen. Ihre freundlichen Worte und ihr leutseliges Benehmen machte auf den verthierten Bauernpöbel Zaboria's nicht den leisesten Eindruck. Bevor sie in das Dorf eingefahren, waren sie auf einen Haufen von etwa anderthalbhundert Buben gestoßen, die ihnen absichtlich entgegengeschickt worden waren und sie mit ausgestreckter Zunge und höhnischem Geheul empfingen. Am Thore des Schlosses stand Fürst Alexis Juriwitsch, eine Peitsche in der Hand. Seine Augen brannten wie die eines Wolfes, vor Wuth zuckte sein Gesicht und sein ganzer Körper. Die Bedienten schlichen sich bei Seite. Sie erwarteten ein Gewitter, wie sie es bei ihrem Herrn noch nicht erlebt. Als Vorsichtsmaßregel hatten sie durch eine Hinterthür — wer wußte, was passirte und wer die letzte Beichte nöthig haben konnte! — einen Priester besorgt. Das junge Paar stieg aus der Kutsche. Fürst Alexis stürzte ihnen mit geschwungener Peitsche entgegen. Da blieb er beim Anblick der außerordent- lich schönen jungen Frau plötzlich wie gelähmt stehen. Die Peitsche sank ihm ans'der Hand. Sein Gesicht strahlte von Entzücken. Prinz Boris fiel seinein Papa zu Füßen. Die Prinzessin war im Begriff, desgleichen zu thun, aber ihr Schwiegervater hielt sie davon ab, umarmte und küßte sie, machte ihr die schönsten Komplimente. verzieh dem bisher so schwer verdammten Borka auf der Stelle und ordnete sogleich ein großes Fest zu Ehren der „Kinderchen" an. Jetzt ging's lustig zu in Zaboria, aber es war eine andere Lustigkeit als die bisher» allein gekannte. Es gab Bankette, aber keine Bären und Hans¬ wurste mehr, keinen Spectakel und keine Völlerei. Wenn einer der Herren aus der Nachbarschaft nur ein Wort von den nächtlichen Zechgelagen im Gnrtensalon fallen ließ, warf ihm der alte Fürst sofort einen Blick zu, der ihn augenblicklich verstummen ließ. Diese Zähmung des Wolfs von Zaboria ging sehr rasch, in wenigen Wochen vor sich, und sie war das Werk der jungen Prinzessin Warwara Michailowna. Ihr einziges Zaubermittel war ihr sanftes schönes Auge und ihre holde Stimme; ihre einzige Zauberformel zur Beschwörung von Tollheiten lautete: „Aber. Vater, das ist doch nicht recht!" 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/435>, abgerufen am 28.12.2024.