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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Kein Beispiel, wo Alexis diesen Worten nicht sogleich gehorcht hätte.
Nicht nur daß alles Prügeln aufhörte, crins die Ruthen und Peitschen wurden
verbrannt. Diejenigen von dem Schmarotzcrvolk im Schlosse, die sich den
Wodka nicht abgewöhnen konnten. wurden in einem entfernten Dorfe unter¬
gebracht, und Anstand und Ordnung begann in Zaboria zu regieren. Selbst
bei den Jagden ging es nicht mehr so wild wie früher zu. Wenigstens gab
Alexis Juriwitsch seine alte häßliche Gewohnheit, sich am Schluß solcher Ver¬
gnügungen rittlings über ein Branntweinfaß zu setzen und den Schnaps mit
einer Kelle herauszulöffeln auf und begnügte sich, wie andere Christenmenschen
das Getränk aus Gläsern zu sich zu nehmen. Auch ließ er Niemand über
Gebühr trinken; "denn", sagte er. "meine Tochter könnte es hören und darüber
verdrießlich werden."

Mit Borka söhnte er sich allmälig ganz aus. überließ ihm vollständig
die Verwaltung des Gutes und der Nebenbcsitzungln und äußerte wiederholt,
daß er im nächsten Jahre, wo er einen kleinen Enkel zu sehen hoffe, sich ins
Kloster zurückziehen, dort sür seine Kindes beten und sich auf das ewige Leben
vorbereiten wolle.

Die Prinzessin Warwara Michailowna hatte nach Verlauf eines Jahres
wirklich einen kleinen Sohn, und die Freude des alten Herrn kannte keine
Grenzen. Neun volle Tage hindurch hielt er Wache vor ihrem Zimmer, da,
mit Niemand sie störe. Später trug er seinen Enkel im Hause umher und
sang ihm Wiegenlieder vor. Bei der Taufe gab er jedem Bedienten einen
blanken Silberrubel und schenkte zweihundert seiner Bauern die Freiheit. Der
junge Stammhalter lebte leider nur sechs Wochen. Als er starb, legte sich
Alexis Juriwitsch ins Bett, aß zwei Tage lang keinen Bissen und sprach kaum
ein Wort. Die Mutter hatte in Mitten ihres Schmerzes um ihr Kind den
Großvater zu trösten, der indeß lange Zeit untröstlich blieb.

Einige Zeit nachher traf die Nachricht ein. daß der Preußenkönig sich in
Bewegung setze und daß es wahrscheinlich einen Krieg geben werde. Da Prinz
Boris Offizier im kaiserlichen Heer war, so bereitete er sich zur Abreise vor.
Seine Gemahlin wollte ihn begleiten, allein Fürst Alexis bat sie mit thränenden
Augen zu bleiben. Boris vereinigte seine Bitten mit denen seines Vaters,
indem er Warwara vorstellte, daß sie unmöglich der Armee folgen könne, und
so willigte sie endlich ein. in Zaboria zurückzubleiben.
'

Der Abschiedwar sehr, feierlich. Nachdem in der Kirche der Gottesdienst
für Personen, die sich auf eine Reise begeben, abgehalten worden, gab Fürst
Alexis seinem Sohn vor allem Volk seinen Segen und ein Heiligenbild als
Amulet. umarmte ihn und hielt ihm eine Rede, in der er ermahnt wurde,
tapfer zu fechten und sich nicht zu schonen, sondern sein Leben, wenn es noth¬
wendig, rücksichtslos für seine Mutter, die Kaiserin, hinzugeben. Was feine


Kein Beispiel, wo Alexis diesen Worten nicht sogleich gehorcht hätte.
Nicht nur daß alles Prügeln aufhörte, crins die Ruthen und Peitschen wurden
verbrannt. Diejenigen von dem Schmarotzcrvolk im Schlosse, die sich den
Wodka nicht abgewöhnen konnten. wurden in einem entfernten Dorfe unter¬
gebracht, und Anstand und Ordnung begann in Zaboria zu regieren. Selbst
bei den Jagden ging es nicht mehr so wild wie früher zu. Wenigstens gab
Alexis Juriwitsch seine alte häßliche Gewohnheit, sich am Schluß solcher Ver¬
gnügungen rittlings über ein Branntweinfaß zu setzen und den Schnaps mit
einer Kelle herauszulöffeln auf und begnügte sich, wie andere Christenmenschen
das Getränk aus Gläsern zu sich zu nehmen. Auch ließ er Niemand über
Gebühr trinken; „denn", sagte er. „meine Tochter könnte es hören und darüber
verdrießlich werden."

Mit Borka söhnte er sich allmälig ganz aus. überließ ihm vollständig
die Verwaltung des Gutes und der Nebenbcsitzungln und äußerte wiederholt,
daß er im nächsten Jahre, wo er einen kleinen Enkel zu sehen hoffe, sich ins
Kloster zurückziehen, dort sür seine Kindes beten und sich auf das ewige Leben
vorbereiten wolle.

Die Prinzessin Warwara Michailowna hatte nach Verlauf eines Jahres
wirklich einen kleinen Sohn, und die Freude des alten Herrn kannte keine
Grenzen. Neun volle Tage hindurch hielt er Wache vor ihrem Zimmer, da,
mit Niemand sie störe. Später trug er seinen Enkel im Hause umher und
sang ihm Wiegenlieder vor. Bei der Taufe gab er jedem Bedienten einen
blanken Silberrubel und schenkte zweihundert seiner Bauern die Freiheit. Der
junge Stammhalter lebte leider nur sechs Wochen. Als er starb, legte sich
Alexis Juriwitsch ins Bett, aß zwei Tage lang keinen Bissen und sprach kaum
ein Wort. Die Mutter hatte in Mitten ihres Schmerzes um ihr Kind den
Großvater zu trösten, der indeß lange Zeit untröstlich blieb.

Einige Zeit nachher traf die Nachricht ein. daß der Preußenkönig sich in
Bewegung setze und daß es wahrscheinlich einen Krieg geben werde. Da Prinz
Boris Offizier im kaiserlichen Heer war, so bereitete er sich zur Abreise vor.
Seine Gemahlin wollte ihn begleiten, allein Fürst Alexis bat sie mit thränenden
Augen zu bleiben. Boris vereinigte seine Bitten mit denen seines Vaters,
indem er Warwara vorstellte, daß sie unmöglich der Armee folgen könne, und
so willigte sie endlich ein. in Zaboria zurückzubleiben.
'

Der Abschiedwar sehr, feierlich. Nachdem in der Kirche der Gottesdienst
für Personen, die sich auf eine Reise begeben, abgehalten worden, gab Fürst
Alexis seinem Sohn vor allem Volk seinen Segen und ein Heiligenbild als
Amulet. umarmte ihn und hielt ihm eine Rede, in der er ermahnt wurde,
tapfer zu fechten und sich nicht zu schonen, sondern sein Leben, wenn es noth¬
wendig, rücksichtslos für seine Mutter, die Kaiserin, hinzugeben. Was feine


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[0436] Kein Beispiel, wo Alexis diesen Worten nicht sogleich gehorcht hätte. Nicht nur daß alles Prügeln aufhörte, crins die Ruthen und Peitschen wurden verbrannt. Diejenigen von dem Schmarotzcrvolk im Schlosse, die sich den Wodka nicht abgewöhnen konnten. wurden in einem entfernten Dorfe unter¬ gebracht, und Anstand und Ordnung begann in Zaboria zu regieren. Selbst bei den Jagden ging es nicht mehr so wild wie früher zu. Wenigstens gab Alexis Juriwitsch seine alte häßliche Gewohnheit, sich am Schluß solcher Ver¬ gnügungen rittlings über ein Branntweinfaß zu setzen und den Schnaps mit einer Kelle herauszulöffeln auf und begnügte sich, wie andere Christenmenschen das Getränk aus Gläsern zu sich zu nehmen. Auch ließ er Niemand über Gebühr trinken; „denn", sagte er. „meine Tochter könnte es hören und darüber verdrießlich werden." Mit Borka söhnte er sich allmälig ganz aus. überließ ihm vollständig die Verwaltung des Gutes und der Nebenbcsitzungln und äußerte wiederholt, daß er im nächsten Jahre, wo er einen kleinen Enkel zu sehen hoffe, sich ins Kloster zurückziehen, dort sür seine Kindes beten und sich auf das ewige Leben vorbereiten wolle. Die Prinzessin Warwara Michailowna hatte nach Verlauf eines Jahres wirklich einen kleinen Sohn, und die Freude des alten Herrn kannte keine Grenzen. Neun volle Tage hindurch hielt er Wache vor ihrem Zimmer, da, mit Niemand sie störe. Später trug er seinen Enkel im Hause umher und sang ihm Wiegenlieder vor. Bei der Taufe gab er jedem Bedienten einen blanken Silberrubel und schenkte zweihundert seiner Bauern die Freiheit. Der junge Stammhalter lebte leider nur sechs Wochen. Als er starb, legte sich Alexis Juriwitsch ins Bett, aß zwei Tage lang keinen Bissen und sprach kaum ein Wort. Die Mutter hatte in Mitten ihres Schmerzes um ihr Kind den Großvater zu trösten, der indeß lange Zeit untröstlich blieb. Einige Zeit nachher traf die Nachricht ein. daß der Preußenkönig sich in Bewegung setze und daß es wahrscheinlich einen Krieg geben werde. Da Prinz Boris Offizier im kaiserlichen Heer war, so bereitete er sich zur Abreise vor. Seine Gemahlin wollte ihn begleiten, allein Fürst Alexis bat sie mit thränenden Augen zu bleiben. Boris vereinigte seine Bitten mit denen seines Vaters, indem er Warwara vorstellte, daß sie unmöglich der Armee folgen könne, und so willigte sie endlich ein. in Zaboria zurückzubleiben. ' Der Abschiedwar sehr, feierlich. Nachdem in der Kirche der Gottesdienst für Personen, die sich auf eine Reise begeben, abgehalten worden, gab Fürst Alexis seinem Sohn vor allem Volk seinen Segen und ein Heiligenbild als Amulet. umarmte ihn und hielt ihm eine Rede, in der er ermahnt wurde, tapfer zu fechten und sich nicht zu schonen, sondern sein Leben, wenn es noth¬ wendig, rücksichtslos für seine Mutter, die Kaiserin, hinzugeben. Was feine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/436>, abgerufen am 23.07.2024.