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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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"Was! mich vor Borka beugen?" lachte Alexis Juriwitsch. "Behüte
Gott! Nichts damit! Ich werde mich wieder verheirathen und andre Kinder
haben. Borkn und seine Metze mögen zum Bettelsack"greifen; sie sollen nicht
einen Kopeken von mir kriegen. Es gibt ihrer genug, die mich haben möchten,
und güb's keine andre, so Heirath' ich Malaschka, die Gänsemagd."

In diesem Augenblick begann der Priester die "Trisna" zu trinken*),
die Diakonen sprachen das "Wo Blajennom Uspennie" (Gesegnet seien die
Todten) und der Chor sang das "Wetschnoiu Pamiat" (Ewiges Gedächtniß).
Jedermann erhob sich .und betete, ausgenommen Prinz Alexis, der "wie ein
Schwaden" vor den heiligen Bildern niederfiel und so bitterlich schluchzte, daß
Niemand ihn sehen konnte, ohne Thränen zu vergießen. Mit Mühe h^'b man
ihn endlich vom Boden auf, Am nächsten Tage war sein Kummer so groß,
daß er eine ganze Menge Bauern durchhauen ließ und ein halb Dutzend
eigenhändig abprügelte. Wem er nur begegnete, mußte etwas Unrechtes ge¬
than haben. Die kleinen Edelleute, die als Schnurranten und Schmarotzer
bei ihm lebten, verloren die Geduld so sehr, daß sie trotz der guten Verkösti¬
gung in Zaboria wegzuziehen beschlossen. Aber glücklicher Weise verblieb
der Fürst in dieser schrecklichen Laune nur etwa acht Tage. Er ging wieder
auf die Jagd, und kaum hatte er das Glück gehabt, einen Bär zu erlegen,
als sein Kummer und Schmerz wie weggezaubert verschwand. Indeß merkte
man ihm jetzt das Alter an, auch verfiel er gelegentlich in Schwermuth.
Manchmal nach dem Schluß einer Jagd nahm er nach gewohnter Weise
seinen Sitz rittlings auf einem Faß mit Wodka, verhalf sich mit einer Kelle
zu einem Theil des Inhalts und trank die Gesundheit aller Anwesenden.
Dann aber begab sichs nicht selten, daß er plötzlich düster wurde und die
Kelle aus der Hand fallen ließ, und daß statt des schallenden Gelächters der
Minute vorher tiefe Todtenstille eintrat, Nach einigen Minuten finstern Brü-
tens heiterte sich bei solchen Fällen das Gesicht des Fürsten wieder auf und
er sagte dann: "Ich habe euch erschreckt, meine Freunde. Ach ja, meine
Brüder, ich werde bald sterben müssen." Darauf hob er an zu singen, Hun¬
derte von Stimmen sielen ein in das Lied, und es gab ein Tanzen, Jauch¬
zen und Zechen bis zum Einbruch der Nacht.

Trotz der väterlichen Ungnade hatte Borka oder, respectvollcr zu sprechen.
Prinz Boris nicht die Absicht, sich für immer von Zaboria fern zu halten,
und ein Jahr nach dein Tode seiner Mutter theilte er seinem Bater mit, daß
er ihm demnächst einen Besuch abstatten werde. Fürst Alexis las den Brief
und rief den Schloßverwalter, welcher folgende Weisung erhielt:



') Ein Getränk aus Meth, Nun, Wein und Bier, welches bei Lcichcnschmäuscn nach dem
Schlußgebet des Geistlichen von den Anwesenden stehend auf das Wohl der abgeschiedenen
Seele getrunken wird.

„Was! mich vor Borka beugen?" lachte Alexis Juriwitsch. „Behüte
Gott! Nichts damit! Ich werde mich wieder verheirathen und andre Kinder
haben. Borkn und seine Metze mögen zum Bettelsack»greifen; sie sollen nicht
einen Kopeken von mir kriegen. Es gibt ihrer genug, die mich haben möchten,
und güb's keine andre, so Heirath' ich Malaschka, die Gänsemagd."

In diesem Augenblick begann der Priester die „Trisna" zu trinken*),
die Diakonen sprachen das „Wo Blajennom Uspennie" (Gesegnet seien die
Todten) und der Chor sang das „Wetschnoiu Pamiat" (Ewiges Gedächtniß).
Jedermann erhob sich .und betete, ausgenommen Prinz Alexis, der „wie ein
Schwaden" vor den heiligen Bildern niederfiel und so bitterlich schluchzte, daß
Niemand ihn sehen konnte, ohne Thränen zu vergießen. Mit Mühe h^'b man
ihn endlich vom Boden auf, Am nächsten Tage war sein Kummer so groß,
daß er eine ganze Menge Bauern durchhauen ließ und ein halb Dutzend
eigenhändig abprügelte. Wem er nur begegnete, mußte etwas Unrechtes ge¬
than haben. Die kleinen Edelleute, die als Schnurranten und Schmarotzer
bei ihm lebten, verloren die Geduld so sehr, daß sie trotz der guten Verkösti¬
gung in Zaboria wegzuziehen beschlossen. Aber glücklicher Weise verblieb
der Fürst in dieser schrecklichen Laune nur etwa acht Tage. Er ging wieder
auf die Jagd, und kaum hatte er das Glück gehabt, einen Bär zu erlegen,
als sein Kummer und Schmerz wie weggezaubert verschwand. Indeß merkte
man ihm jetzt das Alter an, auch verfiel er gelegentlich in Schwermuth.
Manchmal nach dem Schluß einer Jagd nahm er nach gewohnter Weise
seinen Sitz rittlings auf einem Faß mit Wodka, verhalf sich mit einer Kelle
zu einem Theil des Inhalts und trank die Gesundheit aller Anwesenden.
Dann aber begab sichs nicht selten, daß er plötzlich düster wurde und die
Kelle aus der Hand fallen ließ, und daß statt des schallenden Gelächters der
Minute vorher tiefe Todtenstille eintrat, Nach einigen Minuten finstern Brü-
tens heiterte sich bei solchen Fällen das Gesicht des Fürsten wieder auf und
er sagte dann: „Ich habe euch erschreckt, meine Freunde. Ach ja, meine
Brüder, ich werde bald sterben müssen." Darauf hob er an zu singen, Hun¬
derte von Stimmen sielen ein in das Lied, und es gab ein Tanzen, Jauch¬
zen und Zechen bis zum Einbruch der Nacht.

Trotz der väterlichen Ungnade hatte Borka oder, respectvollcr zu sprechen.
Prinz Boris nicht die Absicht, sich für immer von Zaboria fern zu halten,
und ein Jahr nach dein Tode seiner Mutter theilte er seinem Bater mit, daß
er ihm demnächst einen Besuch abstatten werde. Fürst Alexis las den Brief
und rief den Schloßverwalter, welcher folgende Weisung erhielt:



') Ein Getränk aus Meth, Nun, Wein und Bier, welches bei Lcichcnschmäuscn nach dem
Schlußgebet des Geistlichen von den Anwesenden stehend auf das Wohl der abgeschiedenen
Seele getrunken wird.
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[0434] „Was! mich vor Borka beugen?" lachte Alexis Juriwitsch. „Behüte Gott! Nichts damit! Ich werde mich wieder verheirathen und andre Kinder haben. Borkn und seine Metze mögen zum Bettelsack»greifen; sie sollen nicht einen Kopeken von mir kriegen. Es gibt ihrer genug, die mich haben möchten, und güb's keine andre, so Heirath' ich Malaschka, die Gänsemagd." In diesem Augenblick begann der Priester die „Trisna" zu trinken*), die Diakonen sprachen das „Wo Blajennom Uspennie" (Gesegnet seien die Todten) und der Chor sang das „Wetschnoiu Pamiat" (Ewiges Gedächtniß). Jedermann erhob sich .und betete, ausgenommen Prinz Alexis, der „wie ein Schwaden" vor den heiligen Bildern niederfiel und so bitterlich schluchzte, daß Niemand ihn sehen konnte, ohne Thränen zu vergießen. Mit Mühe h^'b man ihn endlich vom Boden auf, Am nächsten Tage war sein Kummer so groß, daß er eine ganze Menge Bauern durchhauen ließ und ein halb Dutzend eigenhändig abprügelte. Wem er nur begegnete, mußte etwas Unrechtes ge¬ than haben. Die kleinen Edelleute, die als Schnurranten und Schmarotzer bei ihm lebten, verloren die Geduld so sehr, daß sie trotz der guten Verkösti¬ gung in Zaboria wegzuziehen beschlossen. Aber glücklicher Weise verblieb der Fürst in dieser schrecklichen Laune nur etwa acht Tage. Er ging wieder auf die Jagd, und kaum hatte er das Glück gehabt, einen Bär zu erlegen, als sein Kummer und Schmerz wie weggezaubert verschwand. Indeß merkte man ihm jetzt das Alter an, auch verfiel er gelegentlich in Schwermuth. Manchmal nach dem Schluß einer Jagd nahm er nach gewohnter Weise seinen Sitz rittlings auf einem Faß mit Wodka, verhalf sich mit einer Kelle zu einem Theil des Inhalts und trank die Gesundheit aller Anwesenden. Dann aber begab sichs nicht selten, daß er plötzlich düster wurde und die Kelle aus der Hand fallen ließ, und daß statt des schallenden Gelächters der Minute vorher tiefe Todtenstille eintrat, Nach einigen Minuten finstern Brü- tens heiterte sich bei solchen Fällen das Gesicht des Fürsten wieder auf und er sagte dann: „Ich habe euch erschreckt, meine Freunde. Ach ja, meine Brüder, ich werde bald sterben müssen." Darauf hob er an zu singen, Hun¬ derte von Stimmen sielen ein in das Lied, und es gab ein Tanzen, Jauch¬ zen und Zechen bis zum Einbruch der Nacht. Trotz der väterlichen Ungnade hatte Borka oder, respectvollcr zu sprechen. Prinz Boris nicht die Absicht, sich für immer von Zaboria fern zu halten, und ein Jahr nach dein Tode seiner Mutter theilte er seinem Bater mit, daß er ihm demnächst einen Besuch abstatten werde. Fürst Alexis las den Brief und rief den Schloßverwalter, welcher folgende Weisung erhielt: ') Ein Getränk aus Meth, Nun, Wein und Bier, welches bei Lcichcnschmäuscn nach dem Schlußgebet des Geistlichen von den Anwesenden stehend auf das Wohl der abgeschiedenen Seele getrunken wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/434>, abgerufen am 28.12.2024.