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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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jung? Namens Andruschka vom Himmel des Theaters zu fallen. Derselbe
sollte den Phöbus vorstellen, weshalb er einen gelben Kaftan und hellblaue
Hosen mit goldnen Spangen trug. In der Hand hielt er ein Stück Holz
mit einem Loch in der Mitte, worüber Bindfaden gezogen war und welches
seine Lyra bedeutete. In den Haaren hatte er gelben Draht, den man für
Sonnenstrahlen halten durfte. Schließlich marschirten neun Bauernmädchen
in Reifröcken auf -- die Musen, welche den Fürsten mit einem Kranz von
Blumen aus dem Gewächshaus des Schlosses bekränzten. Alexis Juriwitsch
rief zum Schluß bisweilen nach Simeon TiUtsch, um ihm seine Anerkennung
auszudrücken. 'Allein der Poet war niemals in präsentabelm Zustande, er
war gewöhnlich an irgend ein Hausgeräth auf seiner Stube angebunden, da
er betrunken ein sehr turbulentes Gemüth offenbarte.

Das Abendessen war eine Wiederholung des Mittagsmahles mit weniger
Schüsseln und mehr Flaschen. Nach demselben zogen sich die Damen sowie
alle Herren von niederem Range zurück, und Fürst Alexis begab sich mit fünf¬
zehn oder zwanzig von den vornehmsten Gästen hinaus in den Gartenpavillon.
Hier zog er zum Zeichen, daß Jeder sichs nun bequem machen durfte, den Rock
aus. woraus ein scharfes Zechen begann, welches bis zum nächsten Morgen
währte. .

Fürst Alexis Juriwitsch stand mit seiner Gemahlin aus keinem guten Fuß.
Ju der That, er verkehrte mit ihr nur bei solchen großen Staatsactionen,
wie sie soeben geschildert wurden. Eines Tages fand er, von der Jagd
heimgekommen, einen Brief von seinem Sohn Prinz Boris Alexiewitsch vor,
der in der Hauptstadt verweilte. Er warf einen Blick auf den Inhalt, brüllte
wie el" Stier, und wieder hörte man das Klirren und Krachen zerschlagner
Spiegel und Tische. Die Dienerschaft sank auf die Knie und betete, daß der
Sturm von ihren Köpfen abgewendet werden möge, während andere voll
Schrecken aus dem Hause rannten.

Der Fürst rief dann nach der Fürstin. Doremidont, einer der Kammer¬
diener, war unvorsichtig genug, seinen Herrn zu benachrichtigen, daß Ihre
Hoheit an hochdero Zimmer gefesselt sei, worauf der unglückliche Mensch so¬
fort zu Boden stürzte ("wie ein Schwaden unter der Sense", sagt der Bauer,
der die Geschichte erzählt) und als er aufstand, die betrübende Entdeckung
machte, daß ihm fünf Zähne fehlten. Der Fürst war inzwischen die Treppe
hinauf nach dem Gemach seiner Gemahlin gerannt. Er sand sie todtkrank
auf dem Sopha. Vor ihr am Tische saß Kondratie Sergejewitsch, ein from¬
mer, fleißig studirender, wohlunterrichteter Hausgenosse des Fürsten Alexis,
der bei diesem seine Zuflucht genommen, nachdem er durch einen mächtigen
Nachbar von seinem Gute vertrieben worden war. Derselbe las der Fürstin
jetzt gerade aus dem Leben der heiligen Barbara vor.


jung? Namens Andruschka vom Himmel des Theaters zu fallen. Derselbe
sollte den Phöbus vorstellen, weshalb er einen gelben Kaftan und hellblaue
Hosen mit goldnen Spangen trug. In der Hand hielt er ein Stück Holz
mit einem Loch in der Mitte, worüber Bindfaden gezogen war und welches
seine Lyra bedeutete. In den Haaren hatte er gelben Draht, den man für
Sonnenstrahlen halten durfte. Schließlich marschirten neun Bauernmädchen
in Reifröcken auf — die Musen, welche den Fürsten mit einem Kranz von
Blumen aus dem Gewächshaus des Schlosses bekränzten. Alexis Juriwitsch
rief zum Schluß bisweilen nach Simeon TiUtsch, um ihm seine Anerkennung
auszudrücken. 'Allein der Poet war niemals in präsentabelm Zustande, er
war gewöhnlich an irgend ein Hausgeräth auf seiner Stube angebunden, da
er betrunken ein sehr turbulentes Gemüth offenbarte.

Das Abendessen war eine Wiederholung des Mittagsmahles mit weniger
Schüsseln und mehr Flaschen. Nach demselben zogen sich die Damen sowie
alle Herren von niederem Range zurück, und Fürst Alexis begab sich mit fünf¬
zehn oder zwanzig von den vornehmsten Gästen hinaus in den Gartenpavillon.
Hier zog er zum Zeichen, daß Jeder sichs nun bequem machen durfte, den Rock
aus. woraus ein scharfes Zechen begann, welches bis zum nächsten Morgen
währte. .

Fürst Alexis Juriwitsch stand mit seiner Gemahlin aus keinem guten Fuß.
Ju der That, er verkehrte mit ihr nur bei solchen großen Staatsactionen,
wie sie soeben geschildert wurden. Eines Tages fand er, von der Jagd
heimgekommen, einen Brief von seinem Sohn Prinz Boris Alexiewitsch vor,
der in der Hauptstadt verweilte. Er warf einen Blick auf den Inhalt, brüllte
wie el» Stier, und wieder hörte man das Klirren und Krachen zerschlagner
Spiegel und Tische. Die Dienerschaft sank auf die Knie und betete, daß der
Sturm von ihren Köpfen abgewendet werden möge, während andere voll
Schrecken aus dem Hause rannten.

Der Fürst rief dann nach der Fürstin. Doremidont, einer der Kammer¬
diener, war unvorsichtig genug, seinen Herrn zu benachrichtigen, daß Ihre
Hoheit an hochdero Zimmer gefesselt sei, worauf der unglückliche Mensch so¬
fort zu Boden stürzte („wie ein Schwaden unter der Sense", sagt der Bauer,
der die Geschichte erzählt) und als er aufstand, die betrübende Entdeckung
machte, daß ihm fünf Zähne fehlten. Der Fürst war inzwischen die Treppe
hinauf nach dem Gemach seiner Gemahlin gerannt. Er sand sie todtkrank
auf dem Sopha. Vor ihr am Tische saß Kondratie Sergejewitsch, ein from¬
mer, fleißig studirender, wohlunterrichteter Hausgenosse des Fürsten Alexis,
der bei diesem seine Zuflucht genommen, nachdem er durch einen mächtigen
Nachbar von seinem Gute vertrieben worden war. Derselbe las der Fürstin
jetzt gerade aus dem Leben der heiligen Barbara vor.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/432>, abgerufen am 23.07.2024.