Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gleichartigkeit der Seele und des Alls. (Bd. II. 341, 308. 322.) Die
Sprache nun ist der Ausdruck dieser Wahrheit und der Logos nicht unwill¬
kürlich, sondern von Natur dazu da. zur Erkenntniß der Dinge zu führen.
(Bd. II. S. 363--365. 385.)

Die ethischen Principien des Heraclit sind eben so ernst und tief als seine
logischen und naturphilosophischen kühn und phantasiereich sind. Er sagt:
Ich suchte mich selbst; und indem ich erkannte, daß ich Nichts sei, fand
ich mich als das Eine Seiende wieder, dem ich mich hingab. Was heißt
dieses anders, als unser eigenes gebrochenes Natursein aufgebend, finden
wir uns in dem Allgemeinen und Göttlichen, dem wir uns ergeben, wieder,
aber mit geläuterter Individualität, in welcher die Schlacken des Naturseins
vom Feuer des Göttlichen ausgeschmolzen sind. "Wie die Stadt am Gesetze,
so müssen, sagte er. die mit Vernunft Begabten am Gemeinsamen festhalten.
Denn dieses hat Alles überwunden und herrscht, soweit es will. Die besten
Menschen wählen ein Princip und das gereicht ihnen zum immerwährenden
Ruhm, aber die Menge mästet sich wie Vieh, indem sie an dem Magen und
dem Verächtlichsten an uns die Glückseligkeit bemißt. Mit starken Farben
malt der alte Grieche die Folgen des Hochmuths (S^os). denn der hochmüthige
Mensch gibt mit dem. was er begehrt, die Seele mit in den Kauf. Es bedürfte
daher einer großen Kraft, sich selbst zu bezwingen. Gegen Uebermuth empfiehlt
Heraclit die stärksten Waffen, ja er spricht von der Nacht der Begierden in
einer Weise, die einem Benedictiner. Mönch Ehre machen würde. Das
Schicksal des Menschen leitet er aus dessen Charakter (Hso?) ab, indem er
das Lebensloos des Individuums als eine Hervorbringung und Sichselbstdar¬
stellung betrachtet. So nun leitet Heraclit seine Darstellung bis zur sittlichen
Selbsterkenntniß, zur Idee der Freiheit (Bd. II. S. 428. 441, 430--431).

Was Heraclil's Verhältniß zur griechischen Volksreligion betrifft, so ist
ein Verfahren dem Hegel's gegenüber dem Christenthum ganz analog. Wir
finden bei .ihm zwar den Zeus. Dionysos, Apollo, Hades u. s. w., allein
alle diese Namen sind ihm nur der Ausdruck speculativer Begriffe, von denen
das griechische Volksbewußtsein nichts wußte. Unter Zeus versteht er die
verborgene Harmonie, welche besser ist, als die offenbare (a^ovi" /"^ "<x"-
obs Pedo-^s "^<7<?c"i-), Dionysos und Apollo sind ihm Gegensätze, da jener,
der Weingott, als das feuchte Element, auflöst, dieser, der Lichtgott, neue
Bildungen und Verjüngungen hervorbringt. Dionysos, Apollo, Hades wer¬
den als Repräsentanten der physikalischen Elemente, Wasser, Erde, Feuer, das
Spiel des Zeus, des Weltschöpfers (S^os^o?) genannt. Heraclit gehört daher
zu den Philosophen der Griechen, die am wenigsten der Volksreligion feind¬
lich entgegentraten und dennoch ihre Grundvorstellungen total umänderten,
indem er sie in physikalische Ideen umsetzte. Auch darin schließt er sich der


Gleichartigkeit der Seele und des Alls. (Bd. II. 341, 308. 322.) Die
Sprache nun ist der Ausdruck dieser Wahrheit und der Logos nicht unwill¬
kürlich, sondern von Natur dazu da. zur Erkenntniß der Dinge zu führen.
(Bd. II. S. 363—365. 385.)

Die ethischen Principien des Heraclit sind eben so ernst und tief als seine
logischen und naturphilosophischen kühn und phantasiereich sind. Er sagt:
Ich suchte mich selbst; und indem ich erkannte, daß ich Nichts sei, fand
ich mich als das Eine Seiende wieder, dem ich mich hingab. Was heißt
dieses anders, als unser eigenes gebrochenes Natursein aufgebend, finden
wir uns in dem Allgemeinen und Göttlichen, dem wir uns ergeben, wieder,
aber mit geläuterter Individualität, in welcher die Schlacken des Naturseins
vom Feuer des Göttlichen ausgeschmolzen sind. „Wie die Stadt am Gesetze,
so müssen, sagte er. die mit Vernunft Begabten am Gemeinsamen festhalten.
Denn dieses hat Alles überwunden und herrscht, soweit es will. Die besten
Menschen wählen ein Princip und das gereicht ihnen zum immerwährenden
Ruhm, aber die Menge mästet sich wie Vieh, indem sie an dem Magen und
dem Verächtlichsten an uns die Glückseligkeit bemißt. Mit starken Farben
malt der alte Grieche die Folgen des Hochmuths (S^os). denn der hochmüthige
Mensch gibt mit dem. was er begehrt, die Seele mit in den Kauf. Es bedürfte
daher einer großen Kraft, sich selbst zu bezwingen. Gegen Uebermuth empfiehlt
Heraclit die stärksten Waffen, ja er spricht von der Nacht der Begierden in
einer Weise, die einem Benedictiner. Mönch Ehre machen würde. Das
Schicksal des Menschen leitet er aus dessen Charakter (Hso?) ab, indem er
das Lebensloos des Individuums als eine Hervorbringung und Sichselbstdar¬
stellung betrachtet. So nun leitet Heraclit seine Darstellung bis zur sittlichen
Selbsterkenntniß, zur Idee der Freiheit (Bd. II. S. 428. 441, 430—431).

Was Heraclil's Verhältniß zur griechischen Volksreligion betrifft, so ist
ein Verfahren dem Hegel's gegenüber dem Christenthum ganz analog. Wir
finden bei .ihm zwar den Zeus. Dionysos, Apollo, Hades u. s. w., allein
alle diese Namen sind ihm nur der Ausdruck speculativer Begriffe, von denen
das griechische Volksbewußtsein nichts wußte. Unter Zeus versteht er die
verborgene Harmonie, welche besser ist, als die offenbare (a^ovi« /«^ «<x«-
obs Pedo-^s «^<7<?c»i-), Dionysos und Apollo sind ihm Gegensätze, da jener,
der Weingott, als das feuchte Element, auflöst, dieser, der Lichtgott, neue
Bildungen und Verjüngungen hervorbringt. Dionysos, Apollo, Hades wer¬
den als Repräsentanten der physikalischen Elemente, Wasser, Erde, Feuer, das
Spiel des Zeus, des Weltschöpfers (S^os^o?) genannt. Heraclit gehört daher
zu den Philosophen der Griechen, die am wenigsten der Volksreligion feind¬
lich entgegentraten und dennoch ihre Grundvorstellungen total umänderten,
indem er sie in physikalische Ideen umsetzte. Auch darin schließt er sich der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113636"/>
          <p xml:id="ID_1208" prev="#ID_1207"> Gleichartigkeit der Seele und des Alls. (Bd. II. 341, 308. 322.) Die<lb/>
Sprache nun ist der Ausdruck dieser Wahrheit und der Logos nicht unwill¬<lb/>
kürlich, sondern von Natur dazu da. zur Erkenntniß der Dinge zu führen.<lb/>
(Bd. II. S. 363&#x2014;365. 385.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1209"> Die ethischen Principien des Heraclit sind eben so ernst und tief als seine<lb/>
logischen und naturphilosophischen kühn und phantasiereich sind. Er sagt:<lb/>
Ich suchte mich selbst; und indem ich erkannte, daß ich Nichts sei, fand<lb/>
ich mich als das Eine Seiende wieder, dem ich mich hingab. Was heißt<lb/>
dieses anders, als unser eigenes gebrochenes Natursein aufgebend, finden<lb/>
wir uns in dem Allgemeinen und Göttlichen, dem wir uns ergeben, wieder,<lb/>
aber mit geläuterter Individualität, in welcher die Schlacken des Naturseins<lb/>
vom Feuer des Göttlichen ausgeschmolzen sind. &#x201E;Wie die Stadt am Gesetze,<lb/>
so müssen, sagte er. die mit Vernunft Begabten am Gemeinsamen festhalten.<lb/>
Denn dieses hat Alles überwunden und herrscht, soweit es will. Die besten<lb/>
Menschen wählen ein Princip und das gereicht ihnen zum immerwährenden<lb/>
Ruhm, aber die Menge mästet sich wie Vieh, indem sie an dem Magen und<lb/>
dem Verächtlichsten an uns die Glückseligkeit bemißt. Mit starken Farben<lb/>
malt der alte Grieche die Folgen des Hochmuths (S^os). denn der hochmüthige<lb/>
Mensch gibt mit dem. was er begehrt, die Seele mit in den Kauf. Es bedürfte<lb/>
daher einer großen Kraft, sich selbst zu bezwingen. Gegen Uebermuth empfiehlt<lb/>
Heraclit die stärksten Waffen, ja er spricht von der Nacht der Begierden in<lb/>
einer Weise, die einem Benedictiner. Mönch Ehre machen würde. Das<lb/>
Schicksal des Menschen leitet er aus dessen Charakter (Hso?) ab, indem er<lb/>
das Lebensloos des Individuums als eine Hervorbringung und Sichselbstdar¬<lb/>
stellung betrachtet. So nun leitet Heraclit seine Darstellung bis zur sittlichen<lb/>
Selbsterkenntniß, zur Idee der Freiheit (Bd. II. S. 428. 441, 430&#x2014;431).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1210" next="#ID_1211"> Was Heraclil's Verhältniß zur griechischen Volksreligion betrifft, so ist<lb/>
ein Verfahren dem Hegel's gegenüber dem Christenthum ganz analog. Wir<lb/>
finden bei .ihm zwar den Zeus. Dionysos, Apollo, Hades u. s. w., allein<lb/>
alle diese Namen sind ihm nur der Ausdruck speculativer Begriffe, von denen<lb/>
das griechische Volksbewußtsein nichts wußte. Unter Zeus versteht er die<lb/>
verborgene Harmonie, welche besser ist, als die offenbare (a^ovi« /«^ «&lt;x«-<lb/>
obs Pedo-^s «^&lt;7&lt;?c»i-), Dionysos und Apollo sind ihm Gegensätze, da jener,<lb/>
der Weingott, als das feuchte Element, auflöst, dieser, der Lichtgott, neue<lb/>
Bildungen und Verjüngungen hervorbringt. Dionysos, Apollo, Hades wer¬<lb/>
den als Repräsentanten der physikalischen Elemente, Wasser, Erde, Feuer, das<lb/>
Spiel des Zeus, des Weltschöpfers (S^os^o?) genannt. Heraclit gehört daher<lb/>
zu den Philosophen der Griechen, die am wenigsten der Volksreligion feind¬<lb/>
lich entgegentraten und dennoch ihre Grundvorstellungen total umänderten,<lb/>
indem er sie in physikalische Ideen umsetzte.  Auch darin schließt er sich der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Gleichartigkeit der Seele und des Alls. (Bd. II. 341, 308. 322.) Die Sprache nun ist der Ausdruck dieser Wahrheit und der Logos nicht unwill¬ kürlich, sondern von Natur dazu da. zur Erkenntniß der Dinge zu führen. (Bd. II. S. 363—365. 385.) Die ethischen Principien des Heraclit sind eben so ernst und tief als seine logischen und naturphilosophischen kühn und phantasiereich sind. Er sagt: Ich suchte mich selbst; und indem ich erkannte, daß ich Nichts sei, fand ich mich als das Eine Seiende wieder, dem ich mich hingab. Was heißt dieses anders, als unser eigenes gebrochenes Natursein aufgebend, finden wir uns in dem Allgemeinen und Göttlichen, dem wir uns ergeben, wieder, aber mit geläuterter Individualität, in welcher die Schlacken des Naturseins vom Feuer des Göttlichen ausgeschmolzen sind. „Wie die Stadt am Gesetze, so müssen, sagte er. die mit Vernunft Begabten am Gemeinsamen festhalten. Denn dieses hat Alles überwunden und herrscht, soweit es will. Die besten Menschen wählen ein Princip und das gereicht ihnen zum immerwährenden Ruhm, aber die Menge mästet sich wie Vieh, indem sie an dem Magen und dem Verächtlichsten an uns die Glückseligkeit bemißt. Mit starken Farben malt der alte Grieche die Folgen des Hochmuths (S^os). denn der hochmüthige Mensch gibt mit dem. was er begehrt, die Seele mit in den Kauf. Es bedürfte daher einer großen Kraft, sich selbst zu bezwingen. Gegen Uebermuth empfiehlt Heraclit die stärksten Waffen, ja er spricht von der Nacht der Begierden in einer Weise, die einem Benedictiner. Mönch Ehre machen würde. Das Schicksal des Menschen leitet er aus dessen Charakter (Hso?) ab, indem er das Lebensloos des Individuums als eine Hervorbringung und Sichselbstdar¬ stellung betrachtet. So nun leitet Heraclit seine Darstellung bis zur sittlichen Selbsterkenntniß, zur Idee der Freiheit (Bd. II. S. 428. 441, 430—431). Was Heraclil's Verhältniß zur griechischen Volksreligion betrifft, so ist ein Verfahren dem Hegel's gegenüber dem Christenthum ganz analog. Wir finden bei .ihm zwar den Zeus. Dionysos, Apollo, Hades u. s. w., allein alle diese Namen sind ihm nur der Ausdruck speculativer Begriffe, von denen das griechische Volksbewußtsein nichts wußte. Unter Zeus versteht er die verborgene Harmonie, welche besser ist, als die offenbare (a^ovi« /«^ «<x«- obs Pedo-^s «^<7<?c»i-), Dionysos und Apollo sind ihm Gegensätze, da jener, der Weingott, als das feuchte Element, auflöst, dieser, der Lichtgott, neue Bildungen und Verjüngungen hervorbringt. Dionysos, Apollo, Hades wer¬ den als Repräsentanten der physikalischen Elemente, Wasser, Erde, Feuer, das Spiel des Zeus, des Weltschöpfers (S^os^o?) genannt. Heraclit gehört daher zu den Philosophen der Griechen, die am wenigsten der Volksreligion feind¬ lich entgegentraten und dennoch ihre Grundvorstellungen total umänderten, indem er sie in physikalische Ideen umsetzte. Auch darin schließt er sich der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/394>, abgerufen am 26.06.2024.