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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Das war im April 1848, und Alles, was der Papst seitdem gesagt und
gethan hat. trägt den Stempel jenes Gesprächs. Die ersten Schritte nach
rückwärts wurden zögernd gethan, und so vermochten sie Oestreich nicht zu
befriedigen, während sie das römische Volk in seinen Ovationen und Anbe¬
tungen lau und immer lauer werden ließen, bis es endlich nach Rossi's
Schaukelsystem, das die päpstliche Gewalt, das Interesse des heiligen Colle-
giums und die Bedürfnisse des Volkes gegeneinander zu balanciren versuchte,
in offne Empörung ausbrach. Der Papst rief, scheinbar nachgebend, den libe¬
ralen Mamiani in sein Cabinet zurück und bereitete unterdeß seine Flucht nach
Gaeta. in die Amic der Reaction vor, die von der Ausführung dieses Plans
um statt seiner die Herrschaft übernahm und sie in der Person Antvnelli's bis
heute dermaßen geführt hat. daß von Pius in der Geschichte nur noch bei¬
läufig die Rede war. Der Jesuitismus sagt: der Mensch sei ^xsi-mas ac
es.Äavei'", gleichwie ein Leichnam; er hat ein Beispiel gegeben. Diesmal war
der Mensch ein Papst.

Am 9. Februar 1849 wurde in Rom die Republik ausgerufen. Die
Franzosen kamen, sie zu vernichten, damit nicht die Oestreicher kämen. Zwei
Monate wehrte sich die Stadt mit seltenem Heldenmuth. Die große Nation
lernte vor ihren Mauern die "bittern Schritte der Flucht" keimen, der König
von Neapel entwich den Roth Hemden Garibaldi's bei Velletri in unrühmlicher
Weise ("auf acht Füßen" sagt Reuchlin), endlich fiel die Stadt, und seitdem
hat sich dort so gut wie nichts verändert. Es hat einige Motuproprio's ge¬
geben, einen Brief an Edgar Ney, einige andere Rathschläge von Paris her.
aber im Wesentlichen ist es beim Alten geblieben. Non pos8uirms! Der
Kirchenstaat läßt sich nicht reformiren. weil er der Kritik nicht verfällt; wie
kann man kritisiren, was direct vom heiligen Geiste stammt! Es ist mit den
dortigen Verhältnissen wie mit den Jesuiten: sint ut sunt aut nov sive.
Gioberti hat sich ein langes Leben hindurch abgemüht, zwischen Jesuitismus
und Katholicismus, Loyola und Rom zu unterscheiden. Die Geschichte des
neunten Pius ist eine schonungslose Verurteilung solcher Sophistik. Pio Nouv
in seiner Weise will liberal sein, und der Jesuitismus stellt ihn unter Curatel.
Pio Nouv wird von den politischen Jesuiten nach Gaeta entführt, muß dort
Urphede schwören: Antonelli auf ewig. Er hat seinen Eid gehalten, er hat
nichts mehr gegen den Willen des heiligen Kollegiums gethan, aber auch
nichts mehr dafür. Als Frankreich nicht mehr gute Miene zu diesem Spiel
machte. Umbrien und die Marken dem König von Italien huldigten, gedach¬
ten die frommen Väter von der Vormundschaft einen neuen Staatsstreich mit
ihrem Mündel auszuführen. Er sollte abermals fliehen, seine "Freiheit ret¬
ten/' diesmal in eine östreichische Festung, von dort den Kreuzzug predigen,
die Welt darüber und darunter kehren. Aber der alte Mastai wollte nicht


Das war im April 1848, und Alles, was der Papst seitdem gesagt und
gethan hat. trägt den Stempel jenes Gesprächs. Die ersten Schritte nach
rückwärts wurden zögernd gethan, und so vermochten sie Oestreich nicht zu
befriedigen, während sie das römische Volk in seinen Ovationen und Anbe¬
tungen lau und immer lauer werden ließen, bis es endlich nach Rossi's
Schaukelsystem, das die päpstliche Gewalt, das Interesse des heiligen Colle-
giums und die Bedürfnisse des Volkes gegeneinander zu balanciren versuchte,
in offne Empörung ausbrach. Der Papst rief, scheinbar nachgebend, den libe¬
ralen Mamiani in sein Cabinet zurück und bereitete unterdeß seine Flucht nach
Gaeta. in die Amic der Reaction vor, die von der Ausführung dieses Plans
um statt seiner die Herrschaft übernahm und sie in der Person Antvnelli's bis
heute dermaßen geführt hat. daß von Pius in der Geschichte nur noch bei¬
läufig die Rede war. Der Jesuitismus sagt: der Mensch sei ^xsi-mas ac
es.Äavei'", gleichwie ein Leichnam; er hat ein Beispiel gegeben. Diesmal war
der Mensch ein Papst.

Am 9. Februar 1849 wurde in Rom die Republik ausgerufen. Die
Franzosen kamen, sie zu vernichten, damit nicht die Oestreicher kämen. Zwei
Monate wehrte sich die Stadt mit seltenem Heldenmuth. Die große Nation
lernte vor ihren Mauern die „bittern Schritte der Flucht" keimen, der König
von Neapel entwich den Roth Hemden Garibaldi's bei Velletri in unrühmlicher
Weise („auf acht Füßen" sagt Reuchlin), endlich fiel die Stadt, und seitdem
hat sich dort so gut wie nichts verändert. Es hat einige Motuproprio's ge¬
geben, einen Brief an Edgar Ney, einige andere Rathschläge von Paris her.
aber im Wesentlichen ist es beim Alten geblieben. Non pos8uirms! Der
Kirchenstaat läßt sich nicht reformiren. weil er der Kritik nicht verfällt; wie
kann man kritisiren, was direct vom heiligen Geiste stammt! Es ist mit den
dortigen Verhältnissen wie mit den Jesuiten: sint ut sunt aut nov sive.
Gioberti hat sich ein langes Leben hindurch abgemüht, zwischen Jesuitismus
und Katholicismus, Loyola und Rom zu unterscheiden. Die Geschichte des
neunten Pius ist eine schonungslose Verurteilung solcher Sophistik. Pio Nouv
in seiner Weise will liberal sein, und der Jesuitismus stellt ihn unter Curatel.
Pio Nouv wird von den politischen Jesuiten nach Gaeta entführt, muß dort
Urphede schwören: Antonelli auf ewig. Er hat seinen Eid gehalten, er hat
nichts mehr gegen den Willen des heiligen Kollegiums gethan, aber auch
nichts mehr dafür. Als Frankreich nicht mehr gute Miene zu diesem Spiel
machte. Umbrien und die Marken dem König von Italien huldigten, gedach¬
ten die frommen Väter von der Vormundschaft einen neuen Staatsstreich mit
ihrem Mündel auszuführen. Er sollte abermals fliehen, seine „Freiheit ret¬
ten/' diesmal in eine östreichische Festung, von dort den Kreuzzug predigen,
die Welt darüber und darunter kehren. Aber der alte Mastai wollte nicht


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[0356] Das war im April 1848, und Alles, was der Papst seitdem gesagt und gethan hat. trägt den Stempel jenes Gesprächs. Die ersten Schritte nach rückwärts wurden zögernd gethan, und so vermochten sie Oestreich nicht zu befriedigen, während sie das römische Volk in seinen Ovationen und Anbe¬ tungen lau und immer lauer werden ließen, bis es endlich nach Rossi's Schaukelsystem, das die päpstliche Gewalt, das Interesse des heiligen Colle- giums und die Bedürfnisse des Volkes gegeneinander zu balanciren versuchte, in offne Empörung ausbrach. Der Papst rief, scheinbar nachgebend, den libe¬ ralen Mamiani in sein Cabinet zurück und bereitete unterdeß seine Flucht nach Gaeta. in die Amic der Reaction vor, die von der Ausführung dieses Plans um statt seiner die Herrschaft übernahm und sie in der Person Antvnelli's bis heute dermaßen geführt hat. daß von Pius in der Geschichte nur noch bei¬ läufig die Rede war. Der Jesuitismus sagt: der Mensch sei ^xsi-mas ac es.Äavei'", gleichwie ein Leichnam; er hat ein Beispiel gegeben. Diesmal war der Mensch ein Papst. Am 9. Februar 1849 wurde in Rom die Republik ausgerufen. Die Franzosen kamen, sie zu vernichten, damit nicht die Oestreicher kämen. Zwei Monate wehrte sich die Stadt mit seltenem Heldenmuth. Die große Nation lernte vor ihren Mauern die „bittern Schritte der Flucht" keimen, der König von Neapel entwich den Roth Hemden Garibaldi's bei Velletri in unrühmlicher Weise („auf acht Füßen" sagt Reuchlin), endlich fiel die Stadt, und seitdem hat sich dort so gut wie nichts verändert. Es hat einige Motuproprio's ge¬ geben, einen Brief an Edgar Ney, einige andere Rathschläge von Paris her. aber im Wesentlichen ist es beim Alten geblieben. Non pos8uirms! Der Kirchenstaat läßt sich nicht reformiren. weil er der Kritik nicht verfällt; wie kann man kritisiren, was direct vom heiligen Geiste stammt! Es ist mit den dortigen Verhältnissen wie mit den Jesuiten: sint ut sunt aut nov sive. Gioberti hat sich ein langes Leben hindurch abgemüht, zwischen Jesuitismus und Katholicismus, Loyola und Rom zu unterscheiden. Die Geschichte des neunten Pius ist eine schonungslose Verurteilung solcher Sophistik. Pio Nouv in seiner Weise will liberal sein, und der Jesuitismus stellt ihn unter Curatel. Pio Nouv wird von den politischen Jesuiten nach Gaeta entführt, muß dort Urphede schwören: Antonelli auf ewig. Er hat seinen Eid gehalten, er hat nichts mehr gegen den Willen des heiligen Kollegiums gethan, aber auch nichts mehr dafür. Als Frankreich nicht mehr gute Miene zu diesem Spiel machte. Umbrien und die Marken dem König von Italien huldigten, gedach¬ ten die frommen Väter von der Vormundschaft einen neuen Staatsstreich mit ihrem Mündel auszuführen. Er sollte abermals fliehen, seine „Freiheit ret¬ ten/' diesmal in eine östreichische Festung, von dort den Kreuzzug predigen, die Welt darüber und darunter kehren. Aber der alte Mastai wollte nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/356>, abgerufen am 23.07.2024.