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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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denn sein ..Papstkönig" war erstanden. Das Guelfenthum herrschte mit einem
Schlag, und Pio Nouv hieß die Parole auf der ganzen Halbinsel. Kein
Fürst stand im Wege, außer etwa Karl Albert, der finstre Brüter, der auch
am östreichischen Joche rüttelte. Das Guelfenthum hat seine letzte Probe de.
standen und ist für immer abgethan, Gioberti hat das kläglichste Fiasro ge¬
macht.

Die öffentliche Meinung schwärmte noch geraume Zeit für den "schönen
und guten Papst." dann verlangte sie zwischen Jubelrufen erst schüchtern,
endlich lauter Reformen, wahrend auf der andern Seite Oestreich und seine
Partei dringend und immer dringender zur Umkehr auf dem betretnen Wege
mahnte. Pius zauderte, horchte nach beiden Seiten und schwankte endlich
nach der Seite hin, wo die lautesten Ovationen zu erwarten waren. Er Hab
den Römern gewisse Reformen, das Censurgesetz, die Consulta, den Staats-
rath, den Ministerrath, er gestattete ihnen die Errichtung einer Bürgerwrhr.
protestirte gegen das Einrücken der Oestreicher in Ferrara, verlieh, als alle
Fürsten Italiens aus Angst vor der Revolution constitutionell wurden, sogar
eine Constitution und erklärte endlich dem Erbfeind der italienischen Unab¬
hängigkeit den Krieg. Aber in allen diesen Maßregeln war der Papst un¬
sicher, lau, ängstlich und mißtrauisch. Wo sie nicht Aeußerungen des Stre-
bens nach mehr Ovationen waren, wurden sie mit widerwilliger Hand und
dem stillen Vorbehalt ins Werk gesetzt, sie gelegentlich auf nichts zurückzufüh¬
ren. Als Durando den Helm des Scipio aufsetzte, um mit den römischen
Crociati den Brüdern in der Lombardei zu Hilfe zu ziehen, baten die in Rom
befindlichen italienischen Flüchtlinge Pius, ein italienisches Parlament zu be¬
rufen. Der Papst lächelte noch einmal allergütigst. Der glänzendste Traum
schwebte vor seinen Augen: Oberherrlichkeit des Pontifex über die ganze Halb¬
insel. Italien gehorsam zu seinen Füßen, die ganze Christenheit von starker
Hierarchie regiert; Hildebrand und Bonifaz der Achte zugleich, erflog er das
Ziel im Frieden, unter dem lauten Jubel Italiens, Europa's, der Welt.

Einer der finstersten Cardinäle fuhr durch diese rosige Traumwelt:
"Heiligkeit, in geistlichen Dingen tonnen Sie binden und lösen, aber in welt¬
lichen ist der Pontifex der Mandatar seiner Genossen, weiter nichts. Sie
können nichts nachgeben und ändern. Sie müssen erhalten. Wir haben den
Eid Eurer Heiligkeit und das Recht zu glauben, daß er nie verletzt wird!"
-- "Und dann?" -- "Sie müssen den Krieg gegen Oestreich verdammen, die
Truppen zurückrufen. Piemont excommuniciren, den König von Neapel her-
stellen." -- "Lieber abdanken!" rief Pius. -- "Die Abdankung kann nicht
angenommen werden, bis Alles sich wieder im solus puo ante befindet."
-- "Lassen Sie mich mein Gewissen befragen." -- "Das heilige Collegium
hat das seinige schon befragt."


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denn sein ..Papstkönig" war erstanden. Das Guelfenthum herrschte mit einem
Schlag, und Pio Nouv hieß die Parole auf der ganzen Halbinsel. Kein
Fürst stand im Wege, außer etwa Karl Albert, der finstre Brüter, der auch
am östreichischen Joche rüttelte. Das Guelfenthum hat seine letzte Probe de.
standen und ist für immer abgethan, Gioberti hat das kläglichste Fiasro ge¬
macht.

Die öffentliche Meinung schwärmte noch geraume Zeit für den „schönen
und guten Papst." dann verlangte sie zwischen Jubelrufen erst schüchtern,
endlich lauter Reformen, wahrend auf der andern Seite Oestreich und seine
Partei dringend und immer dringender zur Umkehr auf dem betretnen Wege
mahnte. Pius zauderte, horchte nach beiden Seiten und schwankte endlich
nach der Seite hin, wo die lautesten Ovationen zu erwarten waren. Er Hab
den Römern gewisse Reformen, das Censurgesetz, die Consulta, den Staats-
rath, den Ministerrath, er gestattete ihnen die Errichtung einer Bürgerwrhr.
protestirte gegen das Einrücken der Oestreicher in Ferrara, verlieh, als alle
Fürsten Italiens aus Angst vor der Revolution constitutionell wurden, sogar
eine Constitution und erklärte endlich dem Erbfeind der italienischen Unab¬
hängigkeit den Krieg. Aber in allen diesen Maßregeln war der Papst un¬
sicher, lau, ängstlich und mißtrauisch. Wo sie nicht Aeußerungen des Stre-
bens nach mehr Ovationen waren, wurden sie mit widerwilliger Hand und
dem stillen Vorbehalt ins Werk gesetzt, sie gelegentlich auf nichts zurückzufüh¬
ren. Als Durando den Helm des Scipio aufsetzte, um mit den römischen
Crociati den Brüdern in der Lombardei zu Hilfe zu ziehen, baten die in Rom
befindlichen italienischen Flüchtlinge Pius, ein italienisches Parlament zu be¬
rufen. Der Papst lächelte noch einmal allergütigst. Der glänzendste Traum
schwebte vor seinen Augen: Oberherrlichkeit des Pontifex über die ganze Halb¬
insel. Italien gehorsam zu seinen Füßen, die ganze Christenheit von starker
Hierarchie regiert; Hildebrand und Bonifaz der Achte zugleich, erflog er das
Ziel im Frieden, unter dem lauten Jubel Italiens, Europa's, der Welt.

Einer der finstersten Cardinäle fuhr durch diese rosige Traumwelt:
„Heiligkeit, in geistlichen Dingen tonnen Sie binden und lösen, aber in welt¬
lichen ist der Pontifex der Mandatar seiner Genossen, weiter nichts. Sie
können nichts nachgeben und ändern. Sie müssen erhalten. Wir haben den
Eid Eurer Heiligkeit und das Recht zu glauben, daß er nie verletzt wird!"
— „Und dann?" — „Sie müssen den Krieg gegen Oestreich verdammen, die
Truppen zurückrufen. Piemont excommuniciren, den König von Neapel her-
stellen." — „Lieber abdanken!" rief Pius. — „Die Abdankung kann nicht
angenommen werden, bis Alles sich wieder im solus puo ante befindet."
— „Lassen Sie mich mein Gewissen befragen." — „Das heilige Collegium
hat das seinige schon befragt."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/355>, abgerufen am 23.07.2024.